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Die rot-rote Koalition in Berlin

Lange: Am Telefon ist jetzt Wolfgang Ullmann vom Bündnis '90 / Die Grünen, seit DDR-Zeiten Bürgerrechtler und zuletzt Abgeordneter im Europäischen Parlament. Tag, Herr Ullmann.

    Ullmann: Guten Tag.

    Lange: Edmund Stoiber, der bayerische Ministerpräsident hat Rot-Rot als einen 'Treppenwitz der Geschichte' bezeichnet. Ist das ein Treppenwitz?

    Ullmann: Nun, das spricht eher für ein unernste Betrachtung der Politik. Es ist kein Treppenwitz sondern ein ganz normales Ergebnis eines Wahlausgangs. Die beiden jetzt regierenden Parteien haben einen entsprechenden Stimmenanteil. Wieso das ein Treppenwitz sein soll, das müsste mir Herr Stoiber erst mal erklären.

    Lange: Viele SPD-Politiker aus Ostdeutschland und auch aus dem Westteil Berlins haben ihren Frieden mit der PDS offenbar gemacht. Wie ist es mit Ihnen?

    Ullmann: Ich habe meine Kämpfe mit der SPD ausgefochten, die PDS habe ich kennengelernt am runden Tisch und da haben wir nicht gegeneinander gekämpft, sondern uns bemüht, die diktatorische DDR zu demokratisieren. Dabei hat die PDS mitgewirkt.

    Lange: Welches Bild haben Sie denn von dieser PDS, die jetzt in Berlin Regierungsverantwortung übernehmen wird?

    Ullmann: Ein gemischtes. Wir haben eine fortschrittliche Führung und ein Hinterland, das ich nicht ganz überschaue, in dem es aber auch noch die Konservativen aus SED-Zeiten gibt und auch die etwas sektiererischen Linken der kommunistischen Plattform.

    Lange: Trauen Sie der PDS zu, in dieser Stadt jetzt eine positive Rolle zu spielen, was die wirtschaftlichen und sonstigen Probleme angeht?

    Ullmann: Ja mit Zögern. Aber das gilt eigentlich für alle Berliner Parteien. Denn womit ich nicht ganz zufrieden bin bei der Koalitionsvereinbarung, das ist das Fehlen von Aussagen zu den Grundproblemen dieser Stadt. Ich denke, das bewegt sich so im herkömmlichen Ressortdenken, was jetzt in der Koalitionsvereinbarung steht. Aber die großen Probleme der neuen Bundeshauptstadt Berlin, die sehe ich nicht angesprochen, geschweige denn beantwortet.

    Lange: Was sind aus Ihrer Sicht die großen Probleme?

    Ullmann: An erster Stelle steht für mich die politische Frage. Was ist das, eine BUNDEShauptstadt Berlin? Alle Welt redet nur von der Hauptstadt, aber es handelt sich um eine Bundeshauptstadt. Also Berlin übernimmt eine Funktion, die es noch nie in seiner Geschichte gehabt hat. Darauf muss man eine Antwort geben und die fehlt mir. Zweitens stellt Berlin mit seiner katastrophalen Haushaltslage zwar nur ein Exempel für die Situation der Länder im Bund dar, aber eben ein ganz besonderes. Also stellt Berlin die Frage nach der Bundesfinanzverfassung und da sehe ich auch nichts. Und das dritte ist die Demokratiefrage in unserem Lande. Ich denke, darauf müsste in einer Koalitionsvereinbarung auch etwas stehen. Wir können nicht in die Richtung weitergehen, die die Schily-Gesetze eingeschlagen haben. Das ist eine Gefährdung der Demokratie. Also da steht nichts drin.

    Lange: Da spricht jetzt wieder der Bürgerrechtler, der er ja geblieben ist. Es gibt Kollegen von Ihnen oder Freunde, die aus DDR-Zeiten mit Ihnen gestritten haben, die konzedieren der PDS jetzt, dass sie immerhin bereit ist, Einsichten zu tragen, auch wenn sie von der SPD entwickelt worden sind. Wie gewichtig ist für Sie diese Präambel zu Mauerbau und Unrechtsregime in der DDR?

    Ullmann: Die ist doch sehr wichtig weil sie in meinen Augen der endgültige Abschied der PDS aus den Zeiten des Kalten Krieges darstellt. Das ist ihr sehr schwer gefallen. Ich habe mich ja oft mit der PDS gestritten, etwa in der Beurteilung der Prozesse, die es gegeben hat gegenüber dem SED-Unrecht, aber ich denke, da ist jetzt eine klare Entscheidung gefallen. Ich würde nur hinzusetzen, ich wünschte mir, dass die Verabschiedung des Kalten Krieges auch im Westen endlich mal stattfindet.

    Lange: Was muss das konkret zur Folge haben für Sie?

    Ullmann: Nun zum Beispiel dass man eben so eine Koalition als Normalität betrachtet. Das ist ein Wahlergebnis und daraus folgt diese Koalition, was ich aber so an Kommentaren lese, das ist noch sehr stark ideologiebetrachtet. Gerade von westlicher Seite.

    Lange: Der Erfolg der PDS ist ja auch Ausdruck des - gewissermaßen - Misserfolgs anderer Parteien. Was ist da schief gelaufen, was hat insbesondere die Partei der Bürgerrechtler falsch gemacht, dass sie da jetzt außen vor ist?

    Ullmann: Die hat falsch gemacht und macht noch falsch, dass sie kein eigenes Programm hat sondern immer nur sich nach anderen richtet und der Öffentlichkeit zu demonstrieren versucht, dass sie nicht anders ist als die anderen auch. Das macht keinen Eindruck und da wählt man dann lieber das Original als die schlechten Abklatsche davon.

    Lange: Hat es den Bürgerrechtlern auch an Machtbewusstsein gefehlt?

    Ullmann: Tja... dann würde ich ganz gerne mal wissen, was das Machtbewusstsein ist. Also für mich ist Machtbewusstsein, dass man sich darum kümmert, dass man politische Ziele auch durchsetzen kann. Und ich denke, da hat es eher an Zielklarheit gefehlt als an Machtbewusstsein denn das Machtbewusstsein halte ich nicht für eine gerade sehr lobenswerte Eigenschaft der Politiker. Denn mit bloßem Machtbewusstsein kann man eben keine politischen Ziele finden geschweige denn durchsetzen. Weil Machtbewusstsein eben Ausübung von Macht im eigenen Interesse ist aber nicht im Interesse der demokratischen Gesamtheit.

    Lange: Herr Ullmann, wie stabil ist diese Koalition nach ihrer Einschätzung. Wird sie die ganze Legislaturperiode durchhalten?

    Ullmann: Ja das weiß man vorher nie. Aber ich nehme es an. Es wird natürlich sehr viel davon abhängen wie die Koalition mit den von mir genannten drei großen Problemen umgeht. Denn sie wird um sie nicht herumkommen. Denken Sie allein an die Schlossfrage. Denn an dieser Schlossfrage hängt eben die politische Grundsatzfrage: was ist denn das, die neue Bundeshauptstadt?

    Lange: In den Informationen am Mittag war das Wolfgang Ullmann, seit DDR-Zeiten Bürgerrechtler und zuletzt Abgeordneter im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ullmann, und auf Wiederhören.

    Ullmann: Wiederhören.