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Die Schnecke. Überwiegend neurotische Geschichten

Der eine ist ein Markengeck, einer dieser narzistisch-ängstlichen "Was zieh' ich bloß an"-Typen und immer häufiger bricht in seine Welt aus gekämmter Baumwolle und Martini mit Sonnenuntergang das ganze Elend abgrundtiefer Verlassenheit. Der nächste ist ein braver Angestellter mit Jogging-Manie. - "Ich laufe, also bin ich!" Aber am Wochenende bröckelt die Fassade akurat geplanter Betriebsamkeit. Ein weiterer baggert auf Teufel komm raus dürre Frauen an, obwohl er mehr auf Dicke steht. Aber er kam einfach noch nie heran an den Speck. Und im Grunde genommen will er inzwischen sein Leben auch lieber mit sich allein ausmachen.

Brigitte Neumann |
    So sind sie alle, die traurigen Helden aus Wolfgang Schömels dreizehn Kurzgeschichten, versammelt unter dem Titel "Die Schnecke". Einsame Kreaturen, die obskur anmutende Verrenkungen machen, um den Geschlechterkampf mit erhobenem Haupt zu überleben. Versponnene Eigenbrötler, die in ihren vergeblichen Bemühungen geliebt zu werden, wahnsinnig komisch wirken. Wohlwissend hat der 50-jährige Autor deshalb seine Storys mit dem Untertitel "Überwiegend neurotische Kurzgeschichten" versehen.

    Ich berichte sozusagen aus dem Zentrum der städtischen Neurose. Wir haben hier einzellebende Individuuen, denen sich die Behauptung ihrer Autonomie als Einsamkeit herausgestellt hat. Sie sind im Grunde genommen gescheitert. Und sie haben allerlei traurige und lustige Rituale entwickelt, um ihr Leben trotzdem irgendwie geregelt zu kriegen. Und natürlich sind sie ununterbrochen darum bemüht, ihre Einsamkeit irgendwie zu beenden. Natürlich vollkommen ohne Erfolg. Und deswegen sage ich ein wenig kokett, dass das neurotische Geschichten sind. Aber sie sind gar nicht so neurotisch. Sie sind eher normal. Und das würde bedeuten, dass die Neurose eigentlich normal ist. Und ich schreibe darüber.

    Es geht um die seelische Verelendung des single - lebenden männlichen Individuums. Um seine panischen Selbstrettungs- , Beschwichtigungs- und Verleugnungsversuche. Das sind bei Wolfgang Schömel ganz stille, unbemerkt ablaufende Katastrophen. Denn seine Kandidaten setzen alles daran, den Schein einer erfolgreichen Existenz zu wahren. Der arbeitslose Akademiker mit rahmengenähten Schuhen, der Frauen in öffentlichen Verkehrmitteln auflauert genauso wie der Manager, der seine Putzhilfe im royalblauen Morgenmantel verführen will. Alle Annäherungsversuche enden selbstverständlich in einem Fiasko. Und all diese riesigen Vorbereitungen, die getroffen werden, damit es endlich zu einem erotischen Erlebnis kommt, die verpuffen in Nichts. Und das ist der Moment in Wolfgang Schömels Geschichten, wo es ordentlich was zu lachen gibt. Schömel, der nicht verhehlt, dass er für diese Kurzgeschichten kräftig aus seiner eigenen Erfahrungen als Single schöpfte, sagt ...

    Ich weiß, dass über 50% der Haushalte Einzelhaushalte sind in Hamburg. Das ist ungeheuer viel, auf jeden Fall. Und die wenigsten tun es aus Überzeugung, auch wenn sie es behaupten. Nun muss man sehen, dass der allwaltende Optimismus und der Terror des Optimismus auch dazu führt, dass die meisten die so leben, behaupten werden, dass es ihnen wunderbar dabei geht. Ich vermute mal, dass das so ist.

    Ein Gebot der Stunde sei es, zu behaupten, man habe das eigene Leben im Griff. Schließlich gibt es keinen größeren Meister des eigenen Schicksals mehr als das Ich. Schömel:

    Die Zerstörung der tradierten Rituale und Konventionen und Bräuche ist etwas, was als Erfolg gefeiert wird. - Die Freiheit des Subjekts. Aber in Wirklichkeit liefert sie das alleingelassene Subjekt ohne seinen familiären gesellschaftlichen, rituellen religiösen Bindungen ungepolstert der Wirklichkeit des Marktes aus. Und dem Konsum. Und wir sehen ja auch, wie das bei meinen Figuren alles wirkt, wie sie am Ende gar nix mehr anderes machen können. Diese Zerschlagung der Bräuche und Bindungen führt nicht zum persönlichen Glück, sondern meistens zur Vereinsamung. Davon gibt es in der Tat auch mehrere Hunderttausende allein in einer Stadt wie Hamburg von solchen Menschen, die im Grunde genommen mit nichts dastehen. Außer ihren kleinen erbärmlichen Ritualen. Wenn es intelligente Menschen sind, dann werden sie neben Formwillen auch einen gewissen Humor entwickeln in dieser Situation und dem Leser der darüber liest, was zu lachen geben.

    Schömel, der mit seinen melancholischen, stilvollen Helden wie ein moderner Nachfahre Ingomar von Kieseritzkys daherkommt, arbeitet in seinem Brotberuf seit zwölf Jahren als Literaturreferent der Stadt Hamburg. Er hat den Hamburger Ziegel erfunden, ein Kompendium mit Geschichten junger Autoren, und beobachtet schon von berufs wegen die Literaturszene aufmerksam. Was hält er von der zunehmenden sexuellen Aufladung moderner Literatur?

    Natürlich deutet jede Mode auf ein Defizit hin, was diese Mode auszugleichen versucht. Und da sagen meine traurigen helden ja auch einiges zu. Z.B. dieses Zitat, von dem ich immer noch nicht weiß, ob es von Adorno stammt, oder ob ich mir nur irgendwann eingeredet habe, es stammt von Adorno, nämlich: Der Geschlechtsverkehr ist nur dort in aller Munde, wo er nicht statt hat. Lachen. Hört sich irgendwie an wie von Adorno, aber ich glaube, es ist von mir. ..Aber diese Welle aus Frankreich und ich hab die meisten Sachen gelesen, auch dieses unglaubliche Buch "Die Hure", was mich total aufgeregt hat. Ich halte es für totale Mache. Aber was befriedigt diese Literatur? Offenbar ist ja bei diesem unglaublichen Angebot, bei dieser Sinnen- Überreizung, die mir jeden Tag begegnet in allen möglichen Medien und Kanälen, ein absoluter Mangel an Phantasie, auch an erotischer Phantasie, auf der anderen Seite zu finden. Also das ist doch offenbar alles Schwindel. Die Leute sind doch alle dermaßen, die haben einen dermaßen emotionalen Unterdruck, und sie sind auch underfucked, nicht, dass sie zu so weithin schlechten pornografischen Produkten greifen.

    Das Debut Wolfgang Schömels mit feministischer Schadenfreude zu lesen, ist unangebracht. Denn den Geschlechterkampf, macht der Autor klar, haben beide Seiten verloren. Die Frauen, weil ihre Körper heute als virtuelle Sexikonen und Verkaufshilfen tausendfach billig verscherbelt werden; die Männer, weil die boomende Sexindustrie ihnen nicht nur einen ewigen Hormonstau beschert, sondern auch den Kontakt zu real existierenden Frauen verunmöglicht. Wohltuend ist die Selbstironie und Ehrlichkeit, mit der Schömel die Verödung der Beziehungen beschreibt. Umwerfend sein Witz, den er immer wieder aus der Vernichtung hochgespannter Erwartungen bezieht. Und da seine dekadenten Helden sich nicht für eine gemeinsame Nacht empfehlen, ist es ein wirklich gute Alternative, Schömels kurze Neurotikergeschichten vor dem Schlafen zu lesen.