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Die schwarze Bedrohung

Vor knapp einem Jahr explodierte die Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko und löste die größte Ölpest aller Zeiten aus. Welche Schlussfolgerungen aber haben Mensch und Energiekonzerne aus dieser Katastrophe gezogen? Das fragt Jörg Schindler in seinem Buch "Öldämmerung"

Von Britta Fecke | 18.04.2011
    Die Kamerateams sind schon lange weg und die Touristen schlendern wieder über weite, weiße Strände. Nichts scheint geblieben von der schwarzen Pest - von der größten Ölkatastrophe, die Amerika je erlebt hat. Doch der erste Blick täuscht: wenige Meter neben den Touristenstränden graben Helfer weiter den Sand um auf der Suche nach Ölklumpen. Und was bis an den Strand gespült wurde, ist nur ein verschwindend geringer Bruchteil dessen was noch im Wasser ist, am Meeresboden und in der Nahrungskette vom Plankton bis zum Pelikan. Doch das wird von den amerikanischen Medien gern übersehen, sie erklären das Öl für abgebaut oder verdunstet. Schön reden, nennt das Jörg Schindler:

    "Dem widersprechen eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen. Anfang August stellte die National Science Foundation fest: "Berichte, dass 75 Prozent des ausgetretenen Öls verschwunden sind, sind schlicht unwahr. Tatsache ist, dass 50 bis 75 Prozent des Öls immer noch im Wasser sind, eben nur in gelöster und verteilter Form. Allein der Austritt von etwa fünf Millionen Barrel Öl in so kurzer Zeit war ein toxischer Schock mit katastrophalen Folgen.”

    87 Tage lang flossen mindestens 780 Millionen Liter Rohöl ungehindert ins Meer. Doch was bedeuten so große Zahlen in einem noch größeren Meer. Der Autor bemüht sich um Relationen:

    "Zum Vergleich: Beim Unglück der Exxon Valdez vor Alaska im Jahr 1989, dessen Folgen für die Biotope noch heute spürbar sind, waren 258.000 Barrel ausgetreten. Diese Menge war bei der Havarie der Deepwater Horizon schon nach gut vier Tagen erreicht. Damit verursachte die Havarie der Deepwater Horizon mit großem Abstand die größte Meeresverschmutzung in der amerikanischen Geschichte."

    Jörg Schindler hat seine "Öldämmerung” mit dem Untertitel: "Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters” versehen und so widmet er sich auf den ersten Seiten ausführlich der jüngsten Ölkatastrophe und den allgemeinen Risiken der Tiefseebohrung.

    Das gelingt ihm außerordentlich gut, er bleibt knapp und präzise in der Form und ordnet die komplizierten biologischen und chemischen Abbauprozesse ebenso verständlich ein wie die wirtschaftlichen und politischen Verwicklungen rund um die gesunkene Ölplattform.

    "Für Präsident Obama hätte die Katastrophe zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Hat er doch gerade erst Ende März einen großen Teil des Offshore-Bereichs vor der Ostküste der USA nach jahrelangem Streit für die Ölindustrie freigegeben, Gebiete, in denen bisher noch nie gebohrt werden durfte."

    Das tat Obama nicht etwa aus eigener Überzeugung, sondern weil er hoffte, durch die umstrittene Freigabe die oppositionellen Republikaner für sein Klimagesetz gewinnen zu können. Wie ein Unglück am andern hängt, liest sich bei Schindler auf den ersten Seiten fast wie ein Krimi. Spannend ist nämlich auch, warum es zu politischen Verwerfungen zwischen der amerikanischen und der britischen Regierung kam:

    "BP ist das größte an der Londoner Börse notierte Unternehmen mit Sitz in Großbritannien. Britische Anlagenfonds und Pensionsfonds haben in kein anderes Unternehmen mehr Geld investiert als in BP."

    Da kann eine Regierung schon mal um ihre Sicherheiten bangen. Ansonsten offenbaren Schindlers Recherchen, dass Sicherheit in der Ölbranche keine Priorität hat:

    "Die Katastrophe der Deepwater Horizon hat auch den Blick auf die ganz "normalen” Praktiken der Öl- und Gasförderung im Golf und ihre Folgen für die Umwelt gelenkt, das mündet in der Erkenntnis: Der Golf ist ein ökologisches Minenfeld. Es gibt dort 27.000 stillgelegte Ölquellen, von denen mehr als 600 BP gehören. Bei den "dauerhaft stillgelegten” Quellen sind Verfahren für deren sicheren Verschluss vorgeschrieben. Für die Kategorie der "zeitweise stillgelegten” Quellen sind die Auflagen weniger streng. Allein im Golf gehören 3500 Quellen dieser Kategorie an. Die zeitweise stillgelegten Quellen müssen innerhalb eines Jahres wieder die Förderung aufnehmen oder aber endgültig stillgelegt werden. Entgegen dieser Vorschrift befinden sich mehr als 1000 dieser Quellen schon seit mehr als zehn Jahren im Zustand "vorläufig stillgelegt”.

    Wer sich also angesichts der AKW-Katastrophe von Fukushima wieder rückbesinnt auf die fossilen Energieträger, der dürfte nach Schindlers Lektüre ins Grübeln kommen, wer sich durch das Kapitel "Die Sicherheitskultur von BP” blättert, dem wird Angst und Bange werden, auch der gut recherchierte Hergang von der Explosion der Plattform bis zum vorläufigen Verschluss der Ölquelle lässt den Leser entsetzt bis Kopf-schüttelnd zurück.

    Schindler schildert den Untergang der Plattform und die Tücken der Tiefseebohrung anschaulich. Dabei überzeugt er mit umfangreichen Recherchen. Das gelingt ihm im zweiten Teil des Buches nicht ganz so gut. Für ihn wird mit dem Untergang der Deepwater Horizon das Ende des Ölzeitalters eingeläutet. Sicherlich sollte so ein Ereignis der Anlass sein, um diese Art der Energiegewinnung zu hinterfragen. Aber dass mit der Explosion der Plattform auch Peak Oil erreicht ist- also der Zeitpunkt an dem das Maximum der globalen Ölförderung erreicht ist - erscheint etwas konstruiert. Vielleicht war Peak Oil schon vorher, vielleicht kommt der Zeitpunkt erst noch. Für Schindler ist er aber jetzt, und die Argumentation kann über die Strecke ermüden:

    "Auf der Erde hat man bisher insgesamt etwa 47.500 Ölfelder gefunden, davon alleine etwa 35.000 in den USA. Von allen Feldern sind nur 507 Felder Giants, weniger als ein Prozent. Von diesen 507 Feldern sind 100 offshore und davon wiederum 27 in der Tiefsee. Die Reserven aller Giants mache etwa 60 bis 70 Prozent aller bisher entdeckten Reserven aus. Diese Angaben hängen davon ab, wie groß man die bisher insgesamt gefundene Ölmenge einschätzt. 232 Giants (46 Prozent) befinden sich im Bereich der OPEC, davon 15 Felder unter den 20 größten der Welt."

    Nachdem wir wissen, wo alle großen Felder liegen, lernen wir wie es um ihre Ausbeutung steht - warum Saudi-Arabien am Fördermaximum steht und die OPEC an der Kapazitätsgrenze. Die Indiziensammlung hält einige Überraschungen bereit, liest sich aber ziemlich zähflüssig. Einige Quellen lassen zudem stutzen:

    "Nach einer Analyse der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik haben inzwischen 26 Regionen/Länder ihren jeweiligen Peak überschritten."

    Ein Blick in den Klappentext verrät, was es mit dieser Ludwig Bölkow-Systemtechnik auf sich hat: der Autor war bis vor drei Jahren der Geschäftsführer dieser GmbH. Dass er sich selbst zitiert, ist weitaus seriöser, als Quellen gar nicht zu kennzeichnen; zweifelsohne, trotzdem verliert Jörg Schindler gegen Ende des Buches ein wenig an Glaubwürdigkeit, weil er unbedingt beweisen will, dass Peak Oil jetzt erreicht ist, dabei aber die vermuteten Ölvorkommen unter der Arktis völlig ignoriert: Namhafte Geologen schätzen, dass bis zu 90 Milliarden Barrel Öl unter der Arktis schlummern. Und dabei hat Schindler ja Recht: Das Verfeuern von fossilen Energieträgern ist umwelt- und klimaschädlich und ihre Vorkommen sind endlich. Ob Peak-Oil nun heute oder morgen erreicht ist oder erst in fünf Jahren - Umdenken tut Not, dass wird - Arktis hin oder her - nach dieser Lektüre dennoch deutlich.

    Jörg Schindler: "Öldämmerung. Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters", oekom Verlag, 128 Seiten, Euro 12,95, ISBN: 978-3-865-81246-9