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Die Schwarze Milch von Rositz

Umwelt. - Seit dem ersten Weltkrieg wurde im thüringischen Rositz Teer und Erdöl verarbeitet. Heute wird die Hinterlassenschaft der Industrie – ein riesiger Teersee namens ''Neue Sorge'' – notdürftig mit Plastikplanen vor der Witterung geschützt. Bislang nahmen Experten an, ein Austrag von Schadstoffen fände nur in geringem Ausmaß und in unbedenklicher Richtung statt. Doch ein Geochemiker der Universität Göttingen kommt jetzt zu einem völlig anderen Ergebnis und schlägt Alarm. Demnach könnten anliegende Ortschaften durch die Gifte bedroht sein.

    Seit dem Ersten Weltkrieg wurde in Rositz Teer und Öl verarbeitet, bis nach der Wiedervereinigung das Teer-Verarbeitungswerk Rositz seine Pforten 1990 schloss. Doch die Spuren der Kohle-Verschwelung sind auch heute noch unübersehbar: so groß wie fünf Fußballfelder ist die notdürftig mit Folie abgedeckte Senke, in der ein ganzer See aus Teer liegt. Die giftigen Hinterlassenschaften stehen heute unter ständiger Kontrolle und warten darauf, Stück um Stück aufbereitet zu werden. Keinen Moment zu spät, meint Tobias Licha, Chemiker und Hydrogeologe vom Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen: "Meine erste Sichtung der vorhandenen Akten ergab, dass bisher sehr wenig gemacht wurde. Bei der detaillierten Untersuchung einer Stoffgruppe, die als leicht löslich und überdies schwer abbaubar gilt, zeigte sich, dass alle vorherigen Annahmen zu dem Standort nicht der Realität entsprachen." So sei vor Ort der Eindruck erweckt worden, das Problem sei im Griff und die Gefahr gebannt. Das Problem: damals seien nur bestimmte Reaktionsprodukte aus der Kohle-Verschwelung am Standort untersucht worden, wie etwa polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, so genannte PAK.

    "Diese Stoffgruppen werden sehr schlecht im Grund transportiert. Davon ausgehend wurde angenommen, dass erst in etwa 400 bis 500 Jahren Wasser samt Schadstoffen das Werksgelände überhaupt ein wenig verlassen würde." Doch diese Hoffnung trog, wie Licha entdeckte. Denn der Chemiker musste bei der Untersuchung einfacherer und leichter lösliche Teergifte aus der Gruppe der Phenole feststellen, dass sie keineswegs direkt am Emissions-Ort verweilen, sondern sich im Grundwasser lösen und mit ihm fortgeschwemmt werden. Anhand von Grundwasserproben aus Beobachtungsbrunnen zeichnete der Göttinger Forscher die Spur der Gifte im Untergrund nach. Dazu holte er Grundwasser-Proben aus mehreren Beobachtungsbrunnen am Standort. Besondere Brisanz erhalten seine Messungen durch geologische Besonderheiten in der Tiefe: Bei Rositz existieren zwei hochdurchlässige und Wasser führende Bodenschichten, die sich einen oberen sowie einen unteren Grundwasserleiter teilen. Beide Grundwasseradern sind überdies durch geflutete Bergwerksstollen miteinander verbunden, über die das Gift ausgetauscht werden kann. "Die Messungen belegen, dass der Grundwasserabstrom gerade im oberen Grundwasserleiter nicht etwa in Richtung Norden, sondern in Richtung Süden auf Rositz selbst zufließt. Doch gerade bei den Orten ist das Messstellennetz nicht gut ausgebaut", konstatiert Tobias Licha. Erschwerend komme hinzu, dass auch Rositz von Hochwasser heimgesucht werde und die Schadstoffe so weiter fortgetragen würden. Schon seien an Messpunkten in unmittelbarer Nähe von Häusern Phenole in bedenklichen Konzentrationen festgestellt worden.

    Licha sieht Parallelen zu einem ähnlichen Fall im Ruhrgebiet vor 20 Jahren. Im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld waren damals Wohnhäuser auf einem alten Zechengelände gebaut worden, in dem ebenfalls Teer-Öl verarbeitet worden war: "Dort trat dann braunes Wasser aus den Kellern. Heute ist heute die ganze Region Dorstfeld quasi verwaist ist. In Rositz könnte Ähnliches passieren, wenn dort nicht regelmäßig über Proben der Wasserfluss kontrolliert wird." In der thüringischen Gemeinde sei allerdings das Problem, dass aufgrund falscher Annahmen die Messbrunnen an den falschen Stellen installiert worden seien. Zwar wolle Licha keine Panik schüren, doch es sei zwingend, jetzt nicht länger die neuen Messergebnisse zu ignorieren: "Wir brauchen auf jeden Fall mehr Forschung auf dem Gebiet, doch unsere Anträge wurden mit dem Hinweis zurückgewiesen, das Problem existiere nicht."

    [Quelle: Volker Mrasek]