Im Glück, heißt es in diesem Roman einmal, muss man sich nicht um die nächsten Schritte kümmern, sondern kann ganz im Moment aufgehen. So gesehen ist es ein wahres Wunder, dass Ana und Adam Glücksgefühle verspüren, die größer kaum sein könnten. Denn von ihrer Beziehung darf niemand wissen, sie verlangt bewusste Planung und Disziplin:
„Wo öffentlich anerkannte, richtige Paare einen Park zur Verfügung haben, hatten Ana und Adam einen Garten. Ein Gärtchen. Ein schrecklich privates Gärtchen, aus dem nichts zu hören war und in das man nicht hineinsehen konnte. Das für andere unkenntlich bleiben musste. (...) Und die Regel waren Hotelzimmer, die sie nur am Nachmittag nutzten, obwohl sie für die ganze Nacht bezahlt hatten.“
Ana und Adam müssen das einschränken, was in der Liebe am schwierigsten einzuschränken ist. Ihre Impulse. Das innere Chaos. Ihre Hotelzimmer finden die beiden Liebenden anfangs in Ljubljana. Bald schon müssen sie aber in kleine Städtchen in der Umgebung ausweichen, dann in Orte, die weiter entfernt liegen.
Geheimdienst und Widerstand
Die Schriftstellerin Ana Schnabl hat ihren Roman ins Slowenien der 80er-Jahre verlegt, genauer: in die Jahre 1985 und 1986, als der Wunsch im Land größer wurde, von Jugoslawien unabhängig zu sein. Ihre Hauptfigur, die junge Ana Miler, arbeitet als Lektorin für ein großes staatliches Verlagshaus. Adam Bevk, ihr Geliebter, ist ein Literaturprofessor mittleren Alters, der vor Jahren einmal einen Roman veröffentlicht hat und jetzt erneut einen Versuch startet. Sein noch unvollendetes Buch „Meisterwerk“ hat Ana zur Publikation angenommen.
Zwei Liebende, die beide Familie haben – diese Konstellation wird durch Verstrickungen im Hintergrund zusätzlich erschwert. Ana spioniert seit Jahren für den slowenischen Geheimdienst ihre Autorinnen und Autoren aus, Adam wiederum ist in der Widerstandsszene rund um eine berüchtigte Literaturzeitschrift unterwegs. Auch wenn Adam eher phlegmatisch wirkt und sich selbst allenfalls für einen Epigonen revolutionärer Ideen hält, sind Anas Kontaktpersonen beim Geheimdienst der Meinung, Adam könnte ein gefährlicher Dissident sein. Ana will Adam aber nicht verraten. Dass sie ihren beruflichen Erfolg dem Geheimdienst verdankt und dass sie vor allem aus Opportunismus handelt, bemerkt Adam bei aller Verliebtheit schnell:
Ein Netz von Äderchen
„'Ana, du bist jung', sagte er, sein Brötchen kauend, ihr blieb der Bissen bei der Bemerkung fast im Hals stecken, ‚wie bist du so jung so hoch aufgestiegen?‘ Mit der restlichen Brötchenhälfte tunkte er das zerflossene Eigelb auf. Gespannt folgte er dem Tanz des Brotes, während sich Ana zurücklehnte und auf seine Stirn starrte. Natürlich hatte er eine Vermutung, und wenn sie sich verstellte, würde sie ihn erniedrigen. (...) Aber sie wagte nicht zu glauben, dass auch er sie furchtbar ernst nahm.“
Doch Adam nimmt Ana sehr ernst, so lange jedenfalls, bis eine große Entscheidung ansteht. Und in gleicher Weise nimmt Ana Schnabl ihre Figuren ernst. An einer Stelle ist von dem „Netz der ausgeprägten Äderchen“ auf Anas Hand die Rede. Ähnlich spinnt Schnabl ein Netz feiner psychologischer Verbindungslinien zwischen ihren Figuren. Man merkt es ihren Gedankengängen an, dass sie sich immer wieder mit Psychoanalyse beschäftigt hat. So wie in den Gesprächen von Ana und Adam noch die kleinste geistige Regung und die unscheinbarste Empfindung aus der Perspektive der Figuren gezeigt wird, tritt auch der verdrängte Anteil im Denken mancher Figur hervor.
Klaus Detlef Olof hat Schnabls durchreflektierte Sprache in ein gut lesbares Deutsch verwandelt. Am intensivsten wirkt hier vielleicht Vera nach, Adams Ehefrau, die ihren Mann durchschaut und zugleich subtil manipuliert.
Das Wagnis der Offenheit
Bei all dem schafft es Ana Schnabl, die Liebesbeziehung mit der politischen Situation im Slowenien jener Jahre zu verschränken. In der Erwähnung von Punkbands oder subkulturellen Magazinen macht sie spürbar, dass der revolutionäre Aufbruch in Slowenien eher einer diffusen Stimmung ähnelte als einer Bewegung, die von konkreten Ideen lebte. Gleichwohl wird deutlich: Wie die bedingungslose Liebe kann auch die Revolution nur gelingen, wenn man bereit ist, alle Bequemlichkeit, alle Routinen hinter sich zu lassen und das Wagnis der völligen Offenheit einzugehen. Einer Offenheit, die einem tiefen Schmerz gleichen kann, wie Adam einmal bemerkt:
„Wenn die Freiheit doch wenigstens nicht so verdammt schwierig wäre (...), wenn die Freiheit doch nicht so wehtun würde, im Magen, in den Nieren, in der Leber“.
Auch wenn sich Ana Schnabl manchmal im Vokabular der Psychoanalyse verfängt und ihrem Roman eine überflüssige selbstreflexive Volte anhängt – das Buch macht seinem Titel alle Ehre. Und es endet wundersam mehrdeutig. Die Wörter, heißt es da, sind zwar schmutzig und trüb, aber sie haben noch nie zuvor stärker geblendet.
Ana Schnabl: „Meisterwerk“
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof.
Folio Verlag, Wien und Bozen, 227 Seiten, 22 Euro.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof.
Folio Verlag, Wien und Bozen, 227 Seiten, 22 Euro.