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Die sichtbare und die unsichtbare Welt

Roni Horn hat sich nie als Fotografin, Malerin, Zeichnerin oder Bildhauerin begriffen, sondern immer als Gesamtkonzept. In der von ihr selbst kuratierten Ausstellung hat sie Arbeiten aus allen Werkphasen zusammengestellt - von Fotos über Installationen mit riesenhaften Buchstaben bis hin zu Videos.

Von Christian Gampert | 16.12.2012
    Roni Horn hat sich nie als Spezialistin begriffen, als Fotografin, Malerin, Zeichnerin, Bildhauerin, sondern immer als das Gesamtkonzept Roni Horn. Es gibt ein Thema und ein Medium, und daraus entsteht etwas, das meist mit etwas sehr Persönlichem zu tun hat, aber durch die Kunst verobjektiviert wird.

    Gleich der erste Raum mit Selbstporträts führt ins Zentrum des Geschehens: es sind Fotos aus allen Lebensphasen der Künstlerin, die natürlich alle ins gleiche Format gebracht und bearbeitet sind – das Schwarz-Weiß der frühen Kindheitsbilder wird noch nachkriegsbetonter, das seltsam historisch wirkende Bunt der Jugendfotos noch fremder gemacht. Die Fotos sind motivisch geordnet, oft zu Paaren zusammengestellt, sodass man sieht, wie ein skeptischer Gesichtsausdruck schon bei der Sechsjährigen da ist und bei der Zwanzigjährigen wieder auftaucht. Und bei der Fünfzigjährigen, etwas abgeklärter, immer noch durchscheint.

    Vor allem aber spielen diese Bilder mit der Geschlechts-Identität, weil oft nicht klar ist, ob man es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hat. Oder mit beidem. Das brave Mädchen mit Zöpfen, der adoleszente junge Mann mit Façon-Schnitt, der Aussteiger-Hippie mit wild wuchernder, androgyner Haartracht und die distanzierte, kurzhaarig-grau melierte Intellektuelle –eine amerikanische Biografie des späten 20. Jahrhunderts. Die eigene Kindheit, die Familienfotos so preiszugeben, ist einerseits mutig, andererseits ein bisschen modisch, aber dann doch künstlerisch sehr geglückt – weil die eigene Person nur als Beispiel für ein generelles Dazwischen genommen wird: zwischen den Stühlen, den Geschlechtern, den Identitäten.

    Die Ausstellungen, die man in den letzten Jahren von Roni Horn im deutschsprachigen Südwesten sehen konnte, umspielten dieses Grund-Thema mit jeweils anderer Betonung: im Fotomuseum Winterthur sah man vor allem die Bilder der Themse, die in immer neuen Varianten sich krümmende, spiegelnde, immer andere Fältelungen bildende Wasseroberfläche. Wenn man weiß, dass die Themse der Fluss ist, der europaweit die meisten Selbstmörder anzieht, dann ist das aber auch eine Studie über das Grauen, über den Abgrund in jedem von uns. Im Kunsthaus Bregenz präsentierte Horn 2010 dann einen Raum mit geschliffenen runden Glas-Sockeln, die jene arktische Kühle und Glätte verkörperten, die Horn in Island, ihrer zweiten Heimat, so faszinieren.

    In München, in der Sammlung Goetz, hat Horn nun selbst kuratiert und einen Querschnitt zusammengestellt, der von den Fotos über eine Installation mit riesenhaften Buchstaben, die frei im Raum vagabundieren, bis zu den seltsamen Stäben mit Sinnsprüchen der Dichterin Emily Dickinson reicht. Die Sprache ist es, die den Reiz dieser Ausstellung ausmacht – in einer Video-Installation sieht man Horn, manisch ihre Texte rezitierend, in der isländischen Einsamkeit sitzen, eine energische Person, eine Art Hochschuldozentin in der Wildnis der Postmoderne.

    In München sind Arbeiten aus allen Werkphasen konzentriert versammelt: sie sind meist diptychonartig angeordnet, egal, ob es sich um verwischte Clownsnasen von vorn oder gefiederte Vogelköpfe von hinten handelt. Ich bin mein eigener Zwilling, scheint die Künstlerin uns ständig zu bedeuten. Beeindruckend sind vor allem die frühen Pigment-Arbeiten – weniger wegen der organoiden farbigen Formexperimente, sondern wegen der Cy Twomblyhaften, aus geometrischen Fragmenten zusammengeschnittenen weißen Leere, die diese Bilder grundiert.

    Eine eigene Abteilung bilden die Künstlerbücher – in ihnen spielt die Landschaft eine Hauptrolle, Felsspalten in Island, Geysire, Blicke in die Wolken und aufs Meer. Dass ein Ort sich auch in einem Gesicht spiegelt, ist schlussendlich in der raumfüllenden Serie "You are the weather" zu sehen: die Züge einer jungen Frau, Tageszeiten, Beleuchtung, Wetter, Perspektive, Farbigkeit variieren, aber nur ganz leicht, kleine Veränderungen. Und es ist, als ob der Prozess des Alterns hier wie unter dem Mikroskop untersucht wird. Du bist immer nur du selbst, aber eben warst du noch ein ganz anderer.