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Die Situation nordkoreanischer Flüchtlinge in China

    Engels: Am Telefon begrüße ich Ulrich Niemann. Er ist der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, also in Südkorea. Herr Niemann, es ist ja nicht das erste Mal, dass Nordkoreaner in Vertretungen in Peking flüchten. Wie könnte denn ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation aussehen?

    Niemann: Wir wissen, dass bereits seit Jahren Menschen versuchen, aus Nordkorea die geschlossene Grenze zu dem durch Reformen wirtschaftlich aufblühenden China zu überwinden, um Hunger und Elend in Nordkorea, vor allem auf dem Lande zu entkommen. Inzwischen - wie schon gesagt - hat sich nach hiesigen Schätzungen diese Zahl auf über 100.000 erhöht. China, bisher enger Verbündeter des stalinistischen Regimes in Nordkorea, verwehrte ihnen bisher den Flüchtlingsstatus, und droht ihnen bei Festnahme mit Rücktransport. Und das ist das Neue hier, dass Hilfsorganisationen offenbar gezielt spektakuläre Aktionen wie die Zuflucht in Botschaften unterstützen, um auf die Lage dieser nordkoreanischen Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Da war es also nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die deutsche Vertretung im Botschaftsviertel in Peking betroffen sein würde.

    Engels: Ist das denn aus Ihrer Sicht eine hilfreiche Politik dieser Hilfsorganisationen, dieses Problem mehr ins Zentrum zu rücken, oder setzt man da nicht die chinesische Seite sehr unter Druck?

    Niemann: Also die chinesische Regierung hatte zunächst mit einer kompromisslosen Haltung reagiert und auf der Auslieferung aller Flüchtlinge bestanden. Es wurde mitunter auch physische Gewalt angewandt, und Flüchtlinge wurden vom Botschaftsterrain wieder zurückgezerrt. Aber - das muss ich hier grundsätzlich feststellen - für das kommunistische Riesenreich China haben sich mit der Öffnung des Landes und vor allem zunehmender wirtschaftlicher Beziehungen zum Ausland auch die Zeiten geändert. Es waren ja gerade die internationalen Proteste, vor allem der Länder mit den betroffenen Botschaften, die dazu geführt haben, dass China die Botschaftsflüchtlinge wohl zähneknirschend inzwischen über Drittländer nach Südkorea einreisen lässt, und das ist auch im Falle der deutschen Botschaft zu hoffen.

    Engels: Es ist zu hoffen. Nun fällt ja auf - sie haben jetzt gesagt, es wird nun stärker von den Hilfsorganisationen in den Vordergrund gerückt -, dass diese Zahl der fliehenden Nordkoreaner zunimmt. Welche aktuellen Informationen haben Sie denn über die alltägliche Situation in Nordkorea?

    Niemann: Die Führung in Nordkorea steht vor einem Dilemma. Die Führungsclique des Landes hat sich in der Vergangenheit von der Außenwelt und somit der Globalisierung total abgeschottet, um das Überleben dieses totalitären Regimes zu sichern. Das hat aber zu einem totalen wirtschaftlichen Niedergang und Hungersnöten geführt, die wiederum die Existenz dieser Diktatur bedrohen könnten. Es war vielleicht diese Einsicht und die Aussicht auf schnelle Nahrungshilfe, die Kim Jong Il bewegt haben könnten, die ausgestreckte Hand des auf Entspannung und Kooperation setzenden südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung anzunehmen. Aber was sich aus dem wiederaufgenommenen innerkoreanischen Dialog und den ersten marktwirtschaftlichen Experimenten im Norden entwickeln wird, kann man zur Zeit noch nicht verbindlich prognostizieren. Es ist klar, dass eine Öffnung Nordkoreas angesichts der Teilung des Landes höchstwahrscheinlich nur eins zur Konsequenz haben würde: die Wiedervereinigung. Und dies eher schnell als langfristig.

    Engels: Nun hat ja Nordkorea gerade gestern Gespräche mit dem Süden abgesagt. Grund seien die Bewältigung der jüngsten Taifun-Schäden, die es auch im Norden gäbe. Ist das im Moment ein Versuch, die Gespräche aufzuschieben, weil man ganz andere Interessen hat, oder ist zu befürchten, dass tatsächlich die Umweltschäden durch diesen Taifun auch im Norden verheerend waren?

    Niemann: Wir wissen zur Zeit, dass die Schäden auch große Ausmaße im Norden haben. Der Taifun hatte zwar nicht mehr die Wucht, die er im Süden gezeigt hat, aber bei der desolaten Lage des Landes sind auch geringere Kräfte dieses Unwetters geeignet gewesen, dort große Schäden anzurichten. Das kann aber auch ein vorgeschobenes Argument sein, dass man nämlich selbst vom Tempo der innerkoreanischen Gespräche während der letzten Woche überrascht war, und zunächst einmal auch auf die Nahrungsmittelhilfe warten will, die der Süden jetzt zugesagt hat, weil man bei den Gesprächen vorangekommen war.

    Engels: Kommen wir noch einmal auf die Botschaftsflüchtlinge zu sprechen. Sie haben es angesprochen, 100.000 Nordkoreaner werden in China vermutet. Da drängen sich ja Parallelen auf, ob ein möglicher Exodus, wie er hier zu Wendezeiten in Europa in die Prager Botschaft der deutschen Flüchtlinge aus der DDR beispielsweise zu beobachten war, sich auch in Peking wiederholt, das heißt: wird diese Zahl der Fluchtversuche weiter steigen?

    Niemann: Bei der jetzigen wirtschaftlichen in Nordkorea wird der Flüchtlingsstrom definitiv nicht abreißen. Es ist nur so: Sie haben dort eine geschlossene Grenze, und von beiden Seiten wird versucht, Flüchtlinge davon abzuhalten, über die Grenze zu kommen. Aber es sickern immer noch genug Flüchtlinge durch, um dieses Problem zu einer sehr dringenden Angelegenheit zu machen, und mit dem Ausweg über die Asylsuche in Botschaften ist hier sicherlich nicht geholfen. Man muss eine grundsätzliche Lösung ganz schnell herbeiführen.

    Engels: Da wird doch auch wahrscheinlich Peking ein Interesse daran haben. Wie könnte eine solche Lösung aussehen?

    Niemann: Absolut. Das ist aber für die Pekinger Führung sehr schwer zu beantworten, weil einerseits, wenn sie jetzt den Flüchtlingsstatus gewährt, kann es im Grunde genommen zu einem weiteren anwachsenden Druck von Flüchtlingen aus Nordkorea kommen, und man würde auch seinen Verbündeten verprellen, vielleicht sogar jetzt wieder in kleinen Schritten begonnene Reformen wieder hinauszögern.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio