Stefan Heinlein: Kein Stoppsignal in Sicht. Die Deutsche Bahn rast ungebremst auf den größten Streik ihrer Geschichte zu. Schon morgen Früh wird zunächst der Güterverkehr aufs Abstellgleis gestellt. In den nächsten Tagen droht auch Stillstand im Personenverkehr. Die Gewerkschaft der Lokführer scheint zu allem entschlossen, um ihre 30-Prozent-Forderung durchzusetzen. Kein schöner Zug, meinen Vertreter der deutschen Industrie, denn die Streiklust der Lokführer kommt der deutschen Wirtschaft teuer zu stehen. Bis zu einer halben Milliarde Euro Verlust könnten jeden Tag zu Buche schlagen, so die Rechnung einiger Volkswirte. Schon warnen einige vor einer drohenden Konjunkturdelle.
Bei mir am Telefon ist nun der stellvertretende FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Guten Morgen!
Rainer Brüderle: Guten Morgen Herr Heinlein!
Heinlein: Dürfen 8.000 Lokführer den deutschen Aufschwung gefährden?
Brüderle: Na ja, so kann man die Frage nicht stellen. Dahinter stehen ja andere Zusammenhänge. Es hat sich eben gerächt, dass über Jahre oder Jahrzehnte von Teilen der Gewerkschaften eine Sockelbedarfspolitik, eine Nivellierungspolitik betrieben wurde, so dass eben Menschen, die besonders hohe Verantwortung haben - denken Sie an den ICE-Führer, der mit 350 Stundenkilometer fahren muss - sich sagen, wenn bei mir die Zuwächse die gleichen sind wie bei jemand, der salopp gesprochen hinterm Schalter sitzt, die Fahrkarte locht, dann akzeptiere ich das nicht. Wir erleben jetzt einfach den Ausschluss einer über Jahre aufgebauten falschen Tarifpolitik. Das entlädt sich jetzt an diesem Punkt.
Deshalb ist es um so wichtiger, dass man hier einen vernünftigen Ansatz wählt. Wir haben ja ohnehin das Phänomen, dass die Gewerkschaften, die DGB-Gewerkschaften, jedes Jahr 500.000 Mitglieder verlieren. Die Arbeitgeberverbände verlieren in großem Umfang Mitglieder. Das sind alles Zeichen dafür, dass die Art der Tarifpolitik der Vergangenheit heute nicht mehr passt. Deshalb zeigt sich jetzt hier zugespitzt an diesem Konflikt ganz aktuell, wenn morgen die Maßnahmen beginnen, dass man etwas verkehrt gemacht hat und dass man deshalb auch jetzt eine Kurskorrektur betreiben muss.
Heinlein: Einige Ihrer Abgeordnetenkollegen gerade von der CDU sehen dies aber weniger entspannt. Ihr Kollege Fuchs von der CDU sagt, die Wirtschaft werde in Geiselhaft genommen durch die Lokführer.
Brüderle: Das ist bei Streiks immer, dass Unbeteiligte, die eigentlich nichts dafür können, quasi die Auswirkungen ertragen müssen. Um so wichtiger ist es - und da bin ich doch noch ein bisschen hoffnungsvoll -, dass sich ein Stück Bewegung ja die letzten Stunden gezeigt hat, die Bereitschaft, doch einen Mediator oder Schlichter zu akzeptieren, um Vernunft walten zu lassen. Die 31 Prozent der Lokführer sind ja als Zahl in den Raum gestellt. Darum geht es meines Erachtens im Kern nicht, sondern die wollen eben ihre besondere Verantwortung stärker berücksichtigt sehen und wollen rauskommen aus dem Kartell der Monopolgewerkschaft, faktisch von Transnet, sondern auch einen eigenen Ansatz sehen. Darum geht es im Kern, dass wir eine differenzierte Lohnfindung brauchen, dass man auch die Möglichkeit der Bündnisse für Arbeit in den Betrieben braucht, ohne dass die beiden Kartellbrüder, quasi Arbeitgeber, Arbeitnehmervertreter/Gewerkschaften, dem zustimmen. Unser Vorschlag ist, wenn 75 Prozent in freier geheimer Abstimmung sagen, wir wollen einen anderen Weg gehen, müssen sie auch das Recht haben. Im Grunde geht es darum, die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu stärken und die der Funktionäre ein Stück zu beschneiden.
Heinlein: Aber die von Ihnen genannte Zahl sind nur rund 3 Prozent der Bahnbeschäftigten. Ist es denn in Ordnung, wenn eine solch kleine berufsständische Genossenschaft, so eine kleine Gewerkschaft die Interessen ihrer Mitglieder kompromisslos durchsetzen will, auch auf Kosten von einem großen gewaltigen volkswirtschaftlichen Schaden?
Brüderle: Nein, das ist nicht in Ordnung. Deshalb setze ich ja darauf, dass die Vernunft einkehrt. Aber man muss die Sache etwas umfassender sehen, darf sie jetzt nicht nur punktuell sehen, wenn morgen der Streik beginnt. Die Auswirkungen, die in der Tat gravierend sein können, obwohl man sie auch nicht übertreiben darf. Der Anteil der Deutschen Bahn an den Gütertransporten in Deutschland insgesamt ist 14 Prozent. Mehr Anteil hat die Bahn überhaupt nicht. So groß ist es nicht. Das meiste geht über die Straße. 78 Prozent der Transporte gehen über die Straße und nicht über die Bahn. Ich wünsche mir mehr Bahnanteil.
Also man muss da die Kirche im Dorf lassen. Ich wünsche mir keinen Streik. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. Aber ich hoffe vor allen Dingen, dass man die Konsequenzen aus der Situation zieht und zukünftig differenzierter vorgeht und nicht eine Politik betreibt, die dazu führt, dass dann Spezialisten sich absentieren, Sonderwege gehen und damit eine zersplitterte Tariflandschaft entsteht. Tarifautonomie hat eine hohe Verantwortung, nicht nur das Solidaritätsprinzip durchzusetzen, dass möglichst jeder das gleiche kriegt, sondern auch die differenzierten Anforderungen gerecht und fair gemäß dem, was den einzelnen dann auch an Verantwortung zukommt, zu differenzieren und abzuschließen. Das ist in der Vergangenheit zu wenig geschehen. Deshalb hoffe ich, dass man über den Tag der Lösung jetzt des akuten Konflikts hinaus Konsequenzen zieht und dass man bei Arbeitgebern und Gewerkschaften in Zukunft mit mehr Fantasie und neuen Ansätzen an die Auseinandersetzungen herangeht, nicht wie jetzt in den Schützengräben festgefahren ist, man ohnehin den Eindruck hat, dass an der Spitze mit Herrn Mehdorn und Herrn Schell auch zwei, wie die Süddeutsche schreibt, sehr eigenwillige Köpfe stehen, die den Konflikt nicht erleichtern, sondern eher verschärfen.
Heinlein: Reden wir noch einen Moment über diese von Ihnen auch erwähnte drohende Zersplitterung der Tariflandschaft in Deutschland. Ist das eine große Gefahr für die deutsche Wirtschaft, wenn immer kleinere Gewerkschaften versuchen, ihre Einzelinteressen der Gewerkschaften durchzusetzen, ihrer Mitglieder durchzusetzen? Wir haben ja andere Beispiele: die Piloten oder auch die Ärzte in der Vergangenheit oder die Fluglotsen.
Brüderle: Das ist eine Gefahr. Wir kennen das aus vergangener Zeit aus England, aus der Zeit vor Thatcher. Da gab es diese Kleingewerkschaften, die sehr aggressiv vorgingen. Aber diese Folgewirkung der Zersplitterung hat eine Ursache und deshalb appelliere ich, die Ursachen anzugehen und die Tarifpolitik in Zukunft flexibler zu gestalten, die Bündnisse für Arbeit in den Betrieben. Das sind ja alles erwachsene Menschen, Volljährige. Ich sage noch mal: 75 Prozent in geheimer Abstimmung müssen das Recht haben, eigene Wege zu gehen, und dürfen nicht länger so einseitig von Funktionären bevormundet werden. Das ist hier nicht nur eine Gewerkschaftsfrage. Sie sehen es etwa bei den Arbeitgeberverbänden in Ostdeutschland, die einen ganz, ganz geringen Organisationsgrad haben, auch in Westdeutschland zum großen Prozentsatz wieder austreten, weil sie sagen, so wie ihr das macht in den Schemata von gestern geht es nicht. Es gilt nicht nur das Phänomen der Zersplitterung, was ich nicht will und was ich sorgenvoll betrachte, isoliert zu betrachten, sondern den Zusammenhang zu sehen, dass man eben mit der permanenten Nivellierung spezialisiert mit hoher Verantwortung versehene Berufe geradezu in Sonderpositionen hineinzwingt. Am Schluss haben wir dann eine Situation, die keiner haben will, die dann gefährlich ist, aber vorher, wenn die Warnungen da sind, macht es ein bisschen intelligenter, macht es differenzierter, macht es fairer, macht es gerechter, werden sie ignoriert. Erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann ist das große Geschrei da. Also ein bisschen mehr Verstand in die Entwicklung muss schon hinein.
Heinlein: Eine Ursache für diese wachsende Zersplitterung der Tariflandschaft, die Sie nicht erwähnt haben, Herr Brüderle, ist ja auch die Privatisierung. Früher waren Bahnbeschäftigte allesamt Beamte. Sie durften nicht streiken. Nun ist diese Zeit der Staatsunternehmen auch bei der Post vorbei. Erleben wir jetzt die negativen Seiten einer flächendeckenden Privatisierung?
Brüderle: Das glaube ich nicht. Sie erleben es doch im öffentlichen Dienst, wo nicht Beamte sind. Nehmen Sie einmal die berühmten Müllwerker. Wenn ver.di die Müllwerker zur Stelle ruft - und der Klunker hat noch als ÖTV-Chef mal fast Willy Brandt damit gestürzt -, dann hat das extreme Auswirkungen bei 0,0 Arbeitsplatzrisiko. Das ist ja faktisch bei Angestellten genauso wie bei Beamten im öffentlichen Dienst. Daran liegt es nicht. Ich glaube im Gegenteil, dass die Privatisierung auch die Chance mit sich bringt, dass man differenzierter vorgeht und besser vorgeht. Die Staatsmonopole - das stellen wir doch in vielen Bereichen fest - sind nicht mehr zeitgemäß. Sie sind zu inflexibel. Und Sie wissen von der Erdgeschichte: die Dinosaurier sind ausgestorben. Das waren diese Riesenviecher mit kleinem Hirn. Wir brauchen heute viel Hirn und wenig Körpervolumen, viel Flexibilitäten. Das ist eine andere Zeit in der Globalisierung, Europäisierung, in der Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Da kann man sich nicht zurücksehnen nach dem warmen Ofen der Staatswirtschaft, wo alles so bequem und sicher ist, aber auf niedrigem Niveau.
Heinlein: Aber wenn wir diese Entwicklung weiterdenken und künftig etwa Angestellte von Wasserwerken oder Stromversorgern separat für ihre Einzelinteressen streiken und kämpfen und dann auch wie jetzt die Lokführer einen eigenen Tarifvertrag verlangen, werden dann Unternehmen nicht beliebig erpressbar? Gibt es dann noch eine Waffengleichheit der Tarifpartner?
Brüderle: Herr Heinlein das ist in der Tat die Sorge, die ich ja mit Ihnen teile. Darum sage ich, macht es doch bitte in der Tarifautonomie, in der hohen Verantwortung, die hier beide Tarifvertragsparteien haben, intelligenter. Macht es differenzierter.
Heinlein: Was heißt denn intelligent und differenziert?
Brüderle: Indem man keinen Einheitstarifvertrag macht und dass man zum Beispiel wie oft in der Vergangenheit gesagt hat, jeder kriegt 300 D-Mark Erhöhung als Sockelbetrag und dann ein geringer Prozentsatz. Das hat doch dazu geführt, dass wir heute tatsächlich bei ICE-Lokführern ein Niveau haben von etwas über 2.000 Euro Brutto, was verglichen zu der Verantwortung mit den hohen Geschwindigkeiten, der hohen Technologie zu fahren in der Relation zu anderen Tätigkeiten nicht mehr stimmt. Das ist doch der Fehler, dass man das zu sehr nivelliert hat. Wenn jetzt die Piloten oder die Ärzte sagen, wenn ich das gleiche habe wie der Pförtner, jetzt auch vereinfacht gesprochen, dann mache ich das so nicht mehr. Dann ist irgendwann Schluss. Die Situation haben wir in Teilen erreicht. Deshalb plädiere ich dafür, dass man stärker nach den Tätigkeitsmerkmalen, stärker nach Betriebssituation, Branchensituation differenzierter vorgehen muss.
Heinlein: Also Herr Schell hat Recht?
Brüderle: Herr Schell hat zu einem Teil Recht. Zum Teil hat er Recht, dass die Art auch wie Herr Mehdorn einseitig mit Herrn Hansen von Transnet die Politik nach meinem Eindruck bestimmt hat dazu geführt hat, dass bei den Lokführern nicht nur Nachwuchsprobleme da sind, sondern ein tiefes Ungerechtigkeitsempfinden. Nur er hat nicht Recht, wenn er jetzt meint, mit dem Streik und Kopf durch die Wand, mit dem gleichen Sturkopf Mehdorn zu Lasten der Volkswirtschaft vorzugehen, sondern die sollen sich auf den Hintern setzen, einen vernünftigen Schlichter nehmen - vor kurzem hat der Wolfgang Clement das hervorragend in der Bauwirtschaft gemacht - und damit eine Basis finden, dass der Trend in die Zukunft hinein vernünftiger austariert ist und man weg kommt von dieser schematischen Lohnpolitik, die die Mitglieder der Gewerkschaften raustreibt aus der Organisation und die dazu führt, dass wir auch bis hin zum Nachwuchs ernste Probleme in der Arbeitsmarktstruktur haben.
Heinlein: Der stellvertretende FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Brüderle, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Brüderle: Auf Wiederhören Herr Heinlein.
Bei mir am Telefon ist nun der stellvertretende FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Guten Morgen!
Rainer Brüderle: Guten Morgen Herr Heinlein!
Heinlein: Dürfen 8.000 Lokführer den deutschen Aufschwung gefährden?
Brüderle: Na ja, so kann man die Frage nicht stellen. Dahinter stehen ja andere Zusammenhänge. Es hat sich eben gerächt, dass über Jahre oder Jahrzehnte von Teilen der Gewerkschaften eine Sockelbedarfspolitik, eine Nivellierungspolitik betrieben wurde, so dass eben Menschen, die besonders hohe Verantwortung haben - denken Sie an den ICE-Führer, der mit 350 Stundenkilometer fahren muss - sich sagen, wenn bei mir die Zuwächse die gleichen sind wie bei jemand, der salopp gesprochen hinterm Schalter sitzt, die Fahrkarte locht, dann akzeptiere ich das nicht. Wir erleben jetzt einfach den Ausschluss einer über Jahre aufgebauten falschen Tarifpolitik. Das entlädt sich jetzt an diesem Punkt.
Deshalb ist es um so wichtiger, dass man hier einen vernünftigen Ansatz wählt. Wir haben ja ohnehin das Phänomen, dass die Gewerkschaften, die DGB-Gewerkschaften, jedes Jahr 500.000 Mitglieder verlieren. Die Arbeitgeberverbände verlieren in großem Umfang Mitglieder. Das sind alles Zeichen dafür, dass die Art der Tarifpolitik der Vergangenheit heute nicht mehr passt. Deshalb zeigt sich jetzt hier zugespitzt an diesem Konflikt ganz aktuell, wenn morgen die Maßnahmen beginnen, dass man etwas verkehrt gemacht hat und dass man deshalb auch jetzt eine Kurskorrektur betreiben muss.
Heinlein: Einige Ihrer Abgeordnetenkollegen gerade von der CDU sehen dies aber weniger entspannt. Ihr Kollege Fuchs von der CDU sagt, die Wirtschaft werde in Geiselhaft genommen durch die Lokführer.
Brüderle: Das ist bei Streiks immer, dass Unbeteiligte, die eigentlich nichts dafür können, quasi die Auswirkungen ertragen müssen. Um so wichtiger ist es - und da bin ich doch noch ein bisschen hoffnungsvoll -, dass sich ein Stück Bewegung ja die letzten Stunden gezeigt hat, die Bereitschaft, doch einen Mediator oder Schlichter zu akzeptieren, um Vernunft walten zu lassen. Die 31 Prozent der Lokführer sind ja als Zahl in den Raum gestellt. Darum geht es meines Erachtens im Kern nicht, sondern die wollen eben ihre besondere Verantwortung stärker berücksichtigt sehen und wollen rauskommen aus dem Kartell der Monopolgewerkschaft, faktisch von Transnet, sondern auch einen eigenen Ansatz sehen. Darum geht es im Kern, dass wir eine differenzierte Lohnfindung brauchen, dass man auch die Möglichkeit der Bündnisse für Arbeit in den Betrieben braucht, ohne dass die beiden Kartellbrüder, quasi Arbeitgeber, Arbeitnehmervertreter/Gewerkschaften, dem zustimmen. Unser Vorschlag ist, wenn 75 Prozent in freier geheimer Abstimmung sagen, wir wollen einen anderen Weg gehen, müssen sie auch das Recht haben. Im Grunde geht es darum, die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu stärken und die der Funktionäre ein Stück zu beschneiden.
Heinlein: Aber die von Ihnen genannte Zahl sind nur rund 3 Prozent der Bahnbeschäftigten. Ist es denn in Ordnung, wenn eine solch kleine berufsständische Genossenschaft, so eine kleine Gewerkschaft die Interessen ihrer Mitglieder kompromisslos durchsetzen will, auch auf Kosten von einem großen gewaltigen volkswirtschaftlichen Schaden?
Brüderle: Nein, das ist nicht in Ordnung. Deshalb setze ich ja darauf, dass die Vernunft einkehrt. Aber man muss die Sache etwas umfassender sehen, darf sie jetzt nicht nur punktuell sehen, wenn morgen der Streik beginnt. Die Auswirkungen, die in der Tat gravierend sein können, obwohl man sie auch nicht übertreiben darf. Der Anteil der Deutschen Bahn an den Gütertransporten in Deutschland insgesamt ist 14 Prozent. Mehr Anteil hat die Bahn überhaupt nicht. So groß ist es nicht. Das meiste geht über die Straße. 78 Prozent der Transporte gehen über die Straße und nicht über die Bahn. Ich wünsche mir mehr Bahnanteil.
Also man muss da die Kirche im Dorf lassen. Ich wünsche mir keinen Streik. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. Aber ich hoffe vor allen Dingen, dass man die Konsequenzen aus der Situation zieht und zukünftig differenzierter vorgeht und nicht eine Politik betreibt, die dazu führt, dass dann Spezialisten sich absentieren, Sonderwege gehen und damit eine zersplitterte Tariflandschaft entsteht. Tarifautonomie hat eine hohe Verantwortung, nicht nur das Solidaritätsprinzip durchzusetzen, dass möglichst jeder das gleiche kriegt, sondern auch die differenzierten Anforderungen gerecht und fair gemäß dem, was den einzelnen dann auch an Verantwortung zukommt, zu differenzieren und abzuschließen. Das ist in der Vergangenheit zu wenig geschehen. Deshalb hoffe ich, dass man über den Tag der Lösung jetzt des akuten Konflikts hinaus Konsequenzen zieht und dass man bei Arbeitgebern und Gewerkschaften in Zukunft mit mehr Fantasie und neuen Ansätzen an die Auseinandersetzungen herangeht, nicht wie jetzt in den Schützengräben festgefahren ist, man ohnehin den Eindruck hat, dass an der Spitze mit Herrn Mehdorn und Herrn Schell auch zwei, wie die Süddeutsche schreibt, sehr eigenwillige Köpfe stehen, die den Konflikt nicht erleichtern, sondern eher verschärfen.
Heinlein: Reden wir noch einen Moment über diese von Ihnen auch erwähnte drohende Zersplitterung der Tariflandschaft in Deutschland. Ist das eine große Gefahr für die deutsche Wirtschaft, wenn immer kleinere Gewerkschaften versuchen, ihre Einzelinteressen der Gewerkschaften durchzusetzen, ihrer Mitglieder durchzusetzen? Wir haben ja andere Beispiele: die Piloten oder auch die Ärzte in der Vergangenheit oder die Fluglotsen.
Brüderle: Das ist eine Gefahr. Wir kennen das aus vergangener Zeit aus England, aus der Zeit vor Thatcher. Da gab es diese Kleingewerkschaften, die sehr aggressiv vorgingen. Aber diese Folgewirkung der Zersplitterung hat eine Ursache und deshalb appelliere ich, die Ursachen anzugehen und die Tarifpolitik in Zukunft flexibler zu gestalten, die Bündnisse für Arbeit in den Betrieben. Das sind ja alles erwachsene Menschen, Volljährige. Ich sage noch mal: 75 Prozent in geheimer Abstimmung müssen das Recht haben, eigene Wege zu gehen, und dürfen nicht länger so einseitig von Funktionären bevormundet werden. Das ist hier nicht nur eine Gewerkschaftsfrage. Sie sehen es etwa bei den Arbeitgeberverbänden in Ostdeutschland, die einen ganz, ganz geringen Organisationsgrad haben, auch in Westdeutschland zum großen Prozentsatz wieder austreten, weil sie sagen, so wie ihr das macht in den Schemata von gestern geht es nicht. Es gilt nicht nur das Phänomen der Zersplitterung, was ich nicht will und was ich sorgenvoll betrachte, isoliert zu betrachten, sondern den Zusammenhang zu sehen, dass man eben mit der permanenten Nivellierung spezialisiert mit hoher Verantwortung versehene Berufe geradezu in Sonderpositionen hineinzwingt. Am Schluss haben wir dann eine Situation, die keiner haben will, die dann gefährlich ist, aber vorher, wenn die Warnungen da sind, macht es ein bisschen intelligenter, macht es differenzierter, macht es fairer, macht es gerechter, werden sie ignoriert. Erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann ist das große Geschrei da. Also ein bisschen mehr Verstand in die Entwicklung muss schon hinein.
Heinlein: Eine Ursache für diese wachsende Zersplitterung der Tariflandschaft, die Sie nicht erwähnt haben, Herr Brüderle, ist ja auch die Privatisierung. Früher waren Bahnbeschäftigte allesamt Beamte. Sie durften nicht streiken. Nun ist diese Zeit der Staatsunternehmen auch bei der Post vorbei. Erleben wir jetzt die negativen Seiten einer flächendeckenden Privatisierung?
Brüderle: Das glaube ich nicht. Sie erleben es doch im öffentlichen Dienst, wo nicht Beamte sind. Nehmen Sie einmal die berühmten Müllwerker. Wenn ver.di die Müllwerker zur Stelle ruft - und der Klunker hat noch als ÖTV-Chef mal fast Willy Brandt damit gestürzt -, dann hat das extreme Auswirkungen bei 0,0 Arbeitsplatzrisiko. Das ist ja faktisch bei Angestellten genauso wie bei Beamten im öffentlichen Dienst. Daran liegt es nicht. Ich glaube im Gegenteil, dass die Privatisierung auch die Chance mit sich bringt, dass man differenzierter vorgeht und besser vorgeht. Die Staatsmonopole - das stellen wir doch in vielen Bereichen fest - sind nicht mehr zeitgemäß. Sie sind zu inflexibel. Und Sie wissen von der Erdgeschichte: die Dinosaurier sind ausgestorben. Das waren diese Riesenviecher mit kleinem Hirn. Wir brauchen heute viel Hirn und wenig Körpervolumen, viel Flexibilitäten. Das ist eine andere Zeit in der Globalisierung, Europäisierung, in der Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Da kann man sich nicht zurücksehnen nach dem warmen Ofen der Staatswirtschaft, wo alles so bequem und sicher ist, aber auf niedrigem Niveau.
Heinlein: Aber wenn wir diese Entwicklung weiterdenken und künftig etwa Angestellte von Wasserwerken oder Stromversorgern separat für ihre Einzelinteressen streiken und kämpfen und dann auch wie jetzt die Lokführer einen eigenen Tarifvertrag verlangen, werden dann Unternehmen nicht beliebig erpressbar? Gibt es dann noch eine Waffengleichheit der Tarifpartner?
Brüderle: Herr Heinlein das ist in der Tat die Sorge, die ich ja mit Ihnen teile. Darum sage ich, macht es doch bitte in der Tarifautonomie, in der hohen Verantwortung, die hier beide Tarifvertragsparteien haben, intelligenter. Macht es differenzierter.
Heinlein: Was heißt denn intelligent und differenziert?
Brüderle: Indem man keinen Einheitstarifvertrag macht und dass man zum Beispiel wie oft in der Vergangenheit gesagt hat, jeder kriegt 300 D-Mark Erhöhung als Sockelbetrag und dann ein geringer Prozentsatz. Das hat doch dazu geführt, dass wir heute tatsächlich bei ICE-Lokführern ein Niveau haben von etwas über 2.000 Euro Brutto, was verglichen zu der Verantwortung mit den hohen Geschwindigkeiten, der hohen Technologie zu fahren in der Relation zu anderen Tätigkeiten nicht mehr stimmt. Das ist doch der Fehler, dass man das zu sehr nivelliert hat. Wenn jetzt die Piloten oder die Ärzte sagen, wenn ich das gleiche habe wie der Pförtner, jetzt auch vereinfacht gesprochen, dann mache ich das so nicht mehr. Dann ist irgendwann Schluss. Die Situation haben wir in Teilen erreicht. Deshalb plädiere ich dafür, dass man stärker nach den Tätigkeitsmerkmalen, stärker nach Betriebssituation, Branchensituation differenzierter vorgehen muss.
Heinlein: Also Herr Schell hat Recht?
Brüderle: Herr Schell hat zu einem Teil Recht. Zum Teil hat er Recht, dass die Art auch wie Herr Mehdorn einseitig mit Herrn Hansen von Transnet die Politik nach meinem Eindruck bestimmt hat dazu geführt hat, dass bei den Lokführern nicht nur Nachwuchsprobleme da sind, sondern ein tiefes Ungerechtigkeitsempfinden. Nur er hat nicht Recht, wenn er jetzt meint, mit dem Streik und Kopf durch die Wand, mit dem gleichen Sturkopf Mehdorn zu Lasten der Volkswirtschaft vorzugehen, sondern die sollen sich auf den Hintern setzen, einen vernünftigen Schlichter nehmen - vor kurzem hat der Wolfgang Clement das hervorragend in der Bauwirtschaft gemacht - und damit eine Basis finden, dass der Trend in die Zukunft hinein vernünftiger austariert ist und man weg kommt von dieser schematischen Lohnpolitik, die die Mitglieder der Gewerkschaften raustreibt aus der Organisation und die dazu führt, dass wir auch bis hin zum Nachwuchs ernste Probleme in der Arbeitsmarktstruktur haben.
Heinlein: Der stellvertretende FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Brüderle, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Brüderle: Auf Wiederhören Herr Heinlein.