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"Die SPD hat Roland Koch quasi einen Elfmeter geschenkt"

Die hessischen Grünen wollen sich nach den Worten ihres Fraktionschefs Tarek Al-Wazir beim anstehenden Landtagswahlkampf auf die Inhalte konzentrieren. Die Bürger müssten entscheiden, wie es bei der Umwelt-, Energie- und Bildungspolitik weitergehen solle. Wenn die Grünen stark genug aus den Wahlen herausgingen, käme keiner an ihnen vorbei, betonte Al-Wazir.

Tarek Al-Wazir im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Der Landtag in Wiesbaden wird sich heute selbst auflösen, um den Weg aus den hessischen Verhältnissen zu finden. Die Bürger sollen demnach Mitte Januar erneut darüber entscheiden, wie es an der Spitze ihres Bundeslandes weitergehen soll, nachdem die Koalitionsbildung einer rot/grünen Minderheitsregierung gescheitert ist. Neuer Anlauf also, neues Glück. Für die Grünen hat der Wahlgang ganz besondere Bedeutung, denn sie waren nahe an der Regierungsbildung in Wiesbaden und müssen nun wieder darum kämpfen. - Am Telefon ist deren Fraktionschef Tarek Al-Wazir. Guten Morgen nach Wiesbaden.

    Tarek Al-Wazir: Guten Morgen.

    Fischer: Hat sich denn der Ärger auf die hessische SPD bei Ihnen mittlerweile gelegt?

    Al-Wazir: Na ja, natürlich nicht ganz. Wenn man anderthalb Jahre Vorbereitung einer Wahl und dann die hessischen Verhältnisse und sogar Koalitionsverhandlungen hinter sich hat und dann am Ende das Ganze an der inneren Zerrissenheit der SPD scheitert und man quasi zurück auf Los geht und erneut in eine Wahlsituation hineingeht, dann ist man natürlich nicht amüsiert, aber wir haben uns ja schon die ganze Legislaturperiode gesagt, dass wir eben aus den Verhältnissen das Beste machen wollen, und jetzt versuchen wir halt, auch aus der Neuwahl das beste zu machen.

    Fischer: Vier Abweichler aus den Reihen der Sozialdemokraten haben ja in letzter Minute das geplante Regierungsbündnis platzen lassen. Haben Sie als Grüne nicht darüber vielleicht zu wenig Bescheid gewusst, über die inneren Verhältnisse bei der SPD?

    Al-Wazir: Ich würde sagen, wir haben uns Gedanken gemacht über die Frage, wie man ein zweites Scheitern verhindern kann. Im März ist es ja schon zu einem ersten Anlauf gekommen, wo dann die Abgeordnete Dagmar Metzger gesagt hat, dass sie das nicht mitmacht - an dem Tag, an dem wir eigentlich die Koalitionsverhandlungen beginnen wollten. Da wir das nicht noch mal erleben wollten, haben wir ja versucht, Sicherungen einzubauen. Das heißt, wir haben auf Probeabstimmungen bei der SPD bestanden. Wir haben auf bessere innerparteiliche Kommunikation bei der SPD bestanden. Dass das am Ende dann dazu führte, dass am Tag vor der eigentlich geplanten Regierungswahl nach Abschluss von drei Wochen Koalitionsverhandlungen drei Neue gesagt haben, sie machen da nicht mit, das konnten wir nicht ahnen. Natürlich ist es eine Situation, wo wir uns auch denken, haben wir alle Signale richtig gedeutet, aber nachher ist man immer schlauer. Uns ging es und geht es um die Inhalte und um die Frage, wie wir in Hessen eine andere Umweltpolitik machen, wie wir die Energiewende hinbekommen, wie wir eine bessere Bildungspolitik machen. Das ist unsere Leitlinie gewesen und wird auch unsere Leitlinie sein und insofern kann ich nur sagen, es ist alles nicht erfreulich, was hier passiert ist, aber wir haben uns halt versucht, an unseren Inhalten zu orientieren. Die SPD war leider nicht in der Lage dazu.

    Fischer: Herr Tarek Al-Wazir, die Probeabstimmungen sind ja seit Zeiten von Heide Simonis eigentlich kein sicheres Barometer mehr dafür, dass es klappt.

    Al-Wazir: Ja, aber wenn sie am 30. September vor Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, wissend, dass es am Ende auf die Unterstützung der Linkspartei hinausläuft, als Sozialdemokrat oder Sozialdemokratin ein grundsätzliches Problem damit haben, dann hätten sie da die Gelegenheit gehabt zu sagen, ich mache da nicht mit. Da mache ich übrigens auch den Unterschied zwischen Dagmar Metzger und den drei anderen. Dagmar Metzger hat sich im März schon entschieden und ist dabei geblieben. Damit konnte man umgehen. Die drei anderen haben ihre grundsätzlichen Probleme erst nach dem Vorliegen des Koalitionsvertrages und der Postenverteilung entdeckt. Da ist doch durchaus ein Unterschied zu sehen und im Nachhinein muss ich sagen, ich habe die Tiefe des Risses zwischen den Flügeln der SPD schlicht unterschätzt.

    Fischer: Die Abweichler haben ja damals in ihrer Pressekonferenz begründet, sie hätten sich einem Druck ausgesetzt gesehen. Haben Sie als Grüne diesen Druck auch gespürt und wenn ja, worin kann der bestanden haben?

    Al-Wazir: Was da innerparteilich in der SPD los war oder nicht los war, das kann ich schwer beurteilen. Ich sage ausdrücklich, dass die Entscheidung der drei sehr, sehr spät kam, aus meiner Sicht zu spät. Ich weiß allerdings auch, dass ich drei Wochen lang mit Jürgen Walter Koalitionsverhandlungen geführt habe und er auch drei Wochen dabei saß. Das passt aus meiner Sicht alles nicht zusammen, aber mit Verlaub: das ist jetzt Schnee von gestern. Der Landtag wird sich heute auflösen. Es wird das dritte Mal sein in der Geschichte des Landes Hessen, dass der Landtag sich auflöst. Wir gehen in Neuwahlen und jetzt geht es um die Frage, dass die Bürgerinnen und Bürger sagen sollen, in welche Richtung es inhaltlich in Hessen gehen soll. Da werden wir einen deutlichen Wahlkampf führen, der sagt, es ist eine Entscheidung, in welche Richtung sich dieses Land entwickeln soll, in Umwelt- und Naturschutz, in Energie, in Bildung, in Gerechtigkeit, in Sozialpolitik.

    Fischer: Schauen wir mal auf diese Wahlen, die da anstehen. Sie als Grünen-Partei können sich ja ein gutes Ergebnis ausrechnen. Allerdings ist die SPD ganz in den Keller gestürzt. Neueste Umfrage: 23 Prozent. Ein sehr tiefes Tief. Das kann Ihnen doch auch nicht gefallen. Da werden Sie wahrscheinlich Ihre Inhalte mit niemandem umsetzen können.

    Al-Wazir: Wenn man aus hessischen Landtagswahlen eines lernen kann, dann ist das, dass man zwei Monate vorher nicht sagen kann, wie sie ausgehen. Niemand hat 1987 Walter Wallmann eine Chance gegeben, niemand 1991 Hans Eichel, niemand 1999 Roland Koch, und niemand hat gedacht, dass 2008 Roland Koch die Mehrheit verlieren wird. Insofern schauen wir mal, wie die Wahl ausgeht. Aus unserer Sicht ist es so, dass wir ja bis heute als einzige Partei im hessischen Landtag mit allen Fraktionen, von CDU bis Linkspartei, geredet haben und aus unserer Sicht sind die Inhalte am Ende das Entscheidende. Welche Konstellationen sich im Zweifel nach der Wahl ergeben, das wird man schlicht dann sehen, wenn das Ergebnis vorliegt. Es ist natürlich so, dass die SPD Roland Koch quasi einen Elfmeter geschenkt hat und dass es da einen Vorteil gibt. Was aber am 18. Januar zwischen 8 und 18 Uhr passiert, das werden wir genau dann sehen.

    Fischer: Wollen wir mal eine Möglichkeit durchdeklinieren. Es gibt eine Möglichkeit, in der Sie beteiligt sein können. Die heißt rot/gelb/grün. Die funktioniert aber doch eigentlich nur, wenn die Linken nicht in den Landtag kommen, oder?

    Al-Wazir: Dieses hätte, wenn und was ist rechnerisch und Ähnliches, da kann ich nur sagen, wir sind gesprächsbereit, aber wir machen als Leitlinie immer die Umsetzung unserer Inhalte, für die wir gewählt werden, für die wir antreten. Was die FDP angeht? Die hat sich seit dem 27. Januar standhaft geweigert, mit SPD und Grünen über eine Ampelkoalition zu reden. Ich hoffe, dass nach einer Neuwahl diese Sturheit verflogen sein wird. Wir werden sehen, ob auch die CDU die Kraft hat, mal zu gucken, ob es vielleicht in Hessen noch jemand anderen gibt als Roland Koch. Wir werden sehen, ob Thorsten Schäfer-Gümbel es gelingt, die SPD zu stabilisieren. Wir werden sehen, ob viele Menschen merken werden, dass die Linkspartei von Anfang an gesagt hat "keine Koalition" und damit natürlich ein Teil des Problems in Hessen ist. Insofern kann ich nur sagen, wir kämpfen dafür, möglichst stark zu werden, als Grüne so stark zu werden, dass niemand an unseren Inhalten vorbei kommt. Dann werden wir sehen, was geht.

    Fischer: Sie wollen mit allen reden, haben Sie gesagt. Mit wem wollen Sie denn bei der CDU reden?

    Al-Wazir: Das ist das Problem. Ich glaube, dass die CDU in Hessen natürlich diesen Weg der Erneuerung, der bei ihr dringend nötig ist, jetzt auch mal einschlagen muss, wobei es natürlich klar ist, dass in der Sekunde, wo CDU und FDP hier die Mehrheit gewinnen, auch logisch ist, dass dann auch die FDP mit Hurra Roland Koch wählen wird. Wenn ihm das allerdings nicht gelingt, dass er zum zweiten Mal hintereinander hier nicht die Mehrheit gewinnt, dann bin ich mir sehr sicher, dass auch die Hessen-CDU Konsequenzen ziehen wird, weil zweimal hintereinander es versemmeln, das darf selbst Roland Koch in der Hessen-CDU nicht.

    Fischer: Ein Blick auf die SPD. Würden Sie noch einmal mit Andrea Ypsilanti reden? Sie ist ja immer noch Parteichefin.

    Al-Wazir: Ich würde natürlich auch mit Andrea Ypsilanti reden. Die spannende Frage ist, wie ist der Zustand der SPD? Und da kann ich nur sagen: wenn ich mir momentan betrachte, dass sich da eher gegenseitig mit Parteiausschlussverfahren überzogen wird, dann habe ich so meine Zweifel, ob das hilfreich ist, wenn man am 18. Januar eine Wahl hat. Aber auch das habe ich nicht zu entscheiden.

    Fischer: Wenn die Wahl dann so ausgeht, dass tatsächlich schwarz/gelb dabei heraus käme, dann müssten Sie Ihre grünen Pläne zunächst mal begraben. Was hätte das für Sie persönlich für Konsequenzen?

    Al-Wazir: Das ist jetzt wieder so eine Frage, was wäre wenn. Ich kann nur sagen, die Grünen müssen so stark werden, dass an unseren Inhalten niemand vorbei kommt. Wenn die Grünen stark werden, dann hat das im Zweifel auch eine Signalwirkung für die Sachen, die uns wichtig sind, auf andere - ob die nun regieren oder in der Opposition sind. Für mich persönlich: Ich werde heute die Hand heben und mich quasi damit arbeitslos machen, wenn ich meinen Arbeitgeber auflöse, und werde dann Kandidat sein für die Wahl zum dann 18. hessischen Landtag und dann bin ich hoffentlich ab dem 18. Januar wieder Landtagsabgeordneter.

    Fischer: Tarek Al-Wazir, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im hessischen Landtag. Vielen Dank nach Wiesbaden.

    Al-Wazir: Gerne.