Archiv


"Die SPD hatte seit langem ein Image-Problem"

"Wenn dicke Luft ist, dann löst sich das meistens dadurch, dass man darüber ganz frei spricht", sagt Sigmar Gabriel, der als neuer SPD-Parteivorsitzender von den Genossen auf dem Parteitag in Dresden umjubelt wurde. Der neue Hoffnungsträger will die Partei nach innen öffnen - und ist sich der schweren Aufgabe bewusst.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Jochen Spengler |
    O-Töne Sigmar Gabriel: "Selbst einer wie ich hat ein bisschen Lampenfieber vor dem, was jetzt kommt. So ist das nicht." - "Mit einem Verlust von zehn Millionen Wählerinnen und Wählern, seit 1998 haben wir die Hälfte unserer Anhängerschaft verloren und wir haben in alle Richtungen verloren. Eine Partei, der das passiert, hat eines nicht: ein sichtbares Profil." - "Ich fühle mich verantwortlich für alles, was wir in den letzten Jahren gemacht haben, für das, was wir alle miteinander gut fanden, und für das, wo wir heute hinterher feststellen, das war nicht so gut und das müssen wir verändern. Ich halte nichts davon, dass wir die Partei aufteilen in die, die schon immer alles wussten, und die, die immer alles falsch gemacht haben. Das geht nicht." - "Wer ein derartiges Wahlergebnis bekommt, der hat mehr als nur ein Kommunikationsproblem. Unsere Politik wirkt manchmal aseptisch, klinisch rein, durchgestylt, synthetisch. Auch das müssen wir ändern. Wir müssen raus ins Leben, da wo es laut ist, da wo es brodelt, da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt. Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist, liebe Genoss(inn)en, weil nur da, wo es anstrengend ist, da ist das Leben." - "Die Mitte war links, weil wir sie verändert haben. Die SPD hat sie erobert und das müssen wir wieder machen, liebe Genossinnen und Genossen." - "Mitbestimmung, Tarifvertragsfreiheit, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und vieles andere mehr haben wir verteidigt. Ich glaube, auch darauf können wir angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise stolz sein."

    Jochen Spengler: Das waren einige Höhepunkte aus der knapp zweistündigen Rede Sigmar Gabriels am Freitag, der anschließend mit imposanten 94 Prozent der Stimmen auf dem Dresdener Parteitag der SPD zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Vielleicht war das ein neuer Aufbruch, ein neuer Anfang für die SPD, personelle Rundumerneuerung inklusive. Am Telefon begrüße ich den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Guten Morgen, Herr Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Spengler: Sie haben am Freitag Ihre Genossinnen und Genossen von den Sitzen gerissen mit der Rede. Wie erklären Sie sich selbst diesen Jubel? Was haben Sie da berührt?

    Gabriel: Das war schon erstaunlich, das muss ich zugeben. Offensichtlich waren nicht nur die Inhalte der Rede richtig, sondern auch die Tonlage. Es ging ja um vieles. Es ging darum, sich nicht zu drücken vor einer ehrlichen Analyse, warum wir so schwer verloren haben, aber ihnen und uns gleichzeitig zu zeigen, dass das nicht das Ende der SPD ist, sondern dass das jetzt einen neuen Anfang haben muss.

    Spengler: Sie haben ja viele Fehler der Vergangenheit angesprochen, Herr Gabriel. Wie abschreckend war aus Ihrer Sicht für Wähler zum Beispiel der zwischenmenschliche Umgang in Ihrer Partei, mit Kurt Beck, mit Andrea Ypsilanti, mit den Kritikern von Frau Ypsilanti?

    Gabriel: Ich glaube, dass die SPD seit langem ein Image-Problem hatte: das ist das der Zerrissenheit. Eine Partei, die sich selber nicht traut, bei der die Menschen mit ganz normalen Umgangsformen einfach sehen, die gehen da in dieser Partei mit einer Härte gegeneinander vor, die doch auffällig ist, da sagen die Menschen, eine Partei, bei der sich die Mitglieder nicht vertrauen, warum sollen wir denen vertrauen. Deshalb glaube ich, das innere Bild der SPD hat auch einen Beitrag dazu geleistet, dass das äußere jedenfalls nicht so war, dass wir damit Wahlen gewinnen können.

    Spengler: Wollen Sie das ändern? Sind Sie ein Vorbild, einer, der Menschen zusammenführt, ein Menschenfischer?

    Gabriel: Ich weiß nicht, ob ich ein Menschenfischer bin, aber ich glaube, es geht darum, dass man schon zeigen muss, erstens wir haben alle Stärken, aber wir haben halt auch Schwächen. Jeder von uns macht Fehler, ich auch. Das wird mir auch passieren. Das wichtigste ist, dass wir ein Team haben, bei dem andere die Stärken, die sie haben, stärken und die Schwächen, die sie selber haben, ausgleichen, und im Übrigen, dass man sich auch Dinge mal verzeiht. Am besten ist es einfach, dass man Dinge, die falsch gelaufen sind, offen anspricht. Das ist wie zu Hause in der Familie. Wenn dicke Luft ist, dann löst sich das meistens dadurch, dass man darüber ganz frei spricht. Das ist in einer Partei nicht anders.

    Spengler: Wo liegen denn Ihre Schwächen?

    Gabriel: Da gibt es eine Menge, da reicht die Sendezeit nicht aus.

    Spengler: Und Ihre schlimmste Schwäche?

    Gabriel: Ich glaube, ich bin schon ziemlich ungeduldig. Das muss aber jeder Politiker sein. Das werden Sie auch von vielen hören. Man will ja Dinge verändern, Sachen, die einem ungerecht vorkommen oder wo man auf Ignoranz trifft. Das ärgert mich schon und da muss ich ein bisschen aufpassen, dass ich nicht zu schnell alles umreißen will.

    Spengler: Wenn Sie ungeduldig sind, Herr Gabriel - in den letzten sechs Jahren hatte die SPD sieben Vorsitzende -, wie lange wollen Sie durchhalten?

    Gabriel: Jemand hat gesagt, er hätte einen Weihnachtswunsch an mich und das sei, dass dieser Parteivorsitzende jetzt länger bliebe. Da habe ich ihm gesagt, ich hätte auch einen Weihnachtswunsch, nämlich dass er sich das nächstes Jahr Weihnachten immer noch wünscht.

    Spengler: Also länger als ein Jahr auf jeden Fall?

    Gabriel: Das funktioniert nur, indem man nahe beieinander bleibt. Das ist jetzt ein ganz, ganz großer Vertrauensvorschuss gewesen, diese 94 Prozent, aber es ist eben ein Vorschuss und den müssen wir jetzt zurückerarbeiten.

    Spengler: Droht Frank-Walter Steinmeier eigentlich ein ähnliches Schicksal wie Kurt Beck? Oder anders gefragt: wie lange braucht eine nach links rückende SPD einen wie Frank-Walter Steinmeier?

    Gabriel: Die SPD rückt ja nicht nach links, sondern sie ist eine linke Volkspartei, die die Mitte der Gesellschaft erobern will. Das hat Willy Brandt gemacht. Er war ein Vorsitzender einer linken Volkspartei und hat die Mehrheit der Gesellschaft und damit auch die Mitte der Gesellschaft erobert. Die Mitte ist ja nicht irgendeine soziologische Gruppe, sondern ist der Austragungsort zwischen der demokratischen Rechten - das ist CDU/CSU und FDP - und der linken Volkspartei SPD um die richtigen Antworten, von denen wir die Menschen überzeugen wollen. Von daher: links bedeutet ja nichts anderes, als ein bestimmtes Menschenbild zu haben, und das heißt, dass bei uns die Freiheit des einzelnen, die wir wollen, gebunden ist an das Allgemeinwohl und an die Verantwortung für andere. Wenn Sie sich die Koalitionsvereinbarung der anderen Parteien durchlesen, dann werden Sie feststellen, das Wort "Gemeinwohl" taucht überhaupt nicht auf, denen geht es nur um die Freiheit des einzelnen und wir glauben, dass das nicht gut geht.

    Spengler: Um diese politische Mitte zu erobern, wie Sie sagen, brauchen Sie da Frank-Walter Steinmeier?

    Gabriel: Ja, natürlich. Der ist einer der wichtigsten Partner, die wir haben. Er ist Vorsitzender des Kraftzentrums der SPD - das ist die Bundestagsfraktion - und es gibt auch gar keinen Grund, warum wir uns jetzt da streiten sollten. Abgesehen davon sind wir beide 20 Jahre befreundet.

    Spengler: Es heißt jetzt, es liege ein hartes Stück Arbeit noch vor Ihnen. Welches ist die größte Baustelle?

    Gabriel: Ein Parteitag ist zwar nicht ganz so einfach, aber er ist eigentlich die leichteste Aufgabe. Das was jetzt kommt heißt erstens, die Partei nach innen zu öffnen. Mitglieder müssen bei uns wieder mehr zu sagen haben. Jemand, der in eine Partei kommt, der will ja nicht nur Geld überweisen. Zweitens, vielleicht noch viel wichtiger, die SPD nach außen öffnen in die Gesellschaft. Uns fehlen oft Nervenenden in die wichtigen Alltags- und Berufserfahrungen vieler Teile in Deutschland. Das reicht vom Facharbeiter und Betriebsrat bis hin zum selbstständigen Unternehmer. Ich habe ausdrücklich auf dem Parteitag gesagt, Unternehmer, Mittelständler, auch viele verantwortungsbewusste Manager, das sind ja Leute, bei denen eine irre Lebensleistung hinter ihrer Arbeit steckt, das sind unsere Partner, die sind jetzt von der Finanzkrise der Banken und der Börsen genauso bedroht wie die Arbeitnehmer. Die dritte Aufgabe ist, dass wir in Deutschland ein Politikkonzept brauchen, wenn wir die nächsten Jahre wirklich schaffen wollen, was wirtschaftliche Leistung, soziale Sicherheit und ökologische Verantwortung wieder zueinander bringt, nicht von jedem ein bisschen, sondern dass es ein gemeinsames Konzept gibt. Wir werden nicht wirtschaftlich erfolgreich sein in einem sozial unsicheren Land und wir werden nicht sozial sicher leben können ohne erfolgreiche Unternehmen. Beides funktioniert nicht, wenn sie die Zukunft unserer eigenen Kinder dadurch unterminieren, dass wir die Umwelt zerstören. Die drei Dinge zusammenzubringen und daraus Konzepte für Wachstum, für das Thema soziale Sicherungssysteme und auch für ökologische Erneuerung zu erarbeiten, das ist der Job der SPD. Keine andere Partei will diese drei Dinge zusammendenken. Alle anderen konzentrieren sich nur auf eines der Teile und das, glaube ich, ist ein gutes Programm für die SPD.

    Spengler: Wir sprechen mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, mit Sigmar Gabriel. - Herr Gabriel, um noch vielleicht zwei, drei tagesaktuelle Themen anzusprechen. Was sagt eine SPD, die elf Jahre regiert hat und also Mitverantwortung für die verkorkste Lage an den Universitäten trägt, den protestierenden Studenten? Sagt die sorry, wir haben uns vertan?

    Gabriel: Nein. Die sagt, es muss endlich Schluss sein, dass wir in Deutschland über Zuständigkeiten diskutieren. Das Elend ist doch, dass hier seit Jahren Politiker aller Parteien sagen, ja, richtig, das stimmt, aber leider hat das Land die Zuständigkeit oder mal die Kommune, mal der Bund. Ich sehe überhaupt keine Studenten, keinen Professor, keinen Vater oder keine Schülerin, die sich für Zuständigkeiten interessieren. Die Zustände regen die Leute auf und da geht es darum, dass wir mehr Geld für Bildung haben müssen. Wir sind mit 25 Milliarden Euro jährlich unterfinanziert, um auf den Durchschnitt der anderen Industrienationen zu kommen. Da wären wir nicht mal Spitze, sondern nur Durchschnitt. Gleichzeitig haben wir eine Bundesregierung, die senkt 25 oder fast 25 Milliarden Steuern, die uns natürlich dann im Bildungsbereich fehlen. Ich meine, alleine zwölf Milliarden davon fehlen dann den Ländern für Schulen und Kindergärten, auch für Universitäten. Das heißt, was wir brauchen ist dringend eine Debatte darüber, wie wir erstens auf diese 20, 25 Milliarden jedes Jahr kommen, und zweitens, wie es dann auch sichergestellt ist, dass das Geld nicht irgendwo landet, sondern wirklich im Bildungswesen, und dass das jeder Bürger, jede Bürger in diesem Lande auch überprüfen kann. Aber das, was wir jetzt erleben, ist das genaue Gegenteil.

    Spengler: Eine Frage noch an den Umweltminister, den ehemaligen Umweltminister. In Kopenhagen wird es in einem Monat nun doch wohl kein verbindliches neues Klimaabkommen geben. Kann die Bundesregierung, kann Angela Merkel daran noch etwas ändern?

    Gabriel: Sie muss es jedenfalls versuchen, aber es ist eine Schande, dass die Staats- und Regierungschefs seit Jahren inzwischen in ihren Reden immer von der größten Herausforderung der Menschheit sprechen, dann aber nicht bereit sind, sie gemeinsam anzugehen. Ich finde, die muss man jetzt auch mal öffentlich in die Kritik nehmen. Sie haben jahrelang die Umweltminister verhandeln lassen, die sind sich längst einig. Die Umweltminister sind sich einig, die Wissenschaftler sind sich einig. Es gibt keinen wirklichen Streit außer ein paar Ölkonzernen, die ihre eigenen Geschäfte bedroht sehen. Dass die Staats- und Regierungschefs nicht den Mumm haben, diese Menschheitsherausforderung anzunehmen, sondern immer nur darüber reden, dass es eine solche Herausforderung gibt, und ansonsten wieder nach Hause fahren, das ist wirklich eine Schande.

    Spengler: Aber Frau Merkel wird nicht Herrn Obama zwingen können?

    Gabriel: Nein, das wird sie nicht, aber sie muss weiter dafür kämpfen, dass es auf der Tagesordnung dieser Staats- und Regierungschefs bleibt, und sie muss jetzt im Zweifel dafür kämpfen, dass Europa seine fortschrittliche Positionen beibehält, auch wenn andere nicht mitmachen.

    Spengler: ... , sagt Sigmar Gabriel, der neue SPD-Vorsitzende. Danke für das Gespräch, Herr Gabriel.

    Gabriel: Bitte schön!