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Die SPD im Saarland ist zur Zeit Regierungs- und Oppositionspartei. Ist die Union überflüssig?

Heinemann: Eines hat Reinhard Klimmt geschafft: Man kennt ihn jetzt nicht nur zu Hause im Saarland, wo der Ministerpräsident um seine absolute Mehrheit kämpft, sondern auch im ‚Bereich', wie der Rest der Republik an der Saar genannt wird. ‚Die Gerechtigkeit werde ausgemustert' warf Klimmt den Verfassern des Schröder-Blair-Papiers vor. Mit seinen Beiträgen in der Diskussion um Rentenreform, Sparkonzept und Vermögenssteuer hat sich Klimmt einen Platz in Gerhard Schröders ‚Schublade für Altmodisches' gesichert. ‚Ich kann nur jeden davor warnen, auszubüchsen': Des Kanzlers Ordnungsruf im SPIEGEL galt auch dem Parteifreund im Saarland. Ist das Sommertheater Teil des Wahlkampfes oder beginnt hier tatsächlich eine Debatte über die Modernisierung dieses Landes? Am Telefon ist Peter Müller, der saarländische CDU-Vorsitzende und Herausforderer des Regierungschefs im Saarland. Guten Morgen.

    Müller: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Müller, ist das Wahlkampf oder mehr?

    Müller: Natürlich ist es teilweise Wahlkampf. Wenn Sie sich einmal anschauen, dass der einzig konkrete Vorschlag, den Reinhard Klimmt gemacht hat, derjenige ist, die Vermögenssteuer wieder einzuführen - und jeder, der sich halbwegs seriös mit der Sache beschäftigt, weiss, dass das ein unsinniger Vorschlag ist -, dann ist schon deutlich, dass es darum geht, am Neidinstinkt zu appellieren und damit Wahlkampf zu machen. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Dokument der Zerrissenheit der SPD. Die SPD hat vor der Bundestagswahl darauf verzichtet, ihren inhaltlichen Kurz zu klären. Und davon wird sie jetzt eingeholt mit der Folge, dass die Partei in zwei Lager zerbricht.

    Heinemann: Man kann es auch anders sehen. Die SPD ist zur Zeit Regierungs- und Oppositionspartei. Ist die Union überflüssig?

    Müller: Die Union ist überhaupt nicht überflüssig. Die Union ist diejenige Partei, die für konsequente Linien steht, die ein klares Konzept hat. Und die SPD ist eine Partei, in der es diese klaren Linien nicht gibt, die in unterschiedliche Lager zerfällt, die handlungsunfähig ist und die in der Regierungsverantwortung ein ganz erhebliches Chaos in sehr kurzer Zeit angerichtet hat.

    Heinemann: Die SPD diskutiert, und die CDU - man könnte es auch so formulieren - liegt weiterhin im ‚Kohlschlaf'.

    Müller: Das ist überhaupt nicht der Fall. Die CDU liegt nicht im Kohlschlaf, die CDU hat klare steuerpolitische Vorstellungen, sie hat klare finanzpolitische Vorstellungen, sie hat klare Vorstellungen über die Bereiche der Weiterentwicklung unserer sozialen Sicherungssysteme. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht sehen, dass sie schläft. Im Gegenteil. Wir diskutieren diese Dinge, und gerade im Moment ist die Kritik ja die, dass wir etwa die Rentenfrage zu heftig diskutieren.

    Heinemann: Aber führende CDU-Politiker fordern doch genau seit Jahren das, wofür die Regierung zur Zeit gescholten wird: Weg von der lohnbezogenen Rente, Übergang in die Grundsicherung, weil mehr nicht zu bezahlen ist. Kurt Biedenkopf sagt das. Müsste die CDU im Interesse des Landes nicht sagen: "Wir tragen das jetzt mit"?

    Müller: Also, wir haben diesen Streit ‚umlagefinanzierte Rente, orientiert an der Lohnentwicklung' oder eine möglicherweise ‚steuerfinanzierte Grundsicherung und der Rest übertragen in den Bereich der Eigenvorsorge' ja in der Union ausgetragen. Wir haben das diskutiert und haben das entschieden. Die Position, die Kurt Biedenkopf sie vertritt - eine kapitalgedeckte Rente -, ist eine Minderheitenmeinung, insbesondere deshalb, weil die Umstellungskosten auf ein solches System gar nicht finanzierbar wären. Vor diesem Hintergrund ist das keine taugliche Alternative.

    Heinemann: Im Rentenstreit, bei der Kritik gegen das Sparpaket, steht die Union auf der Seite von Reinhard Klimmt, der SPD-Linken und der Gewerkschaften. Das sind nicht gerade die Modernisierer der Gesellschaft. Kann sich die CDU das leisten?

    Müller: Nein, das stimmt ja auch gar nicht, dass wir auf der Seite von Reinhard Klimmt im Rentenstreit oder im Streit um das Steuersystem stehen. Die Union ist diejenige Partei, die am konsequentesten einen Abbau der Abgabenbelastung gefordert hat, die die Senkung der Steuersätze gefordert hat. Wenn Sie sich das Petersberger Modell anschauen, dann beinhaltet dies ja eine konsequente Rückführung der Steuersätze mit einer Nettoentlastung von 40 Milliarden Mark. Das geht weit über alles hinaus, was auch die sogenannten Modernisierer in der SPD fordern. Wir haben immer gesagt, wir brauchen eine Senkung der Staatsquote, wir brauchen mehr Freiheit für die Bürger. Das Geld muss in den Taschen der Bürger sein, dort ist es besser als in den Taschen des Staates. Also, wir sind genau anderer Meinung als Reinhard Klimmt, der DGB und die PDS.

    Heinemann: Ja, aber jetzt überholt Sie der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck auch noch rechts mit seinem neuen Steuermodell.

    Müller: Ja, Peter Struck ist ja in der SPD völlig isoliert mit dem Vorschlag, den er gemacht hat. Ich habe bisher niemand gehört, der auch nur andeutungsweise diesem Vorschlag gefolgt ist. Es ist tatsächlich so, dass der Vorschlag, den Struck gemacht hat, sogar über das Modell hinausgeht, das ja in der Union bereits einmal diskutiert wurde, das wir dann aber als - zumindest kurzfristig - nicht erreichbar abgelehnt haben.

    Heinemann: Herr Müller, Sie reagieren jetzt nach dem alten Muster der Opposition: Alles, was die Regierung macht, ist grundsätzlich falsch. Was glauben Sie, erwartet die neue Mitte von Ihrer Politikergeneration: Politik im Interesse der Partei oder im Interesse des Landes?

    Müller: Also, wir sagen ja nicht: Alles ist falsch. Nur vieles, was diese Regierung gemacht hat, ist wirklich falsch: 630-Mark-Jobs - das war ein Fehler, Scheinselbständigkeit - das war ein Fehler. Die Regierung selbst sagt, ‚wir müssen nachbessern'. In der Steuerpolitik ist eine klare Linie nicht erkennbar. Das Sparpaket von Hans Eichel ist ein ‚sogenanntes', denn da sind eine Menge Luftbuchungen enthalten. Und vor diesem Hintergrund ist diese Kritik einfach eine Kritik, die sich aus der Sache ergibt und nicht eine Kritik, die sich aus irgendeinem Prinzip ‚alles, was die Regierung macht, ist falsch' ergibt. Es ist keine vernünftige, keine taugliche Regierungspolitik.

    Heinemann: Hans Eichel plant nach 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierung, was Theo Waigel nie geschafft hat, nämlich radikal sparen. Das Ziel: Ein ausgeglichener Haushalt. Täte das nicht auch dem Saarland gut?

    Müller: Natürlich. Ein ausgeglichener Haushalt tut immer gut. Nur: Hans Eichel versucht jetzt, dasjenige im Bundeshaushalt wieder zurückzuführen, was Oskar Lafontaine im Bundeshaushalt draufgesattelt hat. Es ist also keineswegs so, dass da grosse Sparleistungen im Vergleich zu denjenigen, was Haushaltspolitik der Union war, stattfinden. Die Hinterlassenschaft Lafontaines - das ist das Thema, mit dem Hans Eichel sich beschäftigt. Und die Therapie, die er anbietet, das sind in vielen Bereichen globale Minderausgaben, die konkret nicht beziffert sind.

    Heinemann: Herr Müller, Wolfgang Schäuble hat gesagt, bei entsprechendem Wahlausgang gäbe es keine Blockadepolitik der Union im Bundesrat. Wie würden Sie sich denn als Ministerpräsident in der Länderkammer verhalten? Würden Sie auch unabhängig von den Vorgaben der Bundespartei abstimmen?

    Müller: Also, die Länderkammer ist ein Verfassungsorgan. Dort sind die Länder an der Wahrnehmung der Regierungsverantwortung beteiligt. Wir haben schon zu Regierungszeiten immer zu recht kritisiert, dass die Sozialdemokraten den Bundesrat politisch instrumentalisiert haben. Das war sicherlich nicht richtig, das war nicht in Ordnung. Und deshalb werden wir das gleiche auch nicht machen.

    Heinemann: Was heisst das jetzt für einen möglichen Ministerpräsidenten Peter Müller?

    Müller: Dass er nach der Sachlage entscheiden wird, wie er im Bundesrat abstimmt und wie er sich dort verhält. Das entscheidet die Sache und nicht irgendeine Parteidisziplin.

    Heinemann: Auch gegen die Bundes-CDU würden Sie abstimmen?

    Müller: Im Bundesrat werden Länderverantwortlichkeiten wahrgenommen. Deshalb gibt es dort die Bundes-CDU und die Bundes-CDU-Linie nicht. Fakt ist natürlich, dass Politiker, die aus einer gleichen Partei kommen, in vielen Fragen übereinstimmen und sich dann auch übereinstimmend im Bundesrat verhalten. Das heisst aber nicht, dass es nicht einfache Fragen geben kann, in denen man auch unterschiedlicher Auffassung ist und unterschiedlich abstimmt. Das war in der Vergangenheit so, und das wäre auch bei einem Ministerpräsidenten Peter Müller im Bundesrat so.

    Heinemann: Wie beurteilen sie den neuen Schmusekurs zwischen SPD und FDP?

    Müller: Na ja, das sind wahrscheinlich die Übungen eines Ertrinkenden, der nicht unter Wasser gezogen werden will. Für Wolfgang Gerhardt ist eine ganz schwierige Situation in der FDP gegeben. Er ist ein verlässlicher Mann, was sicherlich zu akzeptieren und zu respektieren ist. Dass er aber jetzt eine neue Debatte über mögliche Koalitionen anstösst, hat vielleicht etwas mit dem Druck zu tun, unter dem er persönlich als FDP-Bundesvorsitzender steht.

    Heinemann: Was heisst das für die CDU?

    Müller: Das hat für die CDU keine Bedeutung. Die FDP muss ihren Weg alleine gehen und muss entscheiden, wohin sie geht. Das beeinflusst uns nicht.

    Heinemann: Die Antwort der Union auf die Reformpläne der Regierung ist die Verlagerung der politischen Auseinandersetzung auf die Strasse. Sie sammelt Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, jetzt gegen die Riestersche Rentenreform. Ist das Oppositionsarbeit in Ihrem Sinne?

    Müller: Also, dass über die Möglichkeit der Unterzeichnung von Protesterklärungen die Bürger in die politischen Willensbildungen einbezogen werden, ist eine Geschichte, die es schon hundertfach in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Es ist eine legitime Form der politischen Auseinandersetzung. Es ist eine Normalität, so dass ich da überhaupt kein Problem mit habe.

    Heinemann: Herr Müller, Kirchen und Gewerkschaften protestieren zur Zeit gegen die Öffnung von Kaufhäusern am Sonntag. Wie halten Sie es?

    Müller: Ich denke, dass das eine Sache ist, die man auch sehen muss mit Blick auf die damit verbundenen städtebaulichen Entwicklungen. Mit den Entwicklungen, die im Moment laufen, besteht das Risiko, dass wir in den kleineren Kommunen die Innenstädte austrocknen. Es besteht das Risiko, dass die kleineren Geschäfte - die sogenannten ‚Tante-Emma-Läden' - in eine immer schwierigere Wettbewerbssituation hineinkommen. Und ob das wirklich gesellschaftspolitisch wünschbar ist, da habe ich meine Zweifel.

    Heinemann: Sind Kunden und Angestellte nicht reif genug, selbst zu entscheiden, wann sie kaufen oder verkaufen wollen?

    Müller: Selbstverständlich sind Kunden mündig genug, um zu entscheiden, wann sie kaufen wollen oder wann sie nicht kaufen wollen. Das scheint mir nicht die entscheidende Frage zu sein. Die entscheidende Frage scheinen mir die gesellschaftspolitischen und die städtebaulichen Auswirkungen zu sein, und da hat Politik eine Regelungsverantwortung. Da muss Politik den Rahmen bestimmen, in dem sich das vollzieht. Und da scheint mir noch erheblicher Diskussionsbedarf zu bestehen.

    Heinemann: Peter Müller, der Vorsitzende der CDU im Saarland in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Eine Frage habe ich aber jetzt doch noch: Sind Sie froh darüber, dass Ihr Gegner im Saarland Klimmt und nicht Lafontaine heisst?

    Müller: Also, ich habe immer gesagt: Mir ist das egal. Ich wäre auch gerne gegen Oskar Lafontaine angetreten. Im übrigen: Es gibt ja Leute, die ernsthaft glauben, dass den Brief, den Reinhard Klimmt jetzt an die Bundespartei geschrieben hat, Lafontaine vorher nicht gesehen hat. Ich vermag das nicht zu glauben.

    Heinemann: Vielen Dank und auf Wiederhören.

    Müller: Auf Wiederhören.