Archiv


"Die SPD in Hessen hat die Glaubwürdigkeit verspielt"

Der Politikerwissenschaftler Peter Lösche glaubt nicht, dass eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Koalition in Hessen von vorneherein zum Scheitern verurteilt sei. Allerdings seien die Hürden zwischen rechtem und linkem Flügel der SPD sehr hoch, auch wenn beide Seiten derzeit durch die Angst vor Neuwahlen verbunden seien.

Dirk-Oliver Heckmann im Gespräch mit Peter Lösche |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die hessische SPD werde nicht ein zweites Mal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand rennen. So hatte SPD-Chef Kurt Beck gemutmaßt. Offenbar war das aber nur ein frommer Wunsch, denn die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti hat offenbar vor, genau das zu tun und einen zweiten Versuch zu starten - und das, obwohl sie vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit der Linken kategorisch ausgeschlossen hatte. Heute also eine entscheidende Sitzung des SPD-Landesvorstands.

    Zugehört hat Peter Lösche. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen. Schönen guten Tag!

    Peter Lösche: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Lösche, ein zweites Mal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand zu rennen, das kann weh tun, aber es kann durchaus auch eine rationale Entscheidung sein, denn bei Neuwahlen, da wäre der Traum vom Machtwechsel für die SPD ausgeträumt.

    Lösche: Die Verhältnisse können sich ja unter Umständen geändert haben, so dass es nicht mehr die gleiche Wand ist. Frau Ypsilanti muss natürlich ganz sicher machen, dass ihre eigene Fraktion hinter ihr steht - Ausnahme Frau Metzger -, dass dann aber auch die Grünen in der Regierung kooperieren, zuverlässig sind, und ganz entscheidend natürlich, dass ein Tolerierungsabkommen geschlossen wird, dass man sich nicht alleine darauf verlassen kann, dass der gute Wille der Linksfraktion da ist, sondern dass die Linksfraktion auch entscheidende Abstimmungen wie die über den Haushalt mitmacht.

    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, die ganze Sache hat durchaus Chancen auf Erfolg? Sie ist nicht zum Scheitern verurteilt von vorneherein?

    Lösche: Sie ist nicht von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Allerdings sind die Hürden doch sehr hoch. Innerhalb der hessischen SPD hat es zwischen rechtem und linkem Flügel eine Annäherung gegeben, aber die Bedingungen, unter denen man kooperieren will in der Regierung, sind auch noch nicht ausformuliert. Natürlich wird die SPD im Moment zusammengeschweißt aus dem einfachen Grunde, dass sie Neuwahlen scheut wie der Teufel das Weihwasser.

    Heckmann: Herr Lösche, die beiden Flügel haben sich angenähert, sagten Sie gerade. Es gibt keine größeren Widerstände mehr, auch nicht vom rechten Parteiflügel, gegen eine Tolerierung durch Die Linke - jedenfalls nicht grundsätzlich. Woran liegt das, dass dieser Widerstand aufgegeben wurde?

    Lösche: Das liegt daran, dass es keine Alternative jetzt zur Regierungsbildung gibt - es sei denn, dass man mit viel Fantasie nach anderen Modellen sucht, zum Beispiel eine Große Koalition nach israelischem Modell. Das würde bedeuten, dass nach der Hälfte der Amtszeit des Ministerpräsidenten/der Ministerpräsidentin ein Wechsel zwischen beiden stattfindet. Aber eine Große Koalition würde die SPD offensichtlich nicht mitmachen.

    Heckmann: Herr Lösche, die SPD hat immer gesagt, es werde keine Zusammenarbeit geben mit der Linken. Es werde keine Zugeständnisse geben. Sie haben gerade eben davon gesprochen, dass man doch ein Abkommen schließen müsse, ein Tolerierungsabkommen, um sich auf bestimmte Dinge eben verlassen zu können. Aber dieses Abkommen, das gibt es nicht zum Nulltarif.

    Lösche: Das ist richtig. Da müssen richtige Verhandlungen in dem Sinne stattfinden, dass Geben und Nehmen stattfindet. Und die ganze rot-grüne Koalition, toleriert von der Linkspartei, steht natürlich unter dem Problem, dass Frau Ypsilanti vor den Wahlen etwas anderes gesagt hat als das, was sie nach den Wahlen dann getan hat. Das heißt, sie hat selbst und die SPD in Hessen hat die Glaubwürdigkeit verspielt - das Schlimmste, was einem Politiker und einer Partei eigentlich passieren kann, nämlich nicht mehr würdig zu sein, dass einem vertraut wird.

    Heckmann: Und wer zahlt dafür die Zeche? Die SPD in Hessen oder die SPD im Bund bei den Bundestagswahlen 2009?

    Lösche: Die SPD in Hessen würde die Zeche dafür zahlen, wenn jetzt Neuwahlen wären. Und die Bundespartei zahlt natürlich die Zeche und auch die bayerische SPD, die sowieso schwach ist, in der Diaspora lebt. Da hilft es auch nicht sehr viel, dass der entscheidende Landesparteitag in den Oktober, also nach den Landtagswahlen verlegt worden ist. Das heißt, die SPD insgesamt leidet natürlich an diesem Vertrauensverlust. Hinzu kommt aber, dass die SPD-Politik gegenüber der Linkspartei höchst widersprüchlich ist. Der Parteivorsitzende hat erklärt, auf Bundesebene keine Kooperation, auf Landesebene sollen die Landesorganisationen entscheiden. Aber die Kandidatin für das Bundespräsidentenamt - hier geht es um die Bundesebene - bemüht sich um die Unterstützung der Linkspartei. Und im nächsten Jahr stehen Wahlen in Thüringen und im Saarland an, und auch da gibt es durchaus die Möglichkeit, dass man - die SPD - mit den Linken kooperiert. Und dann soll noch ein Wähler glauben, dass das Versprechen des Parteivorsitzenden, dass man im Bund - im September nächsten Jahres finden Bundestagswahlen statt -, dass man im Bund nicht mit der Linkspartei kooperiert. Das heißt, hier ist die Widersprüchlichkeit im Verhalten der SPD selbst angelegt.