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Die SPD und der sogenannte 'Dritte Weg'

Müller: Es ist wohl doch mehr als nur Sommertheater - der Streit in der SPD über den sogenannten ‚Dritten Weg'. Dies ist aufgehangen an der Diskussion über die Vermögenssteuer und über eine radikale Vereinfachung des Steuersystems, wie sie Fraktionschef Peter Struck nun in die Debatte gebracht hat. Die Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden, aber auch innerhalb der SPD tobt eine heftige Auseinandersetzung über die Frage: Wie sozial muss oder wie sozial soll die SPD sein? Am Telefon in Hannover begrüsse ich nun den Wirtschaftsminister von Niedersachsen Peter Fischer. Guten Morgen.

    Fischer: Ja, guten Morgen.

    Müller: Herr Fischer, blicken Sie denn noch durch?

    Fischer: Ja sicher. So eine Debatte muss eigentlich nicht verwundern, denn wir haben es sicher in der SPD mit einem gewissen Reformbedarf zu tun. Wir müssen die politischen Inhalte anpassen an die aktuellen Notwendigkeiten in der Politik, insbesondere in der Wirtschaftspolitik. Und das, was wir jetzt an Diskussion haben - die auch natürlich und erwünscht ist -, ist sozusagen das Ergebnis.

    Müller: Reformbedarf in eine neo-liberale Richtung?

    Fischer: Ich glaube, Reformbedarf in eine Richtung, die unserer Wirtschaft die Möglichkeit gibt, das wesentliche Ziel, das wir alle haben, nämlich Abbau der Arbeitslosigkeit, zu ermöglichen. Und wir wirtschaften ja heute unter Rahmenbedin-gungen, die mit dem Stichwort ‚Globalisierung' umschrieben sind. Das heisst, wir können nicht - sozusagen - völlig eigenständig Ziele anstreben, auch Gerechtigkeitsziele anstreben, wie das vielleicht früher war, als unsere Volkswirtschaft noch nicht so sehr von aussen abhängig war. Das heisst, wir müssen stärker auf die Aussenentwicklungen Rücksicht nehmen. Und daher ist es notwendig, dass wir unsere Politik eben auch von althergebrachten Gewohnheiten abwerten müssen.

    Müller: Das heisst, der Kanzler und der Finanzminister haben recht?

    Fischer: Ja!

    Müller: Auch mit ihrem Konzepten - Sparpläne ect.?

    Fischer: Ja sicher. Man kann über Einzelnes noch diskutieren, das ist ja auch durch dieses Schröder-Blair-Papier bewusst jetzt auf den Weg gebracht worden. Aber die Richtung, die dort angestrebt wird, die ist richtig.

    Müller: Befürchten Sie nicht, wie Ministerpräsident Reinhard Klimmt im Saarland, dass die SPD sozusagen sozial ausblutet?

    Fischer: Das glaube ich nicht, denn - ich sage nochmal: Das wichtigste - auch soziale - Ziel ist der Abbau der Arbeitslosigkeit. Und das erreicht man mit den alten Instrumenten nicht mehr. Insofern müssen wir uns mit neuen politischen Instrumenten versehen. Das ist natürlich für die SPD kein leichter Prozess, aber ein notwendiger Prozess, wenn wir als politische Partei überleben wollen.

    Müller: Das heisst, Herr Fischer, günstigere Rahmenbedingungen für die Unternehmen für Investitionen, und nicht etwa über die Ankurbelung der Nachfrage, so wie das die Gewerkschaften fordern.

    Fischer: Ja, das ist vielleicht etwas zu einfach. Natürlich spielt die Nachfrage nach wie vor eine Rolle. Man muss - glaube ich - einen intelligenten Mix machen. Ich würde es nicht auf diese beiden Alternativen ankommen lassen. Aber Verbesserung der Rahmenbedingungen ist schon etwas wichtiges. Und wir haben - wenn wir uns mal im internationalen Vergleich anschauen - eben die höchste Staatsquote, wir haben die höchsten Arbeitskosten. Das ist das, was uns so stark belastet, was es uns so schwer macht, die Arbeitslosigkeit zu senken.

    Müller: Sind Sie auch dafür, bei den Sozialausgaben zu kürzen?

    Fischer: Wenn wir die Staatsquote senken wollen, wird dies sicherlich unter anderem auch notwendig sein, denn die Sozialausgaben machen natürlich einen hohen Anteil der Staatsausgaben aus.

    Müller: Im Rahmen der Diskussion um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer hat der Kanzler den Schuh sozusagen an die Länder zurückgespielt. Ist denn Niedersachsen bereit, darüber zu diskutieren, nachzudenken, ob die Vermögens-steuer noch einmal kommen soll?

    Fischer: Wir haben uns im Kabinett noch nicht ausführlich darüber unterhalten. Aber meine Auffassung ist, dass wir hier keinen Alleingang bei den Ländern machen dürfen, denn ich sage nochmal: Dies passt nicht in die Landschaft, wenn es darum geht, Investitionen anzureissen. Es wäre also im Hinblick auf das Ziel - Senkung der Arbeitslosigkeit - kontraproduktiv. Ausserdem - wenn es um die Senkung der Staatsquote geht - ist es ebenso kontraproduktiv, über die Einführung einer neuen Steuer zu sprechen. Ausserdem wollen wir ja auch alle Steuervereinfachung, da stimme ich auch Herrn Struck zu. Und das heisst eben nicht: Einführung einer neuen Steuer. Im übrigen muss ich sagen: Ich warne sehr davor, dass in diesem Bereich ‚Vermögenssteuer' eine Art Länderwettbewerb stattfindet, denn natürlich werden die Finanzminister der ärmeren Länder gerne die Möglichkeit wahrnehmen wollen, eine neue Steuerquelle zu finden. Aber das heisst, dass auch die reicheren Länder das vielleicht gar nicht so nötig haben.

    Müller: Die Landesregierung in Kiel - wenn ich Sie unterbrechen darf, Herr Fischer - die will mit einer eigenen Bundesratsinitiative die Vermögenssteuer auf den Weg bringen. Werden Sie da zustimmen?

    Fischer: Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass wir da zustimmen können. Ich würde das für fatal halten, denn dieser Wettbewerb geht eindeutig zu Lasten der ärmeren Länder im Standortwettbewerb, das würde die heutige Verteilung der Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik noch weiter verzerren. Und das kann eigentlich nicht Sinn einer vernünftigen Politik sein.

    Müller: Hat der Kanzler in der Bundesregierung - aber auch in der Partei als Parteichef - noch die Richtlinienkompetenz?

    Fischer: Ja sicher hat er die. Und ich denke, dass das Schröder-Blair-Papier ja eben zeigt, wohin die Diskussion in der Partei gehen muss. Die Doppelfunktion - Regierungschef und Parteichef - hat natürlich gewisse Nachteile dadurch, dass eine hohe Arbeitsbelastung da ist, aber auch den Vorteil, dass man aus beiden Positionen heraus eine Linie angeben kann, so wie er das getan hat.

    Müller: Auch die Bundestagsfraktion der SPD, Herr Fischer, steht nicht ganz hinter dem Kanzler.

    Fischer: Nun, das ist ja auch ein Prozess, der jetzt in Gang gekommen ist, und ich halte es für sehr natürlich, dass man über Positionen diskutiert, vor allem, wo es eben auch darum geht, mit gewissen Dingen in der Vergangenheit zu brechen. Dies verursacht natürlich bei vielen Unmut oder auch Unbehagen. Dies wird geäussert. Nur: Dieser Prozess muss vorangebracht werden. Und ich bin auch sicher, dass er vorangebracht wird, denn davon hängt letztlich auch der Erfolg dieser Bundesregierung ab.

    Müller: Peter Fischer war das, Wirtschaftsminister von Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Fischer: Auf Wiederhören.

    Müller: Mitgehört hat diese Gespräch Reinhard Bütikofer, Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen.

    Bütikofer: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Bütikofer, die Grünen haben sich in dieser Debatte zurückgehalten - so kann man das sagen - in den letzten Wochen. Kennen Sie denn die Haltung Ihrer Partei?

    Bütikofer: Ja klar. Die Haltung unserer Partei ist - glaube ich - nicht sehr schwer zu beschreiben: Wir sind in der Bundestagswahl angetreten und in den Koalitions-verhandlungen mit dem Ziel, die Einkommenssteuer durchgreifend zu reformieren. Da sind wir mit der SPD nicht so weit gekommen, wie wir gern gewollt hätten. Und wenn es jetzt bei der SPD welche gibt, die sagen: ‚Da müssen wir noch ein Stück weiter gehen in Richtung Vereinfachung' - dann freut uns das, wobei allerdings dieser Stufentarif, den da der Herr Struck aus der Mottenkiste hervorgekramt hat, ziemlicher Unsinn ist . . .

    Müller: . . . vielleicht sagen wir das noch einmal kurz, Herr

    Bütikofer: 15, 25 und 35 Prozent . . .

    Bütikofer: . . . ja, das lag ja schon auf dem Tisch, als die CDU/FDP-Regierung ihre Petersberg-Steuerreform-Vorschläge ausgearbeitet hat. Und dort wurde es weggeräumt von Herrn Waigel - völlig zu recht -, weil das ein absurder Tarifvorschlag ist. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass der Mittelständler den selben Spitzensteuersatz hat wie der Multimillionär beim Einkommen, oder das würde bedeuten, dass man - wenn man fünf Mark mehr verdient - plötzlich in einen 10-Prozentpunkte höheren Steuersatz rutschen kann. Das ist alles Quatsch. Also, darüber will ich im einzelnen nicht reden. Der Vorschlag hat mehr symbolische Bedeutung als realen Gehalt . . .

    Müller: . . . wie erklären Sie sich das, dass Peter Struck nun diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt hat?

    Bütikofer: Na ja, er wollte ein Ablenkungsmanöver machen, es ist ihm ja auch gelungen. Er wollte weniger über die Vermögenssteuerpläne seines Kollegen Klimmt reden. Da geht es halt ein bisschen durcheinander bei der SPD. Aber wie gesagt: Wenn eines dabei rauskäme, dass man sagt: Wir sind bereit, bei der Einkommens-steuer weiterzugehen als wir bisher bereit waren bei der SPD, nämlich dass man die Bemessungsgrundlage verbreitert, dass man Ausnahmen abschafft, die Steuer vereinfacht und dann mit den Sätzen runtergeht - da sind wir natürlich durchaus froh und sagen ‚Willkommen im Club, und wir freuen uns über den verlorenen Sohn'.

    Müller: Ihre Parteifreunde in Kiel sind ja auch für die Wiedereinführung für die Vermögenssteuer. Sie auch als Bundespartei?

    Bütikofer: Nein. Da sind wir anderer Meinung. Ich halte das nicht für einen praktikablen Weg. Ich will aber gleich dazu sagen: Ich teile da nicht die Begründung, die ich gerade eben von Herrn Fischer gehörte habe. Der sagt: ‚Das ist alles leistungsfeindlich und im internationalen Wettbewerb darf man das nicht'. Meine Begründung wäre eine andere. Ich halte es durchaus für legitim, darüber zu diskutieren, ob die starken Schultern heute ihren Teil dazu beitragen, dass das Schiff in Fahrt kommt. Und wenn man bereit ist, über Kürzung bei Sozialleistungen leicht daran zu reden - wie Herr Fischer das tut -, muss man schon auch bereit sein, darüber zu reden, was die Starken beitragen können. Nur, der Weg ist meines Erachtens ganz unpraktisch. Jeder Versuch heute, eine Vermögenssteuer wieder einzuführen, würde mit Notwendigkeit zum Bundesverfassungsgericht laufen und meiner Erwartung nach dort scheitern. Wir haben einen viel einfacheren Vorschlag, den zum Beispiel die Deutsche Steuergewerkschaft - das ist die Gewerkschaft der Steuerbeamten - seit Jahr und Tag ins Gespräch bringt: Man könnte die sogenannten ‚Kontrollmitteilungen' wieder zulassen. Das heisst: Wenn ein Betriebsprüfer bei einer Bank auf ein Konto stösst von 2 Millionen des Bürgers X, dann könnte er durchaus dem Veranschlagungsfinanzamt dieses Bürgers X Mitteilung geben und sagen: ‚Guckt mal, ob er das auch versteuert'. Das war früher bei uns mal so üblich, ist dann abgeschafft worden. In vielen anderen Ländern ist das normale Praxis . . .

    Müller: . . . das heisst, Herr Bütikofer, Steuern konsequenter einzutreiben, aber keine Steuererhöhungen . . .

    Bütikofer: . . . aber sehen Sie sich mal die Zahl an: Der Oberfinanzpräsident aus Freiburg hat mal geschätzt, dass im Jahr bei uns 180 Milliarden Mark Steuern hinterzogen werden. 180! Wenn sie davon 5 Prozent durch eine effizientere Finanzverwaltung mit so einem Vorschlag, wie ich gerade gesagt habe, reinholen, haben Sie schon wesentlich mehr Geld in der Kasse, als Sie mit der ganzen Vermögenssteuer je kriegen werden.

    Müller: Haben Sie den Vorschlag auch schon ins Kabinett eingebracht bzw. über Ihre Parteifreunde?

    Bütikofer: Ja, wir haben darüber schon diskutiert, natürlich nicht im Kabinett. Das Kabinett hat ja Ferien. Vielleicht wird es ja auch ein bisschen ruhiger und geordneter, wenn die Kabinettsferien zu Ende sind.

    Müller: Letzte Frage: Haben Sie nicht auch die Befürchtung, dass die Grünen ihre soziale Kompetenz verlieren - vor dem Hintergrund radikaler Steuersenkungen?

    Bütikofer: Wir verlieren unsere soziale Kompetenz nicht. Wir haben sogar etwa durch unseren Einkommenssteuervorschlag soziale Kompetenz dazu gewonnen, weil wir zeigen konnten, dass diese Richtung, die wir einschlagen - Vereinfachung, Beseitigung der ganzen Hintertürchen und Senkung der Steuersätze für alle - ein sozialer Weg ist. Denn von den Hintertürchen, von den Ausnahmetatbeständen, profitieren nicht die einfachen Leute, davon profitieren die Abschreibungskünstler und die, die sich einen teuren Steuerberater leisten können.

    Müller: Reinhard Bütikofer war das, Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bütikofer: Auf Wiederhören.