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Die Sprache der Fadenwürmer

Zoologie.- Tiere bedienen sich unterschiedlicher Mittel, um miteinander zu kommunizieren: Affen brüllen, Vögel zwitschern, Bienen tanzen. Doch im Fall der Fadenwürmer tappten Biologen bis vor kurzem noch im Dunkeln. Jetzt aber haben US-Forscher herausgefunden: Die Tiere haben eine Art universelle Chemiesprache.

Von Lucian Haas |
    Wenn es um Nematoden geht, kann sich der US-Biologe Paul Sternberg vom California Institute of Technology in Pasadena richtig begeistern.

    "Nematoden sind die zahlreichsten Tiere auf der Erde. Sie werden auf eine Million Arten geschätzt. Einige leben im Boden und recyceln Nährstoffe. Andere sind Parasiten von Menschen, Tieren oder Pflanzen, also Schädlinge für die Landwirtschaft. Es ist durchaus nützlich, mehr von dieser großen Gruppe von Tieren zu verstehen."

    Paul Sternberg erforscht, wie die Tiere untereinander kommunizieren. Im Jahr 2008 konnte er erstmals zeigen, dass Fadenwürmer der Art Caenorhabditis elegans dafür chemische Botenstoffe nutzen. C. elegans ist ein beliebter Modellorganismus für die biologische Grundlagenforschung. Die Würmer scheiden eine Reihe spezifischer Moleküle aus, sogenannte Askaroside. Mit einer bestimmten Mischung von Askarosiden locken Weibchen die Männchen zur Paarung. Doch Paul Sternberg entschlüsselte noch weitere Botschaften.

    "Wir haben auch Signale gefunden, die bedeuten: Ich bin allein, komm her zu mir. Dabei geht es nicht um Sex, sondern einfach nur um: Ich bin einsam. Andere Chemikalien bedeuten möglicherweise: Ich bin im Stress. Unsere Versuche geben aber nur erste Hinweise auf das Vokabular der Würmer."

    Paul Sternberg hat diverse Mischungen von Askarosiden hergestellt und getestet, wie sie sich auf das Verhalten der Würmer auswirken. Dann fragte er sich, ob auch andere Fadenwürmer eine ähnliche Chemiesprache wie C. elegans besitzen. Er züchtete im Labor verschiedenste Nematoden und sammelte die Ausscheidungen, das sogenannte Wurmwasser, um die Inhaltsstoffe zu analysieren.

    "Unter den Nematoden, die wir untersucht haben, waren frei lebende Nematoden, die im Boden oder Wasser vorkommen, aber auch Tier- und Pflanzenparasiten. Fast alle produzieren Askaroside und kommunizieren mit diesen Chemikalien."

    Askaroside stellen offenbar eine universelle Kommunikationsform der Nematoden dar. Manche Botschaften werden sogar artübergreifend verstanden.

    "In Experimenten haben wir die Sekrete einer Art genommen und beobachtet, dass sie auch auf andere Arten anziehend wirken. Das ist erst einmal seltsam. Schließlich handelt es sich um Sex-Lockstoffe. Allerdings werden die meisten dieser Wurmarten in freier Natur niemals aufeinander treffen. Wenn sie die gleichen Lockstoffe benutzen, stellt das also kein Problem dar."

    Überrascht war Paul Sternberg über die große Anzahl unterschiedlicher Askaroside, die er im Wurmwasser fand.

    "C. elegans bildet nahezu 150 verschiedene Verbindungen. Da stellt sich die Frage, was das über die Komplexität ihrer Sprache aussagt. Entweder haben sie viel zu sagen, oder sie haben eine sehr subtile Ausdrucksweise."

    Paul Sternberg will nun in weiteren Studien lernen, die Botschaften der verschiedenen Nematodenarten genauer zu verstehen. Zugleich will er es schaffen, die Würmer mit künstlich hergestellten Askarosid-Mixturen auf natürliche Weise gezielt zu manipulieren. Das würde der Landwirtschaft neue Perspektiven für die Schädlingsbekämpfung eröffnen.

    "Denken sie an die Sprache der Insekten, die Sex-Pheromone von Motten beispielsweise. Wir nutzen diese Pheromone um sie anzulocken oder abzuwehren. Ganz ähnlich wäre das mit der Kontrolle von Nematoden. Es wäre denkbar, willkommene Nematoden anzulocken. Denn einige Nematoden, die man sich in den Garten holt, fressen schädliche Insekten."

    Bis wann diese Technik praxisreif sein könnte, darauf will sich Paul Sternberg nicht festlegen. "Einige Jahre", sagt er – um gleich noch anzumerken, dass "einige Jahre" ja auch ein dehnbarer Begriff sei.