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Die Spur der Viren

Der in den USA forschende deutsche Physiker Dirk Brockmann hat Prognosen über die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie der Schweinegrippe mit Modellen erstellt, die er anhand der Verbreitung speziell markierter Geldscheine entwickelt hatte. Schon wenige Tagen nach einem Ausbruch des Virus seien diese Vorhersagen recht genau, so Brockmann.

Dirk Brockmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 24.06.2009
    Ralf Krauter: Vor anderthalb Jahren haben wir in dieser Sendung über einen deutschen Physiker berichtet, der die Reisebewegungen Millionen, spezieller registrierter US-Dollarnoten verfolgt hat mit dem Ziel, anhand der Spur der Scheine sogenannte Mobilitätskarten zu berechnen, die verraten, wo regelmäßig besonders viele Menschen auf Achse sind. Weil dort, wo besonders reger Verkehr auch vermehrt Krankheitserreger übertragen werden, ist es kein Wunder, dass sich Dirk Brockmann, der besagte Forscher, seit über zwei Monaten intensiv mit Prognosen zur Ausbreitung der Schweinegrippe befasst. Vor der Sendung habe ich mit dem Professor von der Northwestern University in Illinois telefoniert und ihn gefragt: Was verraten die Geldscheine denn nun über die Ausbreitung der neuen Viren?

    Professor Dirk Brockmann: Das ist eigentlich ganz einfach zu verstehen: Wir analysieren, wie sich diese Geldscheine geografisch ausbreiten und dadurch erfahren wir etwas darüber, wie Menschen sich bewegen, weil Menschen diese Geldscheine transportieren. Und wie sich Menschen bewegen, ist ein ganz wichtiger Bestandteil, wenn man Modelle entwickeln möchte zur Ausbreitung von Seuchen, weil auch Seuchen durch menschliche Bewegungen transportiert werden.

    Krauter: Sie haben diese Modelle benutzt, diese Reisebewegungen von Geldscheinen, unter anderem auch, um die Verbreitung der Schweinegrippeerreger zu modellieren, auch Prognosen zu machen. Das Interessante ist jetzt: Auf Ihrer Webseite kann man lesen, dass die Prognosen anfangs ziemlich daneben lagen, also fast um einen Faktor 100 zurückblieben hinter dem, was dann die oberste US-Seuchenbehörde geschätzt hat, so Mitte Mai zu diesem Zeitpunkt. Wie kam es dazu, dass man am Anfang so grob danebengeschossen hat?

    Brockmann: Das ist ganz einfach zu erklären. Also wir haben von vorneherein ein Modell konzipiert, das dazu geeignet ist, während der Prognose neue Informationen in das Modell einfließen zu lassen. Und wir haben auch völlig absichtlich gleich zu Anfang absolute Zahlen, was die Fälle angeht, publiziert, um genau festzustellen, ab welchem Zeitpunkt wir genaue Vorhersagen machen können. Und das war, praktisch schon in der dritten Prognose konnten wir zwei, drei Wochen in die Zukunft Zahlen prognostizieren, die dann auch eingetreten sind. Nur die allererste Prognose, die lag daneben. Aber schon die zweite war sehr gut, und die dritte war dann sehr genau.

    Krauter: Wie zuverlässig sind Ihre Prognosen heute? Sie haben sie ja wahrscheinlich mittlerweile ständig weiter verfeinert in den letzten sechs Wochen?

    Brockmann: Genau - es geht bei diesen Prognosen um eigentlich drei Fragen: Wo tritt die Seuche auf, wann tritt sie da auf und in welcher Häufigkeit? Es ist gar nicht mal so wichtig, genaue Zahlen vorherzusagen zum Beispiel in einem bestimmten Landkreis oder in einem bestimmten County in den USA, sondern ganz genau zu wissen, wann hat man da eine erhöhte Wahrscheinlichkeit in welcher Region. Das hat auch von Anfang an sehr gut geklappt in diesen Modellen, weil man Risikoregionen genau identifizieren kann. Was wir jetzt gelernt haben durch diese Studie, ist ein sehr gutes Wissen darüber, ab welchem Zeitpunkt nach dem Outbreak an irgendeinem Ort wir zuverlässige Prognosen machen können. Das war ja von vorneherein nicht klar, und das ist bisher ja auch noch nie auf dieser Skala probiert worden, Prognosen zu solchen Ausbreitungen in die Zukunft zu machen.

    Krauter: Wie lange brauchten Sie? Im dritten Modell, haben Sie gesagt, war man dann relativ nah an der Wirklichkeit dran. Ist das so eine Faustregel?

    Brockmann: Das ist keine wirkliche Faustregel? Also zunächst mal ist das Modell immer das gleiche Modell. Aber das Modell braucht Informationen, zum Beispiel wie viele Fälle jetzt im Fall der Schweinegrippe es in Mexiko Ende April gab. Wenn diese Zahl mit einem hohen Fehlerbalken versehen ist - und da sind Zahlen veröffentlich worden zwischen sechs und 36.000 , das ist ein Faktor sechs -, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn ein Modell auch so Prognosen macht, die eine breite Spanne zwischen dem Faktor sechs liefert. Diese Zahlen aber wurden dann immer genauer, und je genauere Anfangsbedingungen man in diese Modelle hineinfüttert, desto genauer werden dann auch die Prognosen. Der Witz bei der Sache ist, dass oftmals diese Computersimulationen so anspruchsvoll sind, dass man eigentlich nur eine Simulation starten kann auf sehr großen Rechnern. Wir haben eine Strategie verfolgt, dass wir diese Modelle so weit reduzieren können und effektiv machen können, dass wir an einem Tag sogar mehrere Simulationen laufen lassen können, um dann täglich neue Prognosen zu machen. Aber schon nach drei Tagen hat sich die Prognose stabilisiert. das ist so wie bei den Umfragen bei einer Wahl. Wenn wenige Stimmen ausgezählt sind, dann schwankt das noch, und dann stabilisiert sich das irgendwann. Und so funktionieren auch diese Modelle.

    Krauter: Was wird all das nutzen, wenn im Herbst, wie Experten vermuten, das Virus wieder zuschlägt, vielleicht in einer leicht mutierten Variante wiederkommt?

    Brockmann: Also wir sitzen natürlich nicht auf der faulen Haut. Wir arbeiten weiter an den Modellen, optimieren sie auch noch weiter, was Geschwindigkeit angeht, und wir haben jetzt durch die Erfahrung im Frühjahr noch ein viel besseres Gefühl dafür, welches die wichtigen Parameter des Modells sind, ab wann man wirklich zuverlässige Prognosen machen kann. Sehr früh kann man schon identifizieren, wo sind die Risikoregionen und die relative Häufigkeit, das heißt zum Beispiel die Fälle in Hamburg im Vergleich zu den Fällen in Berlin, das kann man schon sehr früh machen. Die absoluten Zahlen, dazu braucht man dann sehr genaue Kenntnis über die Fallzahl am Anfang einer Seuche. Aber wir sind dafür gewappnet, falls das im Herbst noch mal losgeht.