Dienstag, 19. März 2024

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Die Stadt planen (4/4)
Experimentelle Architektur - Die Zukunft der Stadt

Die Berliner Architektengruppe Raumlabor beschäftigt sich mit den Schnittstellen von Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention. In zeitlich begrenzten Projekten - zum Beispiel den "Shabbyshabby-Apartments" in München oder dem "Kitchen Monument" in Liverpool und Berlin - erkundet sie den urbanen Raum nach Möglichkeiten einer alternativen Nutzung.

Jan Liesegang und Benjamin Foerster-Baldenius im Gespräch mit Jochen Rack | 31.01.2016
    Menschen sitzen in dem Projekt "Kitchen Monument".
    Das Projekt "Kitchen Monument" in der Berlinischen Galerie in Berlin (AFP / Tobias Schwarz)
    Jochen Rack: Herr Liesegang, Herr Foerster-Baldenius, Sie arbeiten in der Berliner Architektengruppe Raumlabor, wie es in Ihrer Präsentation heißt, "an den Schnittstellen zwischen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention". Wir werden im Folgenden einige Ihrer Projekte genauer besprechen. Ein wesentliches gemeinsames Merkmal dieser Projekte scheint mir zu sein die Beteiligung lokaler Bewohner. Kann man denn aus diesem Ansatz schon schließen, dass Ihnen in der klassischen Stadtbaupolitik die Bürger zu wenig Möglichkeiten an Partizipation besitzen? Herr Liesegang?
    Jan Liesegang: Das kann man auf jeden Fall daraus schließen. Wir denken, dass die Wege, wie Partizipation, klassischerweise organisiert ist, dass das oft Wege sind, wo schon ganz schön viel feststeht und der Bürger sich dann dazu äußern kann, und wir haben die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man jemanden in den kreativen Prozess einbeziehen will, dass man dann erst mal eine Basis schaffen muss und dass man erst mal zusammen was erarbeiten muss. Wir haben die Erfahrung gemacht, wenn man jetzt hingeht und die Leute einfach fragt, was wollt ihr denn, dann kommen halt immer diese ganz klassischen Antworten, wir wollen mehr Parkplätze, mehr Shopping, mehr Kinderspielplätze, mehr grün, aber wenn man dann in so einen Prozess anders einsteigt und erst mal zusammen vielleicht Spaziergänge macht, gemeinsam auch verschiedene Projekte anguckt, gemeinsam ein bisschen skizziert, ein bisschen was erarbeitet, dann ist eine Grundlage, um überhaupt jemanden zu beteiligen an so komplizierten Sachen, wie soll unsere Nachbarschaft aussehen, dann ist die erst gegeben und möglich.
    Rack: Herr Foerster-Baldenius?
    Benjamin Foerster-Baldenius: Wir sehen die Menschen vor Ort schon als Experten an, die natürlich ein ganz spezielles Wissen haben über den Ort, über die soziale Struktur, über das, was da passiert und so weiter, und uns interessiert auch erst mal wirklich dieses, bevor wir in den Planungsprozess gehen, dieses Expertenwissen zu bekommen. Gleichzeitig sehen wir uns natürlich auch als Experten an, die mehr vergleichbare Projekte an anderen Orten kennen, die ein bisschen Erfahrung haben mit bestimmten Prozessen, wie man sie auch gestalten kann und hoffen, dass wir dann mit der Zeit ein gemeinsames Vertrauensverhältnis erst mal aufbauen, indem die einen uns vertrauen mit unserer Expertise und wir auch vermitteln können, dass wir den Menschen vor Ort auch mit ihrer Expertise vertrauen. Dann kommt man erst langsam in einen Planungsprozess mit rein, das heißt, uns verwundert immer, wenn Stadtplanung von vornherein auf dem Reißbrett einen Masterplan entwickelt, wo man dann zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach festlegt, wie man gerne das machen möchte, wie vor 15 Jahren ein Masterplan hier für Berlin für den Alexanderplatz gemacht wurde, und jetzt sind wir aber 15 Jahre später und noch nichts von diesem Plan ist realisiert worden, aber die ganze Planung orientiert sich immer noch an einer Idee von der Stadt und dem Platz, wie er vor 15 Jahren mal visioniert worden ist. Unserer Meinung nach muss so eine Planung auch lernen und muss sozusagen prozesshaft vonstattengehen und muss dabei auch immer wieder die Reaktion der Bevölkerung und der Menschen miteinbeziehen. Dafür braucht es neue Werkzeuge, die diese Reaktionen wahrnehmen können. Wir leben einfach inzwischen in einer ganz anderen Stadt als vor 15 Jahren.
    Ästhetisiertes abstraktes Stadtgefüge
    Rack: Dieses Stichwort Werkzeuge will ich aufgreifen, den Sie haben ein Projekt, das nennt sich Kitchen Monument, das ist, wenn ich das in meinen einfachen Worten beschreiben darf, ein aufblasbarer Raum, in dem sich Menschen versammeln können, um dann verschiedene Initiativen zu beginnen, miteinander zu diskutieren oder auch Kunstprojekte zu machen. Wenn Sie mal erzählen, wie dieses Kitchen Monument von Ihnen eingesetzt wurde - ich glaube, es gibt eine Variante dieses Monuments, das nennt sich Bang Bang, es wurde in Korea eingesetzt, es ist ein ähnliches Tool -, damit wir überhaupt mal eine Vorstellung kriegen, wie Raumlabor arbeitet. Herr Liesegang?
    Liesegang: Das Küchenmonument war tatsächlich das erste von einer ganzen Reihe von solchen mobilen Architekturen, die wir als Werkzeuge in der Stadt benutzen. Dort beim Küchenmonument ging es darum, einen Raum zu schaffen, um im öffentlichen Raum sichtbar gemeinsam diskutieren und kochen zu können. Da war es die Idee, dass man - verschiedenes ist entwickelt worden für die Innenstadt von Duisburg, und wer das ein bisschen kennt, das ist eine sehr diverse Stadt, eine Stadt, wo hauptsächlich Einwanderer wohnen und wo ganz viele öffentliche Orte untergenutzt sind oder ein bisschen runtergekommen -, und wir sind also mit diesem Küchenmonument in diese Nachbarschaften gegangen und haben jeweils zwei Anwohner, die wir vorher auf verschiedenen Veranstaltungen kennengelernt haben, gefragt, ob sie mit uns zusammen dort ein Essen machen wollen, und die konnten dann ihre Freunde einladen, und zusätzlich gab es noch ein allgemeines Publikum von dem Akzente-Festival, dass das damals organisiert hat, und dann wurde gemeinsam gekocht, und über dieses Kochen wurde versucht, sich näher zu kommen, um über Differenzen zu diskutieren und auch versucht, über diesen Ort zu diskutieren, in dem das stattgefunden hat. Diese aufblasbare Hülle schafft es sehr schön, dass man einerseits sich sehr geborgen fühlt da drin, weil es eine runde Form ist und eine tolle Akustik hat, und andererseits ist man aber völlig noch draußen, und das ist so ein Ding zwischen Drinsein und Draußensein. Solche Architekturen haben wir immer wieder versucht zu entwickeln, sodass man das Thema, über das man redet, direkt vor Augen hat und auch sichtbar ist.
    Rack: Gibt es denn da jetzt Erkenntnisse, die Sie sammeln können und vielleicht ein bisschen verallgemeinern können darüber, wie die Menschen, die dann an so einem Prozess teilnehmen, ihr städtisches Umfeld verstehen? Es gibt ja ein gewisses Unbehagen an der Stadt, das ist schon älter, das kommt zum Teil auch aus der deutschen Geschichte, die Städte sind zerstört, und zum Teil hässlich wieder aufgebaut worden, dann gab es in den 60er-Jahren den berühmten Ausspruch von Mitscherlich über die Unwirtlichkeit unserer Städte - also wenn Sie mal resümieren, was dann von Seiten der Menschen dort an Kritik geübt wird oder was Sie womöglich an neuen Vorstellungen von lebenswerter Stadt dann da erfinden können. Herr Liesegang?
    Liesegang: Was man sagen kann, dass man doch sehr oft antrifft, dass die Leute das Gefühl haben, Stadt ist so was, das wird da oben gemacht, also dass auch sehr stark das Gefühl noch da ist, man geht halt zum Wählen, und dann hat man so eine Vertretung, und die ist eigentlich dafür zuständig, was jetzt in der Stadt passiert. Das ist natürlich in gewissen Feldern wie in der Bildung oder Schule ganz anders, wo sich Eltern auch ganz anders einbringen, aber wenn es jetzt um öffentliche Orte geht, öffentliche Räume, ist es doch sehr oft so, dass die Leute sich erst mal gar nicht, glaube ich, befähigt fühlen. Es ist dann eher ein fast diffuses Unbehagen, auf der anderen Seite sehr oft aber auch ein Stolz auf die Nachbarschaft, und das ist relativ unabhängig davon, ob das jetzt ein ansehnliches innerstädtisches Quartier ist oder ob man jetzt, weiß ich nicht, in Hamburg-Harburg oder in irgendeiner Hochhaussiedlung mit dem Küchenmonument ist. Man merkt auch immer, die Leute, die dort wohnen, die dann an so einer Sache auch teilnehmen, die haben zu ihrem Wohnumfeld auch eine ganz starke Bindung und haben auch einen gewissen Stolz, den sie damit verbinden und haben dann oft sehr konkrete Vorstellungen, also gerade in schwierigen Nachbarschaften sehr konkrete Vorstellungen von dem, was da fehlt, was falsch ist, wo man wirklich sagen, okay, das sind die Experten. Das sind dann, finde ich, auch oft Sachen, die einem wirklich selber erst mal nicht auffallen, wo es um Erreichbarkeiten, öffentlichen Nahverkehr geht, wo man sagt, okay, das ist zu weit weg von dem, oder hier spielt nie jemand, obwohl man da eine grüne Wiese sieht, weil hier zieht es, oder hier ist man viel zu beobachtet, oder die Kinder werden ja immer verjagt. Also solche Dysfunktionalitäten, die man so erst mal gar nicht wahrnimmt. Das ist auch ein Ansatz, warum wir solche Werkzeuge entwickelt haben, ist auch so, dass wir gemerkt haben, als wir angefangen haben, so Stadtplanung zu machen - das war damals in Halle-Neustadt, war ja eine schrumpfende Stadt -, haben wir gemerkt, wenn man jetzt erst mal auf den Plan guckt, dann sieht man so ein ganz ästhetisiertes abstraktes Stadtgefüge, es sieht aus wie so ein Schachbrett fast, sieht auch auf eine Art faszinierend aus. Wenn man dann vor Ort ist, ist man erst mal total geschockt, weil das sind alles Hochhäuser, und es sind relativ harsche öffentliche Räume dazwischen, wenn man dann aber näher in den tatsächlichen - wir haben das dann damals so gemacht, dass wir da für ein paar Monate auch hingezogen sind, da gewohnt haben -, und dann hat man plötzlich eine ganz andere Wahrnehmungseben.
    Rack: Sie reden jetzt über dieses Projekt, Hotel Neustadt nennt sich das, aus dem Jahr 2004 war das.
    Liesegang: Ja, es war ein Projekt, wo wir erst in Halle-Neustadt ein Stadtentwicklungskonzept entwickelt haben, und dann infolge von den Kontakten, die wir dann dort gekriegt haben, haben wir dann noch dieses Hotel Neustadt gemacht, was dann vor Ort ein ganz konkretes Projekt war, wo wir mit Jugendlichen ein Hotel gebaut haben.
    Rack: Herr Foerster-Baldenius, können Sie dieses Projekt ein bisschen genauer schildern?
    Foerster-Baldenius: Gerne! Halle-Neustadt ist der östliche Anbau an die Stadt Halle in der Zeit als die Chemieindustrie dort immer mehr gewachsen ist, das heißt, das war die Stadt für 100.000 Bewohner, die hauptsächlich in der Chemieindustrie gearbeitet haben. Dann gab es nach der Wende so ein bisschen einen Wechsel, die Chemieindustrie ist ein bisschen renoviert worden -, die gibt es da immer noch, die ist auch immer noch genauso produktiv, wenn nicht sogar produktiver, braucht aber keine Arbeitskräfte mehr -, und insofern, es gab vielfältige Gründe für Abwanderung, sodass dann gerade in den großen Plattenbausiedlungen - und Halle-Neustadt ist die zweitgrößte Plattensiedlung der DDR gewesen, also gleich nach Hellersdorf-Marzahn -, ein großer Leerstand da war, der zu den üblichen Folgen führte: Leerstehende Gebäude werden vandalisiert, man hat weniger Lust, in diese Räume zwischen diesen Häusern zu gehen, das verwahrlost ein bisschen, es gibt soziale Segregation, die, die können, ziehen weg und so weiter. Wir haben dann eine Untersuchung gemacht über die Frage, wie kann man eigentlich weiter in so einer Stadt leben und sie nicht aufgeben, sondern darüber nachdenken, wie kann man eigentlich etwas Neues daraus machen und haben dann gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendtheater in Halle, dem Thalia-Theater, damals ein Projekt entwickelt, mit Jugendlichen einen ganzen 18-geschossigen Wohnblock umzubauen in ein Hotel und dann in diesem Hotel ein großes Theaterfestival stattfinden zu lassen, mit internationalen Gruppen, die sich dort vor Ort auch mit der Situation auseinandergesetzt haben. Da wurde jetzt nicht Shakespeare gespielt, sondern das waren Formen von Theater, die sich mit den Bewohnern, mit den Menschen, mit den Räumen, mit der Situation dieses Plattenbaugebietes, mit der Kunst, die es dort gab, auseinandergesetzt haben und da ein halbes Jahr wirklich einen zentralen Ort in dieser Stadt belebt haben. Die Jugendlichen haben über 100 Zimmer eingerichtet und haben Betten gebaut und Möbel gebaut und haben sich auch Gedanken darüber gemacht, was man sonst so braucht, die haben eine Touristeninformation gemacht, die haben einen Club im Keller aufgemacht, das war ein ehemaliges Studentenwohnheim, haben diesen Studentenklub, der da mal gewesen ist, wiederbelebt. Mit rührender Kleinarbeit haben sie da die Bilder, die da an der Wand waren wieder unter der Tapete rausgeholt und haben sich wirklich sehr engagiert auch in diesen verschiedenen Sachen. Das war natürlich auch toll, ein Hotel gibt auch viele Möglichkeiten, sich an verschiedenen Stellen zu engagieren. Dann kamen irgendwann Künstler, die dort gearbeitet haben, und dann kamen die Besucher noch dazu, die das Festival besucht haben, möglichst auch Leute aus der Stadt. Die gesamte Verwaltung der Stadt, also die Bürgermeisterin mit ihren Dezernenten, hat dort im Hotel übernachtet, das war natürlich auch toll für alle. Da draus ist wirklich eine enge Zusammenarbeit auch mit einzelnen Personen in Halle-Neustadt entstanden - zwischen dem Theater, diesen Leuten, es gab eine ganz neue Vernetzung von Menschen, die sich dort gefunden haben, die Wohnungsbaugesellschaften haben Interesse bekommen, was zu machen, und daraus ist eine sehr lange Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung, mit der Stadt, mit den Wohnungsbaugesellschaften und den Menschen dort in Halle entstanden, an der wir sicherlich acht, neun Jahre gearbeitet haben.
    Wir brauchen eine gemischte Stadt
    Rack: Mich erinnert dieses Projekt an ein Projekt in Augsburg, dieses Grandhotel Cosmopolis - es ist keine temporäre Einrichtung, aber auch da ist ein Hotel geschaffen worden, wo Migranten oder Asylbewerber und Hotelgäste zusammen wohnen. Auch da gibt es einen großen Beitrag der Künstler und der Kultur für die Kommunikation, die da stattfinden soll. Ich will Sie fragen, unter diesem Aspekt, denn wir stehen ja jetzt vor der großen Frage, wie können wir lebenswerte Architektur für Migranten insbesondere schaffen: Lässt sich denn aus solchen Projekten irgendwas entnehmen aus Ihrer Sicht, das uns eine Idee geben könnte, wie wir Wohnraum schaffen, und zwar einen Wohnraum für jetzt Leute, die wenig Geld haben, die eine Flüchtlingsgeschichte hinter sich haben, um sie in unsere Städte, in unser Leben besser zu integrieren als dies in Containerdörfern etwa der Fall ist?
    Liesegang: Ja, ich denke auf jeden Fall, dass da viele Sachen, viele Techniken entwickelt wurden in solchen Projekten, die uns gerade in so einer Situation ... Also wir haben es irgendwie geschafft, die Zuwanderungssituation ziemlich schnell als Krise zu bezeichnen, und in einer Krise ist immer alles Handeln unter einem bestimmten Druck, und gerade diese Projekte, in denen wir gearbeitet haben, wie jetzt das Projekt Halle-Neustadt, sind natürlich auch Projekte, die immer in einer Improvisations-, mit einem kleinen Budget, mit einem Riesenhaus mit Jugendlichen, also unter einem Improvisationsvorzeichen arbeiten. Da kann man ganz viel, glaube ich, daraus übernehmen. Wir haben beispielsweise jetzt gerade mit verschiedenen Partnern hier in Berlin - also hauptsächlich dem Zentrum für Kunst und Urbanistik - einen Vorschlag erarbeitet, einen großen Häuserkomplex, das ehemalige Haus der Statistik der DDR direkt am Alexanderplatz umzunutzen. Auch eins der Vorbilderprojekte war das Projekt aus Augsburg, wo man versucht, eine kulturelle Nutzung, Studios für Künstler und Wohnen von Immigranten, Wohnen aber auch von Studenten, das alles zusammen in einen großen Komplex zu packen und an einen sehr zentralen Ort zu bringen und ein Haus dafür zu aktivieren, was da steht, was noch sehr gut umnutzbar ist, was aber gerade abgerissen werden sollte. Diese Initiative ist genau eine Initiative, die jetzt diesen geplanten Abriss stoppen soll, um genau nicht in so einen Reflex zu verfallen, jetzt kommen da ganz viele Flüchtlinge, das ist jetzt eine totale Problemsituation, was können wir jetzt machen, ganz viele Container kaufen, die irgendwo an den Stadtrand stellen. Das sind solche Krisenmechanismen, die da eintreten, die, glaube ich, auch ganz verständlich sind, aber ich glaube, dass es gerade wichtig ist, aus diesen Projekten oder daraus, wie wir Stadt sehen, jetzt auch zu gucken, was gibt es eigentlich, was haben wir noch an Ressourcen, welche vielleicht großen Infrastrukturprojekte kann man erst mal auf Eis legen, um diesen Platz zwischenzunutzen, wo sind noch Plätze. Wenn man gerade das Berliner Stadtgebiet anguckt, wir haben so viele sehr gut erschlossene Flächen noch über in der Stadt, also nicht nur in Tempelhof, wo man Umnutzung machen kann, wo an Zwischennutzung machen kann.
    Rack: Diese übrig gebliebenen Plätze, von denen Sie jetzt sprechen, die figurieren ja in der Architektursprache, wenn ich das richtig sehe, als Leftovers jetzt in der letzten Zeit etwas prominenter - das scheint so ein neues Zauberwort zu sein. Es gibt etwa in dem Buch Refugees Welcome von dem Architekten Jörg Friedrich auch den Vorschlag, speziell an solche Orte zu gehen, um eben Architektur zu integrieren in schon bestehende Städte, um diese Segregation in Containerdörfern zu vermeiden. Ist es die Lösung, und kann es eine Lösung sein vor allem für diese großen Mengen an Wohnraum, die jetzt erforderlich sind?
    Foerster-Baldenius: Wir brauchen eine gemischte Stadt, das wissen wir, das wissen wir auch, das ist auch die Lehre aus diesen Anschlägen in Paris gewesen, dass man sagt, wir müssen aufpassen, dass da eben keine soziale Segregation in unseren Städten entsteht, und deswegen muss man auch von vornherein schauen, dass man gar nicht erst anfängt mit so gettoisierenden Prozessen anzufangen. Das heißt, man muss gucken, wie kriegt man eigentlich eine Mischung von unterschiedlichen kulturellen Gruppen hin, und dafür ist natürlich eine Möglichkeit, man baut Häuser dahin, wo schon Häuser sind, wo andere Leute wohnen, wo jetzt eine neue kulturelle Gruppe dazukommt, ist die eine Möglichkeit. Das andere ist, dass man Häuser baut, die von Anfang an ein Programm haben, und das ist das, was wir im Moment am Alexanderplatz vorschlagen, ein gemischtes Programm anbieten, wo automatisch schon eine Integration darüber da ist, dass wir sagen, Künstler, Migranten, Studenten gemeinsam wohnen. Da gibt es auch vergleichbare Projekte in München: Es gibt auch das Bellevue di Monaco, wo gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und einem funktionierenden kulturellen Ort Wohnraum geschaffen wird direkt an derselben Stelle für unbegleitete Jugendliche, die nach Deutschland gekommen sind. Ich finde, das sind die richtigen Ansätze.
    Rack: Aber ist dies auch finanzierbar? Ist es billiger oder nicht teurer als so ein Container, den man sich irgendwo hinstellt?
    Foerster-Baldenius: Im Fall von den vielen, vielen Quadratmetern, die das Haus der Statistik am Alexanderplatz hat, ist es so, wenn man ein bestehendes Gebäude umnutzt, dann sind das maximal die Hälfte der Kosten eines Neubaus, und Abriss und Neubau sowieso, weil Abriss ist heutzutage wahnsinnig teuer.
    Rack: Aber trotzdem teurer als ein Containerdorf, vermute ich mal.
    Foerster-Baldenius: Nein, das ist nicht teurer. Containerdörfer sind, also abgesehen davon, dass es keine Container gibt im Moment in Deutschland und schon gar keine Duschcontainer – Überseecontainer gibt es vielleicht noch im Hamburger Hafen, aber die müssen ja auch umgebaut werden -, Containerdörfer sind wahnsinnig teuer, vor allen Dingen über die Zeit, in der sie dann stehen bleiben, weil das sind ja Mietobjekte, und da entstehen auch wahnsinnige Kosten, auch für das Land. Das Grundstück n Berlin ist das teuerste, eher das Grundstück.
    Rack: Dann muss ich natürlich fragen, weshalb konzentrieren sich denn im Augenblick die Kommunen auf diese Containerdörfer, wenn es andere Möglichkeiten gibt? Ist es nur aus Zeitgründen, weil man so schnell so eine Umnutzung nicht hinkriegt oder fehlt es da an Kreativität in den Köpfen?
    Foerster-Baldenius: Die Kreativität geht ja schon los: In Berlin war der Reflex einerseits, die Hangars vom Tempelhofer Flughafen mit 5.000 Flüchtlingen zu bestücken, wo man sich dann auch wieder fragen kann, ist das jetzt die richtige Lösung, so viele Menschen auf einmal an einen Ort, der keine Duschen, keine Waschmaschinen, gar nichts hat, zu konzentrieren. Es gibt aber auch, in Hamburg sind das die Baumärkte, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden. Die ehemaligen Stasi-Gebäude in Berlin-Lichtenberg, habe ich jetzt gelesen, werden auch zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut. Es gibt natürlich unheimlich viel, aber man muss sich ja nicht nur darüber Gedanken machen, wo können wir Betten aufstellen, wo die Leute dann schlafen können, sondern wie können wir von Anfang an das schaffen, dass die Menschen auch soziale Kontakte mit Menschen bekommen. Der Fremde muss ja sichtbar werden in der Stadt, um überhaupt seine Kraft zu entwickeln. In der Stadt ist es wichtig, dass man regelmäßig im öffentlichen Raum mit dem Fremden konfrontiert wird, das ist das, was das Leben in der Stadt interessant und auch lebenswert macht, und dafür müssen aber Räume geschaffen werden, dafür müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie kann das auch in den öffentlichen Raum getragen werden. Wir sehen eigentlich die Flüchtlinge im Moment nur in den Medien, wir sehen sie aber nicht in der Stadt. Selbst die 2.500 Flüchtlinge, die in Tempelhofer Hangars untergebracht sind, wenn du in den Park gehst auf dem Tempelhofer Feld, siehst du keine Flüchtlinge. Wir brauchen aber diese Menschen auch sichtbar in der Stadt, um mit ihnen umgehen zu können, um sie zu treffen. Wir brauchen Module, in denen wir sozusagen unterschiedliche soziale Gruppen zusammenführen können, und da drüber muss man sich Gedanken machen, wenn man jetzt neue Gebäude plant zum drin wohnen.
    Rack: Herr Liesegang, ich will Sie jetzt noch in eine andere Richtung fragen: Die Projekte, über die wir jetzt gesprochen haben, die zeichnen sich vielfach durch Kleinräumigkeit aus. Es gibt aber in der Architektur auch so eine Tendenz zu den berühmten Signature Buildings, also Architekten scheinen gerne Gebäude zu bauen, die eine große Strahlkraft haben, die zu Ikonen werden können, die dann auch für das Stadtmarketing gern genutzt werden. Wenn Sie da mal sich Projekte anschauen, die in der letzten Zeit in Deutschland etwa realisiert werden - die Elbphilharmonie, in München wird jetzt ein Konzertsaal gebaut -, diese großen Projekte - in Stuttgart wurde der Bahnhofsbau begonnen, die berühmten Proteste, die sich um Stuttgart 21 rankten -, ist denn die Architektur zu sehr noch auf das Bauen von spektakulären Gebäuden konzentriert, und sind diese Fragen, die Sie stellen an den sozialen Raum, an die Integration von Leuten, die sich vielleicht jetzt nicht dieses teure Ticket leisten können, um in die Elbphilharmonie zu gehen, ist dies alles unterbelichtet, wie erleben Sie das?
    Es wird ein bisschen austauschbar
    Liesegang: Ich finde schon, dass es problematisch ist, wenn auf der einen Seite die meiste Raumproduktion, normale Wohngebäude oder Geschäftsgebäude, die in unseren Städten entstehen, sind die meisten einfach so Abklatsch von irgendeiner Idee von Moderne oder auch Rückbesinnung auf irgendeine Idee von der Stadt des 19. Jahrhunderts, aber in einer wahnsinnig oft traurig und nichtssagenden Qualität. Dagegen ist natürlich so eine Elbphilharmonie, wie sehr die jetzt auch zu teuer war und zu kritisieren ist, erst mal als architektonisches Werk schon was, was total ausdrucksstark ist und wo die Leute sich für begeistern können. Ich meine, ich habe es noch nicht selber gesehen, aber wir denken schon auch, dass Architektur was anderes sein muss als Zweckkisten und dass natürlich auch der soziale Aspekt von Architektur sich darüber ausdrückt, mit welchen Materialien, was ist ein Ausdruck von einem Gebäude, ist das offen, ist das einladend, strahlt es irgendeine Fantasie darüber aus, wie man eigentlich zusammenleben will, strahlt das irgendwas aus, wofür ich mich begeistern kann, strahlt das was aus, wo ich das Gefühl habe, okay, das hat auch was Zeitgenössisches, das hat was mit meinem Leben zu tun, damit identifiziere ich mich, wie ein Plattencover oder eine Band. Das ist schon auch Teil von unserer eigenen Arbeit - wir haben zum Beispiel gerade in Göteborg ein kleines Saunagebäude im Innenhafen in einem Gebiet, was jetzt auch komplett entwickelt werden soll, gebaut, das ist so ein Vorbote von der Stadt, die jetzt in dem ehemaligen Freihafen gebaut werden soll, und haben da auch ganz bewusst eine sehr figurative, starke Architektur in dieses Hafenbecken gestellt, um einfach dem Ort eine neue Qualität zu geben und um viele Leute dort hinzulocken und vielen Leuten auch das Gefühl zu geben, okay, ich war in diesem kleinen Gebäude, habe da drin gesessen, habe eine Sauna genossen, habe auf die Stadt geguckt und habe darüber zu einem Ort, der erst mal über Jahrzehnte lang verschlossen war und nur für Handel und Industrie genutzt, habe zu dem eine Eins-zu-eins-Verbindung gekriegt. Das hat dann schon sehr viel auch mit den Materialien zu tun, den Details zu tun, was fasst man da an. Wir denken schon, dass Architektur - das ist natürlich eine arme Sprache -, Architektur arbeitet mit Linien, mit Räumen, mit Materialien, aber trotzdem erzählt sie was, und wir finden, dass viele der Architektur, die man heute sieht, sehr wenig erzählt oder eine sehr traurige Geschichte erzählt, deshalb vielleicht auch unsere Polemik gegen die Container. Natürlich denken wir auch, man muss jetzt schnelle Lösungen finden, man kann auch mit Containern gute Architektur machen, aber man sollte nicht unter diesem Vorwand oder diesem Stigma der Krise sozusagen alles andere über den Haufen werfen. Genauso ist es vielleicht auch unsere Haltung zu den Kollegen, die als Stararchitekten bezeichnet werden und diese Signature Architektur machen - ich denke schon, dass die meisten dieser Architekten schon sehr viel, zumindest mal in ihrem Gesamtwerk, eine sehr hohe Kreativität gegenüber anderen an den Mann legen. Was traurig ist, ist, dass das auf eine Art - dadurch, dass die dann überall auf der Welt bauen - auch ein bisschen austauschbar wird. Dann hat man das Gefühl, das ist einfach nur noch so ein Asset - man hat halt gerne ein hohes Hochhaus, und man hat halt gerne ein Gehry-Gebäude oder so, und genau das macht dann auch auf eine Art wieder das Gegenteil: Das macht dann nicht den einen Ort speziell und das schafft nicht so eine Vertiefung von so was, was man vielleicht Identität nennen könnte, sondern das schafft eigentlich eher so eine Art von Repräsentation, die aber eher eine Repräsentation ist von vielleicht so einer Art von internationaler Macht oder von Konzernen oder auch von einem Kulturbetrieb. Wenn jetzt jeder dieses schicke Museum von dem und dem Architekten haben will, ist das vielleicht auch unter dem Strich irgendwann kein Gewinn mehr, auch wenn das einzelne Objekt trotzdem noch schön anzusehen ist.
    Rack: Ich glaube, wir haben jetzt in unserer Diskussion schon gesehen, es gibt viele kreative Ideen, nicht nur von Raumlabor, sondern auch von anderen sozial engagierten Architekten, die die Stadt in einer Weise neu beleben wollen, dass Werte wie Gemeinschaft, wie Integration dort verwirklicht werden können, aber ich will Sie am Ende unserer Diskussion auch fragen, wie optimistisch sind Sie denn, dass Sie mit solchen Ideen gegen die Macht des Kapitals, gegen die Macht der großen Investoren, die den Städten ihren Stempel aufprägen, letztlich etwas bewirken können? Wird man sich immer nur mit einer Nische, mit so einer schönen, kleinen Welt zufrieden geben müssen, oder haben Sie die Vorstellung, dass vielleicht auch in einem größeren Maßstab sich unsere Städte in der Zukunft anders entwickeln können?
    Liesegang: Ich glaube, man kann schon ganz klar sagen, gerade in der Stadt, die irgendwie unter Druck steht, also wo es Wohnungsnot gibt oder Nachfrage und wo Mieten steigen, also wo der Raum auch Spekulationsraum wird, man braucht eine innovative und starke Verwaltung. Man braucht eine Politik, man muss den Markt was entgegensteuern, das ist klar, sonst diffundieren die Leute, die weniger Einkommen haben, weniger Bildung haben, die diffundieren langsam an den Rand, und Konzerne, gut situierte Leute konzentrieren sich, und das ist eine Gefahr, und da kann man natürlich durch die Arbeit, die wir machen, Orte schaffen, man kann Orte beleben wie, weiß nicht, in Berlin der Ort Prinzessinnengärten. Das sind Orte, die schon, glaube ich, durch ihre Beispielhaftigkeit und dadurch, dass sie sehr offen sind und auch eine sehr große Strahlkraft haben, etwas sehr Großes bewirken, aber letztlich bewirken die natürlich nur dann was, wenn auch die Stadt als Ganzes oder die Verwaltung, die Regierung in der Stadt das in irgendeiner Weise aufnimmt und das größer macht und natürlich auch gewisse Dinge beschränkt. Ich glaube, man kann einer Mietensteigerung letztlich natürlich nur durch politische Maßnahmen, durch Gesetze entgegentreten. Das wird man nicht durch solche Projekte schaffen. Das findet zum Teil auf der Straße statt, zum Teil muss es dann aber auch einfach aufgenommen werden und über Wahlen, über die Politik stattfinden. Ich glaube, was man sagen kann, es gibt Städte, zum Beispiel in Göteborg arbeiten wir an verschiedenen Projekten mit der Stadt zusammen, wo solche Bottom-up-Strategien, wie man die unter Stadtplanern nennt - also Sachen, wo aus einer Nachbarschaft heraus was kritisiert und angeregt wird -, die solche Strategien, die da entstanden sind, zum Teil ihrer Top-down-Strategie gemacht haben, die versuchen jetzt einen neuen Stadtteil dort zu entwickeln und gleichzeitig aber wirklich Investoren einzubeziehen, aber dann ein gewisses Regelwerk zu schaffen, mit 50 Prozent sozialem Wohnungsbau, mit bestimmten Auflagen, nicht so, dass es für die Investoren unmöglich wird, aber so, dass die doch sozusagen ein bisschen mehr geben als sie normalerweise geben würden. Das sind Sachen, wo ich im Moment in Berlin, wo ja Bottom-up wahnsinnig viel passiert, das noch total vermisse, dass das auch noch mehr überspringt. Ich glaube, das findet in vielen Teilen auch statt, dass da ein gegenseitiger Lernprozess stattfindet und auch eine Beteiligung, aber im Große und Ganzen in vielen größeren Zusammenhängen hat man das Gefühl, überhaupt nicht. Ich glaube, das wäre für uns auch, das ist ein bisschen unser Ziel: Wir wollen nicht immer weiter in der Komfortzone der kulturellen Produktion bleiben, sondern wir wollen genau auf diese städtischen Prozesse Einfluss nehmen und da eine Kommunikation herstellen, und dafür muss man, glaube ich, viel verhandeln. Auf der anderen Seite muss man auch ab und zu solche vielleicht radikalen oder spektakulären Beispiele geben, um überhaupt Ideen in die Welt zu setzen und zu testen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.