Meurer: Seit zwei Wochen sind Sie im Amt. Wie sieht denn so Ihr Alltag als Minister in Kabul aus?
Farhang: Ich bin jetzt überwiegend beschäftigt mit den Delegationen, die aus dem Ausland kommen von verschiedenen Institutionen, die Geldmittel für den Wiederaufbau Afghanistans bereitstellen. Wir verhandeln und wir haben auch einige Projekte vorgelegt, die dringend wieder aufgebaut werden müssen, damit eine gewisse Infrastruktur wieder da ist. Es steht das Problem der Rückkehr der Flüchtlinge bevor. Also da gibt es sehr viel zu tun. Erst müssen wir Rahmenbedingungen bilden, damit alles dann besser voran geht.
Meurer: Welche Projekte und Aufgaben sind denn jetzt die wichtigsten?
Farhang: Die wichtigsten sind sehr viele. Sie wissen, dass Afghanistan fast völlig zerstört ist. Da ist es sehr schwer zu wählen, welche Projekte primär gefördert werden sollen. Aber wir müssen irgendwo anfangen und wir haben gleich mit dem Wiederaufbau einiger Schwerpunkte im Lande angefangen, sechs Regionen, die besonders durch den Krieg und vor allen Dingen von den Taliban völlig zerstört worden sind, in verschiedenen Teilen des Landes. Da kommen jetzt auch die Flüchtlinge, wenn der Frühling da ist. Da müssen wir also viel tun für die Wiedereingliederung dieser Menschen in ihre Wohngebiete und in ihren ländlichen Gebieten.
Meurer: Wie sind denn Ihre Möglichkeiten, in diesen ländlichen Gebieten im Moment zu helfen?
Farhang: Die Möglichkeiten sind sehr schlecht, weil die Gebiete völlig zerstört sind. Es sind landwirtschaftliche Gebiete, aber es gibt auch dort Handwerker und dergleichen. Daher wollen wir erst einmal die Flüchtlinge in den Grenzgebieten zu Pakistan und zum Iran auffangen, ein paar Tage oder eine Woche dort versorgen und dann in der Zwischenzeit die notwendigen Institutionen an den Ort zu schaffen, damit sie dann problemlos zu ihren Wohnorten gehen und dort vor Ort versorgt werden, medizinisch gesehen, aber auch für ihre Schule, Kinder, Bildung, Ausbildung und auch die Wasserversorgung. Es gibt also eine Menge zu tun.
Meurer: Wünschen Sie sich, dass die Flüchtlinge schon kommen, oder braucht das noch etwas Zeit?
Farhang: Nein. Wir wollen - - Was heißt, dass wir es wollen. Die Flüchtlinge wollen gerne zurück nach Hause, aber wir können es nicht so machen, dass die alle auf einmal kommen. Wir müssen ein Programm entwerfen, damit sie dann stückweise, Gruppe für Gruppe kommen. Wir wollen, dass sie dort wieder eingegliedert werden. Wir wollen auf jeden Fall solch ein Chaos vermeiden.
Meurer: Sie selbst sind ja lange Zeit sozusagen im Exil in Deutschland gewesen, ungefähr 20 Jahre. Wie groß glauben Sie ist denn die Bereitschaft von Afghanen, die im Ausland leben, wieder zurück in ihre Heimat zurückzukehren?
Farhang: Ich habe mit vielen meiner Landsleute in Deutschland gesprochen. Die Motivation und der Wille ist da, dass sie zurück nach Afghanistan kehren. Aber ich möchte auch hier einen Appell richten. Viele meiner Landsleute, die Intellektuellen, die ausgebildeten, haben immer sich beklagt, dass sie keine Chance hatten, sich für ihr Land einzusetzen. Jetzt ist die Chance da. Sie müssen zurück kommen. Man kann das Land nicht vom Ausland aufbauen. Die müssen also nach Afghanistan kommen und hier mit anpacken, weil die Aufgabe sehr groß ist. Wenn man hier im Stich gelassen wird und wir die notwendigen Ziele nicht erreichen, dann sind wir alle, auch diejenigen, die nicht zurückkommen, verantwortlich dafür.
Meurer: Ist es denn in Ihrem Land schon sicher genug, um wieder zurückzukommen?
Farhang: Was heißt Sicherheit? Nirgends gibt es völlige Sicherheit. In Afghanistan gibt es ein Land, das seit mehr als 20 Jahren im Krieg steht. Jetzt ist das Risiko natürlich größer, aber man muss sich dieser Herausforderung stellen. Sonst kommt überhaupt keine Sicherheit. Wenn wir angefangen haben, das Land wieder aufzubauen, dann kommt auch dadurch mehr Sicherheit ins Land.
Meurer: Wie wichtig, Herr Farhang, ist denn die internationale Schutztruppe in Afghanistan, um zu helfen, dass die Flüchtlinge und die Exilanten in ihr Land wieder zurückkommen und dass der Wiederaufbau auch beginnen kann?
Farhang: Zur Zeit müssen etwa 5000 Friedenstruppenmitglieder in Afghanistan sein, aber die Zahl ist weitgehend nicht ausreichend, um die gewaltigen Aufgaben zu erledigen. Hier werden diese Truppen in Kabul eingesetzt, aber andere Landesteile brauchen auch Friedenstruppen und ich hoffe, dass die Staatengemeinschaft sich darüber Gedanken macht.
Meurer: An der Staatengemeinschaft liegt es ja nicht. Das ist ja zuletzt von der afghanischen Regierung abgelehnt worden, dass es mehr Soldaten sein sollen.
Farhang: Ja, ich weiß es, aber Sie wissen, wie die politischen Verhandlungen sind. Da darf man die Geduld nicht verlieren. Wir müssen alle nochmals und immer wieder darüber verhandeln und wenn es notwendig ist, dann müssen wir unsere Einstellung auch ändern.
Meurer: Wie notwendig ist es denn, dass Soldaten der internationalen Friedenstruppe über Kabul hinaus auch in den Regionen tätig werden?
Farhang: Das ist möglich und es sich auch einige Afghanen, die das verlangt haben. So hat zum Beispiel der Chef einer politischen Organisation in Afghanistan das verlangt, aber auch andere. Über die Modalitäten und die Möglichkeiten müsste dann noch einmal verhandelt werden.
Meurer: Der Chef der Übergangsregierung Karsai hat gestern in einem Interview angedeutet, immer wenn es nötig würde dann könnten Soldaten der internationalen Friedenstruppe auch auf dem Land eingesetzt werden. Gibt es da einen Meinungswandel?
Farhang: Ich kann Ihnen sagen, dass Herr Karsai sich von vornherein dafür eingesetzt hat, dass die Friedenstruppe auch anderswo in Afghanistan eingesetzt wird. Im Rahmen der Regierung gibt es da natürlich Meinungsverschiedenheiten und das ist auch ganz normal so, weil das ein Zeichen der Demokratie ist. Aber wenn wir noch mal über das Problem reden und wenn das Problem noch heikler wird, dann kommen wir bestimmt zu einem Konsens zugunsten des afghanischen Volkes.
Meurer: Zum Schluss vielleicht noch eine Frage, Herr Farhang. Was wünschen Sie sich persönlich für die nächste Zeit?
Farhang: Ich wünsche mir die Kraft, dass ich meine Aufgabe gut mache und dass ich Rahmenbedingungen schaffe, solide Rahmenbedingungen, damit meine Nachfolger auf festem Boden sitzen und das weiterführen.
Meurer: Ihre Entscheidung haben Sie also noch nicht bereut, nach Afghanistan zu gehen?
Farhang: Ich habe meine Entscheidung überhaupt nicht bereut. Im Gegenteil ich bin sehr glücklich darüber, dass ich in Afghanistan bin und etwas für mein Volk machen kann.
Meurer: Das war Mohammed Amin Farhang, Minister für Wiederaufbau in der afghanischen Regierung. Herr Farhang, besten Dank, auf Wiederhören und alles Gute!
Link: Interview als RealAudio