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Die Steuervorhaben der Koalition

Heinlein: Das Wort ist ebenso sperrig wie der Inhalt: Steuervergünstigungsabbaugesetz. Heute wird es im Bundestag mit rot-grüner Mehrheit verabschiedet werden. Ein ganzes Bündel von umstrittenen Maßnahmen, es geht unter anderem um die Kürzung der Eigenheimzulage und die Einführung einer neuen Spekulationssteuer. 3,5 Milliarden Euro erhofft sich Hans Eichel noch in diesem Jahr für die maroden Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Doch dazu wird es nicht kommen, die Union hat bereits angekündigt, das Steuerpaket im Bundesrat scheitern zu lassen. Alle Zeichen stehen somit in Richtung Vermittlungssausschuss, und darüber wollen wir mit jetzt mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen, Georg Milbradt (CDU), sprechen. Guten Morgen nach Dresden.

    Milbradt: Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Milbradt, auch die Länder sind bekanntlich pleite. Warum werden Sie dennoch im Bundesrat nein sagen?

    Milbradt: Die gegenwärtige Konjunktursituation lässt keinerlei Steuererhöhungen zu. Es wäre das völlig Falsche. Wir wissen, dass allein die Ankündigung der Steuererhöhung im letzten Herbst das Wachstum um mehrere Zehntelprozentpunkte gemindert hat. Und die Steuerausfälle, die daraus resultieren, sind etwa so groß wie das, was jetzt von Hans Eichel durch das Steuererhöhungspaket wieder reinkommen soll. Das ist die völlig falsche Politik.

    Heinlein: Können Sie sich es denn überhaupt leisten, auf diese Mehreinnahmen durch das Steuerpaket zu verzichten? Denn Sie haben es ja angesprochen: Die Steuereinnahmen werden insgesamt einbrechen.

    Milbradt: Ja, und sie werden noch mehr einbrechen, je mehr wir über Steuern reden und versuchen, Steuern zu erhöhen. Wir können die öffentlichen Haushalte nicht über die Einnahmeseite sanieren, denn das sagen alle Experten und Wirtschaftsforschungsinstitute: Wir müssen uns schon die Mühe machen, jeder für sich, auf die Ausgabenseite zu schauen, wir können den Bürger nicht stärker belasten. Und das ist auch der Grund, warum die CDU und CSU-Länder im Bundesrat jeder Maßnahme, die einer Steuererhöhung gleichkommt, nicht zustimmen - es geht ja gar nicht um Vergünstigungsabbaugesetze, sondern um ein schlichtes Steuererhöhungsgesetz. Es gibt sicherlich Punkte, über die zu reden ist, zum Beispiel die Frage: Wollen wir im Bereich der Zinsbesteuerung zu einer Abgeltungssteuer übergehen? Dafür sprechen viele Dinge; da wird man auch sicherlich zu einem Ergebnis kommen. Es gibt handwerkliche Fehler bei den letzten Steuerreformen im Bereich der Körperschaftssteuer. Es kann nicht sein, dass die deutschen juristischen Personen etwa so viel zum staatlichen Haushalt beitragen, wie die Biertrinker, das war unbeabsichtigt, das muss korrigiert werden. Aber alles andere gehört meines Erachtens nicht in die gegenwärtige Konjunkturlandschaft.

    Heinlein: Lassen wir, Herr Milbradt, die Einzelheiten noch für einen Moment außen vor und kommen wir zum Grundsätzlichen: Haben Sie denn keine Sorge, dass Ihre Haltung, Ihr Nein, Ihnen als Blockadepolitik ausgelegt wird?

    Milbradt: Mein Maßstab - und ich glaube auch, der der anderen Ministerpräsidenten - ist: Wir stimmen dem zu, was dem Wohl unseres Landes dient und lehnen das ab, was ihm nicht dient. Man kann das nun so nennen, das ist mir ziemlich egal. Steuererhöhungen sind nicht zum Wohle des Landes und vor allem bei der wirtschaftlichen Konjunktur sind sie Gift. Dagegen zu sein ist ja nun nicht ehrenrührig.

    Heinlein: Aber man könnte auch den Eindruck bekommen, dass die Parteitaktik, der parteipolitische Vorteil wieder einmal wichtiger ist, als der Wille zur Gemeinsamkeit in schwierigen Zeiten. Und dieser wurde ja von der Union nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen recht laut betont.

    Milbradt: Natürlich, wir brauchen Veränderung, aber nicht auf der Einnahmenseite, sondern auf der Seite der Ausgaben. Der Wähler erwartet doch von uns keine Steuererhöhungen, sondern dass die öffentlichen Haushalte saniert werden. Das heißt, dass der Staat auf der Ausgabenseite darüber diskutiert, was in einer solchen Situation notwendig ist. Wir wissen, dass die staatlichen und Sozialsysteme überfordert sind und dass es so nicht weitergehen kann. Wir zäumen das Pferd nicht von hinten auf. Wir sollten versuchen, darüber zu reden - dazu sind die Union und die einzelnen Länder jederzeit bereit -, was verändert werden muss, aber wir sollten nicht versuchen, die gesamte Last der gegenwärtigen Situation auf dem Rücken des Steuerzahlers zu lösen. Das ist die falsche Politik. Und dafür sind wir auch nicht gewählt worden.

    Heinlein: Jederzeit bereit, mit der Bundesregierung zu reden, haben Sie gesagt. Dennoch kommt jetzt das ganze Prozedere: Bundestag, Bundesrat, Vermittlungsausschuss. Kann man sich den Umweg nicht sparen und direkt miteinander verhandeln?

    Milbradt: Zunächst einmal ist es Aufgabe der Regierung, ihre Vorstellungen einzubringen - und sie hat im Bundestag die Mehrheit. Die Union hat im Bundestag ja keine Gestaltungsmehrheit. Sie kann nur dem, was aus dem Bundestag kommt, zustimmen oder es anhalten und in den Vermittlungsausschuss bringen. Das ist ja der Ort, wo diese Verhandlungen nach der Verfassung stattfinden - und das werden sie auch. Ich habe auch nicht verstanden, warum die Bundesregierung bei der gegenwärtigen Situation nicht ihre Pläne geändert hat und zumindest die Teile, über die sicherlich zu reden sein wird, nicht in einem Extrapaket gepackt hat, das man auch nicht Steuervergünstigungsabbaugesetz nennt, sondern ein einfaches Reparaturgesetz. Ich verstehe nicht, dass man das nicht gemacht hat. Das wäre sicherlich einfacher gewesen.

    Heinlein: Müssen Sie, Herr Milbradt, diesen Vorwurf nicht auch an die eigene Partei richten? Denn wo ist das von der Union durchgerechnete und in sich schlüssige Steuerkonzept? Auf diesen Mangel hat in dieser Woche ja auch der CDU-Wirtschaftsrat hingewiesen.

    Milbradt: Sie fragen immer die falsche Frage. Wir wollen keine Steuererhöhung. So.

    Heinlein: Wie sieht das Alternativkonzept aus?

    Milbradt: Das muss die Regierung zur Kenntnis nehmen und das ist auch, was die Menschen wollen. Wir befinden uns da in bester Gesellschaft. Und es ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung, das endlich zur Kenntnis zu nehmen und über die Fragen der Verbesserung des Steuersystems sowie über die Korrektur der handwerklichen Fehler der Vergangenheit zu reden. Darüber kann man reden, auch über die Wohnungsbauzulage, zumindest in Ostdeutschland. Da gibt es sicherlich Punkte, die korrekturbedürftig sind. In einer Situation in Ostdeutschland, wo wir Wohnungen abreißen, macht die Förderung des Neubaus von Wohnungen vielleicht weniger Sinn als im Münchener Ballungsraum, wo wir noch einen gewissen Wohnungsmangel haben. Eine Differenzierung zum Beispiel - darüber ließe sich reden, immer im Sinne der Verbesserung, des Wohls des Volkes und dessen, was der Konjunktur gut bekommt. Das sind die Zielsetzungen, über die geredet werden muss und aus denen dann auch Maßnahmen abgeleitet werden. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das die Ziele sind, die die Regierung in Berlin im Augenblick verfolgt.

    Heinlein: Noch einmal, Herr Milbradt, vielleicht eine wichtige Frage: Ist denn die Steuerdebatte innerhalb der Union bereits abgeschlossen - oder befindet sich ihre Partei da noch in der Kinderschuhen?

    Milbradt: Nein. Wir haben vor den Wahlen in Hessen und Niedersachsen und auch danach klipp und klar gesagt: Mit der Union gibt es keine Steuererhöhungen.

    Heinlein: Ihr Amtskollege Roland Koch hat gestern unter anderem die Kürzung der Sozialhilfe vorgeschlagen, um die Haushalte zu sanieren. Ist es das, was die Union plant?

    Milbradt: Über die Frage unserer Sozialsysteme ist ja getrennt zu reden, da reden wir auch über die ganze Frage des Arbeitsmarkts. Aus meiner Sicht muss auch über die Sozialhilfe geredet werden. Ich finde es nicht korrekt, wenn junge Leute, die arbeiten können, ohne weiteres Sozialhilfe bekommen. Es gibt andere Länder, die das anders machen und denen es auch gelingt, einen höheren Prozentsatz der Menschen in Arbeit zu bringen. In dem Zusammenhang muss auch die Sozialhilfe auf den Prüfstand; Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, das gehört alles zusammen. Aber das ist ein Extrapaket, Stichwort: Verbesserung des Sozialsystems und Verbesserung am Arbeitsmarkt. Das ist sicherlich nicht das Kernelement einer Sanierung der öffentlichen Haushalte.

    Heinlein: Frage zum Schluss, Herr

    Milbradt: Hans Eichel gestern vor dem Lügenausschuss - haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

    Milbradt: Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass Herr Eichel vor den Wahlen mehr wusste, als er uns gesagt hat, und dass die Situation der öffentlichen Haushalte schwieriger war. Ich persönlich habe das auch immer in öffentlichen Versammlungen gesagt, habe Eichel widersprochen und fühle mich jetzt bestätigt. Es sind die Fakten, die dem Finanzministerium offensichtlich bekannt waren, die wir geahnt haben, die von Eichel bestritten wurden aus Gründen, die mittlerweile jedem klar sind. Und jetzt ist die Wahrheit herausgekommen. Von daher hat es für mich keine Überraschung gegeben, sondern eher eine Bestätigung dessen, was ich schon vorher geahnt habe.

    Link: Interview als RealAudio