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Die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst gehen in die Schlichtung

Müller: Rund 14 Stunden hatten sich die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden Zeit gelassen, um im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes endlich ein Angebot vorzulegen. Doch das Papier, das sie gestern morgen in Kassel aus der Tasche zogen, brachte Franz Bsirske, den Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di entgültig auf die Palme. Eine Lohnerhöhung für die rund 3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von zunächst 0,9 Prozent ab dem 1. Januar sei eine Provokation. Damit hätten die Arbeitgeber die Weichen auf Konflikt gestellt, und den werden sie bekommen, polterte ein wütender ver.di-Chef. Selbst gemäßigte Gewerkschaftler stimmten dem zu: Jetzt kommt der große vaterländische Streit, hieß es in Kassel kampfeslustig. Den zu verhindern wird für die Schlichter, die jetzt nun am Zuge sind, allerdings nicht leicht. In Bremen sind wir nun mit dem Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel verbunden. Guten Morgen.

    Hickel: Schönen guten Morgen.

    Müller: Herr Hickel, nun ist die Schlichtung gefragt. Kann eine Schlichtung etwas Konstruktives bringen?

    Hickel: Also, ich finde, dass die Schlichtung jetzt ganz wichtig ist. Sie beendet in gewisser Weise auch das bisherige Ritual, das ja nun vergleichsweise sehr kurz war. Die Schlichtung wird deshalb sehr schwierig sein und die Aufgabe für Herrn Koschnick und Lehmann-Grube aus zwei Gründen sicherlich schwierig: Auf der einen Seite gibt es im öffentlichen Dienst das Interesse, den Anschluss an die Privatwirtschaft zu halten. Die haben ohnehin in den letzten Jahren einiges an Anschluss verloren. Das Zweite ist, dass wir natürlich wissen - darüber kann niemand hinweg -, dass die öffentlichen Kassen klamm und leer sind, und dies wird die Schlichtung jetzt sozusagen genau ausdifferenziert betrachten müssen, und meine Sorge ist, dass die leeren Kassen sozusagen für die Beschäftigten verrechnet werden, obwohl die Ursachen ganz woanders liegen, nämlich in der falschen Steuerpolitik. Also, hier gibt es richtig sachlich viel zu tun.

    Müller: Herr Hickel, Sie haben sich ja selbst, wenn ich das so sagen darf, Mitte der 90er Jahre in Ostdeutschland in der Elektro- und Metallindustrie als Schlichter betätigt. Sie haben also Erfahrung als Schlichter. Könnte man nicht mit der Schlichtung gleich anfangen?

    Hickel: Ja sicher. Klar, aber entscheidend ist, dass ab 22. Dezember, also zwei Tage vor Weihnachten, die Friedenspflicht eintritt. Das ist eine ganz wichtige Bedingung der Schlichtung, und damit ist erst mal Ruhe. Damit kann man sich jetzt ganz gelassen mit den Fragen auseinandersetzen, die da zu klären sind. In einem Punkt ist eine Schlichtung höchst rational, und ich bin deshalb ein große Befürworter der Schlichtung, weil es die Möglichkeit gibt, sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit wirklich die Argumente einigermaßen auszudiskutieren, und ich muss sagen, die Arbeitgeber haben einen Fehler gemacht, dass sie viel zu spät ein Angebot vorgelegt haben. Das hat die Betroffenen wirklich sehr gereizt und hat die Stimmung verschlechtert. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass Bsirske als Vorsitzender von ver.di natürlich bereits schon einen Kompromiss eingegangen ist, der ihm jetzt eventuell große Schwierigkeiten bereitet. Wir wissen ja, dass es auch innerhalb von ver.di einen Streit gab, mit welcher Forderung man in die Schlichtung geht. Damals in der Tarifkommission, die in Bremen tagte, gab es ja Forderungen bis zu 5 oder 6 Prozent, und ver.di beziehungsweise Bsirske hat sich mit der Position durchgesetzt, die ich ganz vernünftig finde, zu sagen: Wir gehen mit 3 Prozent rein. Aber deshalb hat er natürlich keinen großen Verhandlungsspielraum mehr nach unten - das muss man so sehen.

    Müller: Für Bsirske, den neuen amtierenden ver.di-Chef, ist das ja die erste große Belastungsprobe. Kann er sich aufgrund dessen von vorne herein gar nicht leisten, unter die 3-Prozent-Marke im Abschluss zu gehen?

    Hickel: Also, ich glaube, dass es in der Tat so ist, dass er sich das nicht leisten kann, wenn man es personifiziert, weil er wie gesagt schon mit einem sehr abgesenkten Angebot gemessen an dem, was von der Basis gefordert worden ist, in die Verhandlungen hinein ist. Auf der anderen Seite würde ich aber etwas entpersonalisieren und sagen: Wenn man die ökonomischen Rahmenbedingungen kennt, wenn man etwa die Entlohnung einer Krankenschwester oder eines Mülltransporters im öffentlichen Dienst kennt, dann muss man einfach sehen, dass sich hier die Entlohnungsbedingungen doch in den letzten Jahren gegenüber der Privatwirtschaft erheblich schlechter entwickelt haben, und ich möchte doch einer Stimme widersprechen, die da lautet: Im öffentlichen Dienst, das sind ja alles sichere Arbeitsplätze, die können ruhig auch mal einen Lohnverzicht hinnehmen. Ich muss darauf hinweisen, dass es im öffentlichen Dienst zu massiven Rationalisierungen gekommen ist, zu Arbeitsplatzabbau, dass auch dort Arbeitsplätze nicht mehr sicher sind. Insoweit sind die Verhältnisse der Privatwirtschaft durchaus ähnlich, und von daher versteht man, dass von der Basis gesagt wird: Wir wollen in die Nähe der Abschlüsse, wie sie etwa in Metall- und Elektrobereichen und anderen Bereichen geschaffen worden sind.

    Müller: Sind die Gewerkschaften denn vor dem Hintergrund, den sie auch geschildert haben - ein interner Machtkampf oder ein internes Gerangel um die Strategie - generell in der Lage, noch realistisch Tarifverhandlungen zu führen?

    Hickel: Ich glaube das schon. Ich glaube schon, dass sie dazu in der Lage sind, und es zeigt sich ja jetzt auch in den ersten Diskussionen, in den 14-stündigen Gesprächen in der Tarifkommission, die Sie zitiert haben. Hier deutet sich durchaus eine Möglichkeit eines Kompromisses an, aber ich sage es noch einmal: Die Lage ist erst extrem schwer, wenn natürlich die Bundesregierung eine Körperschaftssteuerreform macht, die dazu führt, dass bei den Gemeinden vor allem über die Gewerbesteuer nicht nur die Steuern eingehen, sondern zum Teil auch Steuerverluste hingenommen werden müssen. Dann belastet das die Tarifverhandlungen. Ich denke, wenn man einen funktionsfähigen öffentlichen Dienst haben will, und den brauchen wir ganz dringend, der sowieso schon ganz schwer zusammengeschrumpft ist, dann muss dort auch eine einigermaßen ordentliche Entlohnung zustande kommen. Ich glaube, es gibt durchaus Kompromisslinien. Ich denke, dass man in der Frage der Laufzeit und der gestuften Durchsetzung des Tarifs viel Raum hat, den sicherlich der clevere und kluge Hans Koschnick zusammen mit Lehmann-Grube ausnutzen wird.

    Müller: Ist der öffentliche Dienst beziehungsweise die Angestellten, die Gewerkschaften im Gegenzug denn dazu bereit, die viel geforderten und verlangten Reformen im öffentlichen Dienst dann auf der anderen Seite auch mit anzustoßen?

    Hickel: Also, ich muss sagen, ich bin selber in einer Verwaltungsreformkommission des Landes Niedersachsen gewesen. Ich kenne die Reformprozesse, beobachte es auch wissenschaftlich. Es ist ja in der Öffentlichkeit noch gar nicht so angekommen, dass im öffentlichen Dienst eine massive Reform stattgefunden hat, dass sozusagen die gesamte furchtbar alte Kameralistik umgestellt wird in Richtung von Kostenleistungsrechnungen, dass es Kostennutzenanalysen gibt, also eine neue Managementform. Hier ist eine Reform in Gange, und ich glaube, das verschärft den Konflikt, dass auf der einen Seite die Beschäftigten sehen, dass es hier massive Reformen gegeben hat, die sicherlich auch noch fortgesetzt werden. Die werden übrigens auch von den jeweiligen Gewerkschaften unterstützt. Auf der anderen Seite soll aber eine angemessene Entlohnung nicht zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Konflikt, der aber lösbar ist, und die Reformfähigkeit zeigt sich durchaus, wenn man alles bilanziert was bisher in Deutschland an Reformen im öffentlichen Sektor stattgefunden hat.

    Müller: Ich muss Sie dennoch fragen, Herr Hickel, und die Frage stellt sich ja auch den meisten Bürgern, die im Moment die meisten Streiks hier nun auch verfolgen und zum Teil auch davon betroffen sind: Wie kann der Staat, wenn er kein Geld hat, trotzdem mehr Geld bezahlen?

    Hickel: Ja, insgesamt ist die Frage zu stellen, ob man in der Steuerpolitik - das ist natürlich eine mittelfristige Antwort, die nicht sofort greift - nicht Weichen anders stellt und sagt: Wir müssen, was zum Beispiel die Kommunen betrifft, die wirklich absolut klamm sind, dort über eine Reform einer tragfähigen Gewerbesteuer - da gibt es ja nun genügend Vorschläge - einfach auch den öffentlichen Sektor wieder zahlungsfähig machen. Man muss ja von vorne anfangen und sagen: Brauchen wir einen öffentlichen Sektor? Brauchen wir die? Wir spüren es ja, wenn jetzt gestreikt wird, wie dringend diese öffentlichen Dienstleistungen für uns sind, und ich glaube, der Staat muss sozusagen auf allen Ebenen - Bund, Ländern und Gemeinden - einfach auch wieder ein Stück Richtung Finanzierbarkeit etwas machen, und ich sage es Ihnen ganz klar: Wenn Sie so etwas machen wie eine Zinsabgeltungssteuer oder wenn Sie sozusagen die Spekulationssteuer begrenzen oder eine Körperschaftssteuerreform, dann haben Sie eben Einnahmeausfälle, und die kann man nicht zu Lasten des öffentlichen Dienstes veranlassen. Also, ich denke, man braucht auch wieder eine Strategie, und das wird sicherlich in der Schlichtung auch diskutiert: Wie kann man auch den Staat, die Länder, den Bund und die Gemeinden wieder etwas zahlungsfähiger machen? Aber natürlich nur für die Aufgaben, die erforderlich sind. Das ist auch klar.

    Müller: Professor Rudolf Hickel war das, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität in Bremen. Auf Wiederhören und vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio