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"Die Telekom hat sich völlig verändert"

Die Gewerkschaft ver.di wirft der Deutschen Telekom im Streit um die Auslagerung von Unternehmensteilen Unnachgiebigkeit vor. Die Telekom setze Mitarbeiter, die sich im Warnstreik befinden, unter Druck und sei nicht bereit, davon abzulassen, sagte Gewerkschaftsvertreter Ado Wilhelm. Im Gegenzug werde ver.di beim geplanten dauerhaften Streik keine Rücksicht auf Belange des Unternehmens nehmen.

    Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Wilhelm!

    Ado Wilhelm: Schönen guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Alle Leitungen bleiben tot, wenn die starke Gewerkschaft ver.di das so will?

    Wilhelm: Ja, das ist sicherlich nicht so richtig. Ich will noch mal ganz vorweg stellen: Unser Streik, unser Arbeitskampf wird sich und hat sich bisher auch nicht gegen Kundinnen und Kunden gerichtet, sondern der Streik richtet sich gegen die Deutsche Telekom.

    Klein: Das ist schon klar, aber die Auswirkungen werden die Kunden natürlich zu spüren bekommen.

    Wilhelm: Ja, dass natürlich in einer Streiksituation auch Auswirkungen auf Kunden sind, das bleibt nicht aus. Das heißt im Klartext, wenn ein weiterer Streik stattfinden wird, dann wird es sicherlich auch zu Verzögerungen bei der Entstörung kommen, bei Auftragsannahme, bei der Auftragserledigung, es wird zu Terminverschiebungen kommen. Wir bemühen uns dennoch, die Belastung der Kunden so gering wie möglich zu halten.

    Klein: Können Sie das etwas mehr präzisieren? Es hieß im Bericht, den wir vorhin gehört haben, Privatkunden seien zunächst nicht betroffen, aber Großkunden sehr wohl. Also gegen wen richtet sich der Streik in erster Linie?

    Wilhelm: Gegen die Deutsche Telekom. Ich werde da auch ein Stück weit falsch zitiert, dass sich der Streik gegen Großkunden richtet. Ich habe an einer anderen Stelle etwas völlig anderes gesagt. Wir wollen die Deutsche Telekom bestreiken, und Streik hat das Ziel, das Unternehmen unter wirtschaftlichen Druck zu setzen, um das Unternehmen dazu zu kriegen, mit uns über den von uns geforderten Tarifvertrag zu einem Auslagerungsschutz zu verhandeln, separat zu verhandeln. Hier hat man sich bisher den fünf Verhandlungsrunden im Prinzip verweigert. Wir streiken auch nicht dafür, dass diese Service-Gesellschaften nicht stattfinden. Wir sind sicher so realistisch zu wissen, dass das auf jeden Fall kommen wird. Wir wollen die Menschen, wenn sie in die Service-Gesellschaften hineingehen sollen, vor weiteren Nachteilen schützen, vor Lohnabsenkung schützen, vor Erhöhung der Arbeitszeit ohne Bezahlung und solche Dinge. Da richtet sich unser Arbeitskampf gegen.

    Klein: Das ist ihr Ziel, das ist klar. Der Unmut ist bei dem einen oder anderen Kunden auch heute schon groß, was den Service der Telekom angeht. Sie müssen damit rechnen, dass Sie das Unternehmen vielleicht weiter schädigen, weil Kunden weglaufen, und das kann nicht in Ihrem Interesse sein.

    Wilhelm: Dass da natürlich auch Kunden sich schon sehr ärgerlich zeigen, das liegt mit Sicherheit nicht an unserem Streik, sondern in der Tat an dem mangelnden Service, der seit vielen Jahren vorherrscht. Der Service ist aber nicht mangelhaft, weil die Kolleginnen und Kollegen keine gute Arbeit abliefern, sondern weil das Unternehmen nicht in der Lage ist, den Beschäftigten sinnvolle Systeme zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise arbeiten die mit unterschiedlichsten IT-Systemen, mit maroden IT-Systemen und das schon seit vielen, vielen Jahren. Dazu kommt ständig irgendeine neue Umorganisation, mittlerweile die 18., glaube ich. Man zählt sie schon gar nicht mehr richtig. Die Unternehmen können nicht funktionieren. Und wenn man jetzt darüber hinaus drei weitere Service-Gesellschaften bildet, wird es weitere Schnittstellen geben. Und ich bin absolut davon überzeugt, dass das nicht zur Service-Verbesserung, sondern eher zur Service-Verschlechterung, weiteren Einschränkungen führen wird. Weitere Schnittstellen können nicht dafür sorgen, dass der Service verbessert wird.

    Klein: Herr Wilhelm, es hieß im Vorfeld, Sie wollten noch keine Angriffsziele nennen, um der Gegenseite die Abwehr nicht zu erleichtern in punkto Streik, so kann man das in den Medien lesen. Man kann das kriegerisch oder sportlich auffassen. Aber wonach suchen Sie denn aus, wo Sie Mitarbeiter in den Streik schicken?

    Wilhelm: Nun, das ist völlig unterschiedlich. Es gibt da die verschiedensten Möglichkeiten. Man kann über Tage viele Leute in den Streik rufen, man kann ganz kleine Einheiten beispielsweise in den Streik führen, wo man mit wenigen Menschen eigentlich eine große Wirkung erzielen kann. Das werden wir von Fall zu Fall jeweils immer entscheiden. Wir haben eine zentrale Arbeitskampfleitung, die das Ganze strategisch berät, dann die entsprechenden Abstimmungen in den einzelnen Landesbezirksfachbereichen, so heißt die Organisationseinheit, bei uns vornimmt. Und dann entscheiden wir jeweils nach Erfordernis und auch nach Reaktion der Telekom. Wir warten jetzt mal ab, wie die Telekom, die ja heute auch ihre Vierteljahreszahlen wieder auf den Tisch legt in einer Pressekonferenz, reagiert und ob die Telekom bereit ist, sich einsichtig zu zeigen, mit uns wieder zu verhandeln. Danach richten wir unsere Streiktaktik aus.

    Klein: Wir halten fest, wir werden alle weiter telefonieren können, aber es kann sein, dass die Behebung von Störungen länger dauert und dass der ein oder andere auch auf einen neuen Anschluss zum Beispiel länger warten muss.

    Wilhelm: Das kann natürlich passieren. Wobei ich noch eins sagen möchte: Wir werden mit absoluter Sicherheit sicherstellen, dass nirgendwo irgendwelche Notfallleitungen - Polizei, Feuerwehr oder Krankenhäuser, Altenheime, um nur einige Beispiele zu nennen - von irgendwelchen Maßnahmen tangiert sind. Wenn irgendwo eine Störung vorliegt, und da hängt hintendran eine Polizeidienststelle oder eine Polizeileitung, eine Sicherheitsleitung, Feuerwehr, Krankenhaus, werden die Service-Techniker genauso schnell, wie wenn kein Streik stattfinden würde, vor Ort sein und würde diese Störung und dieses Problem beseitigen. Da sorgen wir schon für.

    Klein: Auch die Vorbereitungen des G8-Gipels in Heiligendamm werden betroffen sein, Herr Wilhelm, war gestern zu lesen. Arbeiten an der Kommunikationsinfrastruktur dort etwa geraten in Gefahr, zum Beispiel die Einrichtung des Pressezentrums für die rund 4000 akkreditierten Journalisten. In wie weit stimmt das?

    Wilhelm: Der G8-Gipfel in Heiligendamm, der Anfang Juni stattfindet, für diesen Zweck muss eine komplette Infrastruktur aufgebaut werden in der Region, in der dieser Gipfel stattfinden soll. Da gibt es also keine funktionierende Telekommunikationsstruktur. Das heißt, das ist eine ganz normale Regelarbeit, die dort jetzt verrichtet wird. Dort muss also diese Infrastruktur aufgebaut werden. Und wenn die beiden Niederlassungen, die dafür zuständig sind, sich im Streik befinden, dann kann natürlich diese normale Regelarbeit auch nicht stattfinden. Dann kann es natürlich dazu kommen, dass auch der G8-Gipfel halt eben ein Stück weit unter diesen Streikmaßnahmen zu leiden hat.

    Klein: Und das würden Sie auch in Kauf nehmen.

    Wilhelm: Ja, ich habe da erstmal überhaupt keinen Grund, solche Niederlassungen, die Regelarbeit verrichten, aus den Streikmaßnahmen außen vor zu lassen. Ich will Ihnen das auch ganz klar noch mit einem Satz begründen: Die Telekom setzt derzeit ungeheuer die Menschen, die sich im Warnstreik befinden, unter Druck und ist nicht bereit, davon abzulassen. Und so lange solche Dinge praktiziert werden, sind wir nicht bereit, Entgegenkommen an anderer Stelle zu zeigen. Das ist völlig anders als in der Vergangenheit. Da haben wir so etwas in zwei Minuten geregelt, da wäre so etwas nie vorgekommen. Aber die Telekom hat sich völlig verändert, und ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeitern ist völlig inakzeptabel. Deswegen sind wir nicht zu Konzessionen bereit.

    Klein: Noch eine abschließende Frage zu den Zeiträumen: Wovon gehen Sie da aus? Wie lange werden zunächst mal Streiks angesetzt sein?

    Wilhelm: Nun, das kann ich Ihnen so nicht sagen. Wir werden heute das Ergebnis der Urabstimmung bekannt geben. Wir werden dann bekannt geben, wann wir in den Dauerstreik eingehen. Und das hängt weitestgehend davon ab, wie die Telekom reagiert, ob die Telekom bereit ist, an den Verhandlungstisch zu kommen und endlich Bereitschaft signalisiert, sich mit den Problemen der Beschäftigten zu befassen, und nicht nur die Beschäftigten ständig mit neuen Dingen zu drangsalieren.

    Klein: Ado Wilhelm, Leiter des Arbeitskampfes bei der Gewerkschaft ver.di, war das. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Wilhelm.

    Wilhelm: Gerne, danke.