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Die Theologie der Herrschaft

Der Nahe Osten wird in der globalisierten Welt nur bestehen können, wenn sich die autoritären islamischen Regime demokratisieren. Dabei werden gemäßigte Islamisten eine entscheidende Rolle spielen. Christen können von diesen Veränderungen profitieren, wenn sich daraus politische Systeme entwickeln, die alle, ungeachtet ihrer Religion, als gleichwertige Bürger akzeptieren. Der Weg dorthin ist weit.

Von Albrecht Metzger | 03.09.2005
    "Ich bin jetzt 67 Jahre alt, ich bin in Assyut groß geworden, und einer meiner besten Freunde war der Sohn eines Imams. Wir hatten sehr gute Beziehungen zu den Muslimen. Die jetzigen Probleme sind erst aufgetreten, als Khomeini kam. Da wurden die Fundamentalisten immer stärker, und das brachte Spannungen mit sich. Und noch gefährlicher sind die Fanatiker, und am gefährlichsten sind die Terroristen."

    Bischof Mussa, ein hochrangiger Geistlicher der koptischen Kirche in Ägypten, sitzt in seinem Büro im Kairoer Stadtteil Abbasiya und erzählt von der guten alten Zeit, als das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen harmonischer ablief als heute. Wie alle koptischen Priester trägt Mussa einen prächtigen Vollbart, er strahlt die Milde eines Religionsgelehrten aus, der sein Leben lang für ein friedliches Zusammenleben von Christentum und Islam gekämpft hat.

    Regelmäßig organisiert er Podiumsdiskussionen, zu denen er auch die Muslimbrüder einlädt. Mit ihnen führt er dann, wie er sagt, "heiße Diskussionen" über die Zukunft der koptischen Minderheit in Ägypten. Das Klima ist rauer gewordenen, erzählt Bischof Mussa. Doch es gebe immer noch viele Muslime, die mit den Kopten gemeinsame Feste feiern und sogar die gleichen Heiligen verehren.

    "Das ist ein bekanntes Phänomen in Ägypten, dass viele Muslime die riesigen Feste besuchen, die wir zu Ehren der heiligen Maria veranstalten. Sie lieben die heilige Maria sehr und bitten um ihre Hilfe, weil sie gute Erfahrungen mit ihr gemacht haben. Manchmal bitten sie uns auch darum, ihre Babys zu taufen. Sie haben diese Tradition. Sie glauben: Wenn wir ihr Kind taufen, dann wird es leben, dann wird es nicht sterben."

    Dennoch ist Ägypten in der arabischen Welt das beste Beispiel dafür, wie der Islamismus in den vergangenen drei Jahrzehnten die Lage der religiösen Minderheiten erschwert hat. Das Bewusstsein für die Unterschiede zwischen Christen und Muslimen hat zugenommen. Und das nicht erst seit Khomeini und seiner Islamischen Revolution im Iran, die die ganze Region verändert hat. Begonnen hat es bereits mit Präsident Anwar al-Sadat. Er genießt im Westen einen guten Ruf, weil er 1978 mit Israel Frieden geschlossen hat. Viele Ägypter - und gerade die Kopten - sehen das aber anders. Sadat betonte den religiösen Charakter der Gesellschaft und legte damit den Grundstein für die Probleme, die das Land bis heute plagen, so der Sozialwissenschaftler Samir Murqus:

    "Ich verurteile immer die siebziger Jahre hier in Ägypten, es war eine sehr schlechte Zeit. Sogar das Staatsoberhaupt Anwar al-Sadat hat damals in seinen öffentlichen Reden damit angefangen, sich als "muslimischer Präsident in einem islamischen Land" zu bezeichnen. Das wirft unweigerlich die Frage auf: was ist mit den Nicht-Muslimen? Sind wir Teil dieses Landes oder nicht?"

    Die Kopten sind mittlerweile in allen wichtigen staatlichen Institutionen unterrepräsentiert, angefangen bei der Polizei über die Universitäten bis hin zur Politik. Laut Verfassung muss der Präsident Muslim sein. Und auch im Alltag werden die Christen diskriminiert. Ein Beispiel: Um eine Kirche zu renovieren, bedarf es einer staatlichen Genehmigung. Die wird aber oft von den Sicherheitsbehörden verweigert. Hinzu kommt die Fanatisierung der einfachen Gläubigen auf dem Land. Viele von ihnen haben während des Ölbooms in Saudi-Arabien gearbeitet und den dort praktizierten Islam verinnerlicht.

    Feste zu feiern, das ist den puritanischen Wahhabiten generell suspekt. Und dann auch noch christliche Feste - und in der Öffentlichkeit? Da stößt die Toleranz schnell an Grenzen. In manchen Dörfern Oberägyptens, wo viele heimgekehrte Gastarbeiter aus Saudi-Arabien leben, trauen sich die Kopten nicht mehr, öffentliche Prozessionen abzuhalten, aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen.

    Das Verhältnis der koptischen Kirche zum jetzigen Präsidenten Hosni Mubarak ist jedoch gut. Bei öffentlichen Anlässen zeigt er sich gerne mit koptischen Würdenträgern und betont das brüderliche Zusammenleben aller Religionen. Viele Christen verteidigen ihn deshalb gegen Angriffe, so auch Bischof Mussa:

    "Wir danken Gott, dass Präsident Mubarak fair zu uns ist, und das ist nicht einfach nur ein Lob. Er ist sehr fair zu uns. Wenn wir ihm eines unserer Probleme erklären, dann löst er es auf der Stelle. Aber das ist eben nicht grundsätzlich so, das hängt immer von den einzelnen Akteuren ab. Und wir können nicht jedes kleine Problem dem Präsidenten vortragen, dafür hat er gar keine Zeit. Deswegen versuchen wir auf anderen Wegen, unsere Probleme zu lösen und unsere Situation zu verbessern. Unter einem islamischen Regime würde das sehr viel schwieriger werden."

    Ägypten ist nicht das einzige arabische Land, wo Christen sich vor dem Wandel, der Veränderung fürchten. Was geschieht, wenn es wirklich zu der vom Westen geforderten Demokratisierung im Nahen Osten kommt? Von knapp 80 Millionen Ägyptern sind - hoch geschätzt - etwa zehn Prozent Christen, in manchen Teilen Oberägyptens machen sie sogar mehr als 20 Prozent der Bevölkerung aus. In Syrien ist die Situation ähnlich. Im Libanon ist der Anteil der Christen mit rund 40 Prozent am höchsten in der ganzen Region. Das Schlusslicht bilden der Irak mit drei, Israel und Palästina schließlich mit nur noch rund zwei Prozent.

    Die größte Gruppe der arabischen Christen sind die Griechisch-Orthodoxen, die sich auf alle arabischen Länder verteilen. Daneben existieren diverse mit Rom vereinigte Kirchen und eine Vielzahl anderer Minderheiten. Die Kopten leben hauptsächlich in Ägypten. Sie unterscheiden sich von den meisten anderen Kirchen in ihrem Christusbild. Sie glauben, göttliche und menschliche Natur Jesu seien untrennbar miteinander verbunden, im Gegensatz zur vorherrschenden Zwei-Naturen-Lehre.

    Eines verbindet die meisten arabischen Christen jedoch, egal ob in Ägypten, Syrien oder sogar früher im Irak unter Saddam Hussein: der Status quo erscheint ihnen sicherer als eine Veränderung in Richtung Demokratie, die viele Unwägbarkeiten mit sich bringt. George Nasif, verantwortlicher Redakteur für christliche Themen bei der renommierten libanesischen Tageszeitung al-Nahar, erklärt warum:

    "Im Allgemeinen sind die Christen in der arabischen Welt konservativ und sie unterstützen das herrschende Regime, weil sie glauben, dass die herrschenden Regimes zumindest säkulare Grundzüge haben. In Syrien zum Beispiel sind sie seit dreißig Jahren die Verbündeten des Regimes, in Ägypten auch, in Jordanien sind sie sogar einer der wichtigsten Verbündeten des Königshauses, und im Irak haben sie Saddam Hussein unterstützt. Die Christen haben Angst vor dem Wandel. Sie stellen eine Gleichung auf: Wenn das Regime stürzt, dann bekommen wir Probleme. Zum einen, weil das neue Regime ein islamisches sein wird, und zum Zweiten, weil die Christen als Verräter dastehen werden, die das alte Regime unterstützt haben."

    Der Irak ist für viele Christen im Nahen Osten ein abschreckendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn eine fremde Macht die Demokratie mit Gewalt installieren will. Nach dem Sturz Saddam Husseins im März 2003 rutschte das Land ins Chaos ab, und die Christen finden sich heute zwischen allen Fronten wieder. Die radikalen Islamisten brandmarken sie als Verräter, weil sie die gleiche Religion wie die "christlichen Invasoren" haben; und die Kurden, die im Westen eigentlich als Garanten des Säkularismus gelten, beanspruchen Gebiete im Nordirak, die seit langem auch von Christen bewohnt werden. Mehrmals sind in Bagdad und Mossul Kirchen niedergebrannt worden, und in Dörfern, die unter der Kontrolle der Kurdisch Demokratischen Partei stehen, kommt es immer wieder zu Übergriffen gegen christliche Familien, oft mit tödlichem Ausgang.

    Der Irak ist ein extremes Beispiel. Aber auch in anderen islamischen Ländern fühlen sich die orientalischen Christen in der Defensive. Auch dort, wo Islamisten mit friedlichen Mitteln versuchen, Kultur und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu verändern. Der Jesuitenpater Samir Khalil Samir, in Ägypten geboren und seit langem an der Université St. Joseph in Beirut tätig, hält diesen "Islamismus von unten", der schleichend Einzug hält, für gefährlich:

    "Der Islamismus von unten ist vielleicht gefährlicher, weil er die einfachen Muslime anspricht. Das heißt nicht, dass es keine Intellektuellen unter den Islamisten gibt. Aber sie islamisieren das alltägliche Leben, und das ist später schwerer zu ändern, als wenn man eine Regierung hat, die Regeln einführt, die man am nächsten Tag wieder ändern kann. Deswegen finde ich die Situation im Iran für Christen auch weniger gefährlich als in Ägypten, obwohl es im Iran auch nicht viele Christen gibt. In Ägypten gehen sie in die Schulen, sie islamisieren die Schulen und sie islamisieren die Medien."

    Für die Christen ist die Kirche seit dem Aufkommen des Islamismus zu einer Art Trutzburg geworden, sagt der Journalist George Nasif.

    "Die Kirche hat in einigen arabischen Ländern den Platz politischer Parteien eingenommen, sie haben die Politik für sich in Beschlag genommen, wie zum Beispiel in Ägypten, da haben die säkularen Parteien an Einfluss verloren auf Kosten der Verherrlichung von Papst Shenouda. Das ist ein großes Problem und schadet den Christen. Die Kirche hat meiner Meinung nach nur eine Rolle: Sie hat für die Gerechtigkeit zu kämpfen, sie muss sich für die Armen und Unterdrückten einsetzen, sie sollte nicht mit den Mächtigen paktieren. Die linken und liberalen Strömungen innerhalb des arabischen Christentums haben stark an Einfluss verloren, auch in der Theologie. Es hat im Libanon wie früher in Lateinarmerika eine starke Strömung gegeben, die Befreiungstheologie. Sie hat eine liberale Kirche gefordert. Aber sie ist zurückgedrängt worden."

    Besonders ausgeprägt ist der konservative Charakter der Kirche in Ägypten, so Pater Samir Khalil.

    "Papst Shenouda ist sehr autoritär, die Leute trauen sich nicht, ihn zu kritisieren. Die Kirche ist hier sehr traditionell, und deswegen akzeptieren die Leute, was er sagt, weil er eben der Papst ist."

    Für viele Kopten hat dieser autoritäre Führungsstil unmittelbare Folgen. Wer sich zum Beispiel scheiden lassen will, darf kein zweites Mal kirchlich heiraten. Magdi Girgis, ein junger Historiker, der sich mit der Geschichte der koptischen Kirche befasst, hält das in der heutigen Zeit für weltfremd. Hinzu kommt aus seiner Sicht ein weiteres Problem: Die Kirche, sagt Girgis, sei nicht geeignet, die Kopten auf politischer Ebene zu vertreten, wie sie es seit langem in Anspruch nimmt:

    "Was auch sehr gefährlich ist: Die Kontakte zwischen den Kopten und der Regierung laufen nur über den Klerus. Die Priester und Bischöfe sind aber nicht dafür qualifiziert, Politik zu machen, sie kommen aus den Klöstern, sie haben oft noch nicht einmal Ahnung vom normalen Leben."

    Magdi Girgis hält Bischof Mussa noch für den liberalsten unter den koptischen Bischöfen, doch selbst der verteidigt die konservative Theologie von Papst Shenouda in puncto Scheidungsrecht:

    "Er hat gesagt, die Bibel akzeptiert nur Ehebruch als Scheidungsgrund. Das ist die Bibel, sagt Papst Shenouda, was kann ich tun - ich kann doch nicht die Bestimmungen der Bibel verletzen."

    Die Heilige Schrift wortgetreu einhalten? Diesen Anspruch kennt man sonst eher von Muslimen, doch die koptische Kirche steht ihnen in dieser Hinsicht offensichtlich in nichts nach. Eine offene Diskussion über die Religion ist auch bei vielen Kopten ein Tabu.

    Im vergangenen Jahr löste der Film "Ich liebe das Kino" heftige Kontroversen in der koptischen Gemeinde aus. Der Film erzählt das alltägliche Leben einer christlichen Familie im Kairo der sechziger Jahren. In einer Szene küsst sich ein Liebespaar in der Kirche, in einer anderen pinkelt ein kleiner Junge in die Ecke des Gotteshauses. Ähnlich wie islamische Konservative Filme und Literatur zu verbieten suchen, die ihrer Meinung nach den Islam beleidigen, versuchte die koptische Kirche den Film "Ich liebe das Kino" aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Der Journalist Samih Fawzi hält das für eine bedenkliche Tendenz, die letztlich negativ auf die Kopten zurückschlagen könnte:

    "Die Kopten achten sehr auf ihr Image in der Gesellschaft. Wenn irgendetwas ihr Image verletzt, dann protestieren sie dagegen. In so einer Situation ist es immer einfach, nach Zensur zu rufen. Aber wir sollten lieber die säkulare Gesellschaft und die Meinungsfreiheit verteidigen. Ägypten wird sehr davon profitieren - und die Kopten auch. Wenn wir religiöse Zensur zulassen, dann wird sich die religiöse Mehrheit durchsetzen und das wird den Kopten nicht zugute kommen."

    Letztlich, so Fawzi, werde sich nur dann etwas ändern, wenn sich das politische System insgesamt öffne:

    "Die undemokratische Kultur in Ägypten ist das Problem. Wenn wir in einer wirklich demokratischen Gesellschaft leben, dann müssen sich auch die religiösen Institutionen der Demokratie unterwerfen. Ich kann mich nicht in der zivilen Gesellschaft demokratisch verhalten und innerhalb der Kirche antidemokratisch."

    Die Frage ist nur, ob die Koptische Kirche das überhaupt will, oder ob sie nicht ein Spiegelbild des Regimes ist, das sich mit Händen und Füßen gegen die Demokratisierung wehrt. In diesem Herbst stellt sich Präsident Mubarak erneut zur Wahl. Doch die kritischen Stimmen gegen ihn werden lauter. Seit dem Frühjahr gibt es regelmäßig Proteste. Unter dem Motto "Genug!" fordern Demonstranten den Präsidenten dazu auf, sich endlich aus der Politik zurückzuziehen. Der Staat schickt dann regelmäßig Tausende Polizisten und Schlägertrupps in zivil auf die Straße, die die Demonstranten einschüchtern sollen. Der Historiker Magdi Girgis kritisiert die Kirche für ihre Nähe diesem Regime:

    "Die Kirche befürwortet die Demokratie nicht, auch nicht für die Kopten. Wenn sie ihre eigenen Tore öffnen würde, müsste sie viele Dinge offen legen, die sie lieber für sich behält. Das entspricht dem Denken des Staates. Beide sagen, das Volk versteht die Demokratie nicht und deswegen können wir es auch nicht wählen lassen."

    Allerdings fürchtet sich auch Girgis vor dem politisierten Islam. Wie Bischof Mussa hat er viele muslimische Freunde, und dennoch fragt er sich, ob sie in einer Krisensituation zu ihm halten würden:

    "Ich habe viele muslimische Freunde und Kollegen, sie finden mich nett, aber selbst die sagen zu mir: "Wir haben ein Problem mit dir: Warum wirst du nicht Muslim?" Diese Art von Gesprächen gibt es ständig, "warum bist du Christ und kein Muslim", weil die Leute nur Religion im Kopf haben. Aber es hält uns trotzdem nicht davon ab, Freunde zu sein. Es gibt natürlich auch noch andere, linke Strömungen in Ägypten, die diesen religiösen Diskurs ablehnen, aber die werden bekämpft."

    Die Angst der orientalischen Christen vor den Islamisten ist verständlich. Doch wenn es zu einer Demokratisierung im Nahen Osten kommen soll, werden die Muslimbrüder und andere islamistische Parteien eine wichtige Rolle spielen, daran führt kaum ein Weg vorbei. Immerhin haben sich in einigen Ländern beide Seiten mittlerweile einander angenähert. Dafür gibt es gerade in diesem Jahr eine Reihe von Beispielen: Bei den Kommunalwahlen in Palästina hat die Hamas in Bethlehem, einer Stadt mit einem Drittel Christen, fünf der 13 Sitze gewonnen. Danach hat die Hamas erklärt, sie werde bei den anstehenden Parlamentswahlen auch Christen in ihre Liste aufnehmen.

    Die syrischen Muslimbrüder haben im Dezember 2004 im Londoner Exil ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, in dem sie erklären, dass sie auch einen Christen als Präsidenten akzeptieren würden. Bei den Demonstrationen in Kairo gegen die erneute Kandidatur Hosni Mubaraks haben Mitglieder der Muslimbrüder kürzlich ein Schild hochgehalten: "Kopten sind Ägypter" war darauf zu lesen. Eigentlich ist das selbstverständlich, dennoch werten Beobachter das als wichtiges Bekenntnis der Islamisten zur nationalen Einheit. Und im Libanon schließlich, wo die Christen eine größere Rolle spielen als in anderen arabischen Ländern, sitzt seit diesem Sommer erstmals ein Minister der schiitischen Hizbullah im Kabinett, neben einigen christlichen Ministern.

    Der Journalist George Nassif sieht das Verhältnis zwischen Christen und Islamisten in den meisten arabischen Ländern daher auf einem hoffnungsvollen Weg, nicht nur im Libanon:

    "Die Islamisten unterscheiden sich von Land zu Land. Die meisten Islamisten sind aber mittlerweile in der Politik angekommen, sie sind in die Parlamente eingezogen, sie arbeiten nicht mehr im Untergrund. Sie sind sie zu einem Teil des politischen Lebens geworden. In einigen arabischen Ländern gibt es enge Kontakte zwischen den Christen und den Islamisten, zum Beispiel in Ägypten, damit im Falle eines Machtwechsels die Probleme für die Christen nicht so groß werden. Die Islamisten jagen einem nicht mehr die Angst wie früher ein, sie sind nicht mehr die Barbaren, die die Leute das Fürchten lehren."

    Auf lange Sicht, da sind sich die meisten Islamwissenschaftler und Experten einig, wird der Nahe Osten in der globalisierten Welt nur bestehen können, wenn sich die autoritären Regime demokratisieren. Das hat längst begonnen. Es wird aber wohl unvermeidbar sein, dass die gemäßigten Islamisten in diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Massenbewegung im Nahen Osten und lassen sich nicht durch Verbote aus dem Weg räumen.

    Dass die gemäßigten Islamisten irgendwann selbst zu überzeugten Demokraten werden - das ist die Hoffnung all jener, die für ihre Einbindung in die politischen Systeme plädieren. Auf jeden Fall aber könnten die Christen - entgegen ihren Befürchtungen - von den Veränderungen im Nahen Osten profitieren, wenn sich daraus politische Systeme entwickeln, die alle, ungeachtet ihrer Religion, als gleichwertige Bürger akzeptieren. Der Weg dorthin ist aber weit, und es ist fraglich, ob die Mehrheit der orientalischen Christen die Mühsal auf sich nehmen will, oder ob sie nicht den direkten Weg in Wohlstand und "Freiheit" vorziehen, sprich: die Auswanderung nach Europa oder in die USA. Ihr Exodus wäre ein schwerer Verlust für den Nahen Osten.