Das Interview für sich war eine kleine Sensation. 15 Minuten lang wurde Mehmet Tarhan im türkischen Nachrichtensender CNNTURK befragt, und das zur besten Sendezeit. Noch vor wenigen Jahren wäre das in der Türkei undenkbar gewesen, denn Tarhan ist Kriegsdienstverweigerer. Ein Tabuthema – denn noch immer gilt der Satz: Jeder Türke ist ein geborener Soldat. Doch überraschend hat die türkische Regierung nun eine Gesetzesänderung zur Kriegsdienstverweigerung angekündigt. Nicht ganz freiwillig, wie der Pazifist Tarhan sagt:
"Die Türkei wurde 2006 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen der strafrechtlichen Verfolgung eines Kriegsdienstverweigerers verurteilt. Der Europarat erwartet seitdem eine Gesetzesänderung. Nun, nach fünf Jahren, liefert die Türkei. Aber da wurde ein Gesetz vorbereitet, an dem wir Betroffene oder sonstige Fachleute nicht beteiligt waren. Darum bin ich gespannt, was nun dabei herauskommt."
Alle türkischen Männer unterliegen nach der Verfassung der Wehrpflicht, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung sieht das Gesetz nicht vor. Bislang galten Pazifisten als Befehlsverweigerer und wurden strafrechtlich verfolgt, oft jahrelang. Mehmet Tarhan wurde zu insgesamt vier Jahren Haft verurteilt, elf Monate davon musste er absitzen. Im Gefängnis wurde er von Mithäftlingen und Wärtern misshandelt. Lediglich 300 Männer haben nach Angaben von Friedensorganisationen bislang die Teilnahme am Militärdienst in der Türkei mit einer offiziellen Erklärung verweigert.
Presseberichten zufolge sieht der Gesetzentwurf nun vor, dass Militärdienstverweigerer einen Ersatzdienst ableisten können – dieser soll aber neun Monate länger dauern wie der 15-monatige Wehrdienst. Reine Abschreckung, sagen Kritiker wie Mehmet Tarhan. Über die Gründe, die für eine Verweigerung vorgebracht werden dürfen, ist noch nichts bekannt. Tarhan fürchtet eine Art Gesinnungsprüfung:
"Es darf keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten persönlichen Überzeugungen geben. Die europäische Rechtsprechung legt die möglichen Gründe für Kriegsdienstverweigerung sehr weit aus. Es zählen nicht bloß religiöse oder politische Gründe, sondern auch ganz allgemein der Lebensstil, die ganz persönlichen Überzeugungen."
Der fortdauernde Bürgerkrieg zwischen der Armee und der kurdischen PKK wird wohl nicht als Verweigerungsgrund anerkannt werden. Dennoch läuft die rechte Opposition Sturm gegen die Pläne. Devlet Bahceli, Vorsitzender der rechtsnationalen MHP:
"Die türkische Armee kämpft gegen den Terrorismus und für die Einheit des Landes und des Staates. In dieser Situation über Militärdienstverweigerung zu reden, ist völlig unangebracht."
Wer es sich leisten kann, wird den Militärdienst künftig auch gegen Bares umgehen können. Denn die türkische Regierung plant außerdem Ausnahmen für Wehrpflichtige, die älter als 30 Jahre sind. Sie können ihren Dienst gegen Zahlung von rund 10.000 Euro auf eine Grundausbildung von drei Wochen reduzieren. Bislang stand diese Möglichkeit nur türkischen Staatsbürgern offen, die im Ausland wohnen. Die Angehörigen gefallener Soldaten kritisieren diese Pläne als ungerecht. Deren Verbandsvorsitzender Mehmet Güner empörte sich in einem Fernsehinterview:
"Diejenigen, die sich demnächst vom Militärdienst freikaufen können, brauchen schon jetzt nicht in den gefährlichen Gebieten dienen. Wenn der Vater ein Geschäftsmann oder hoher Beamter ist, dann genügt ein Anruf bei der Armeeführung und der Sohn wird an einen friedlichen Standort irgendwo in der Westtürkei versetzt."
Noch in dieser Woche will sich Ministerpräsident Erdogan persönlich zu den Themen Wehrdienstverweigerung und Freistellung gegen Bezahlung äußern. Doch schon jetzt deutet alles darauf hin: Die Türkei verabschiedet sich langsam von der Wehrpflicht. Eine Berufsarmee wird immer wahrscheinlicher.
"Die Türkei wurde 2006 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen der strafrechtlichen Verfolgung eines Kriegsdienstverweigerers verurteilt. Der Europarat erwartet seitdem eine Gesetzesänderung. Nun, nach fünf Jahren, liefert die Türkei. Aber da wurde ein Gesetz vorbereitet, an dem wir Betroffene oder sonstige Fachleute nicht beteiligt waren. Darum bin ich gespannt, was nun dabei herauskommt."
Alle türkischen Männer unterliegen nach der Verfassung der Wehrpflicht, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung sieht das Gesetz nicht vor. Bislang galten Pazifisten als Befehlsverweigerer und wurden strafrechtlich verfolgt, oft jahrelang. Mehmet Tarhan wurde zu insgesamt vier Jahren Haft verurteilt, elf Monate davon musste er absitzen. Im Gefängnis wurde er von Mithäftlingen und Wärtern misshandelt. Lediglich 300 Männer haben nach Angaben von Friedensorganisationen bislang die Teilnahme am Militärdienst in der Türkei mit einer offiziellen Erklärung verweigert.
Presseberichten zufolge sieht der Gesetzentwurf nun vor, dass Militärdienstverweigerer einen Ersatzdienst ableisten können – dieser soll aber neun Monate länger dauern wie der 15-monatige Wehrdienst. Reine Abschreckung, sagen Kritiker wie Mehmet Tarhan. Über die Gründe, die für eine Verweigerung vorgebracht werden dürfen, ist noch nichts bekannt. Tarhan fürchtet eine Art Gesinnungsprüfung:
"Es darf keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten persönlichen Überzeugungen geben. Die europäische Rechtsprechung legt die möglichen Gründe für Kriegsdienstverweigerung sehr weit aus. Es zählen nicht bloß religiöse oder politische Gründe, sondern auch ganz allgemein der Lebensstil, die ganz persönlichen Überzeugungen."
Der fortdauernde Bürgerkrieg zwischen der Armee und der kurdischen PKK wird wohl nicht als Verweigerungsgrund anerkannt werden. Dennoch läuft die rechte Opposition Sturm gegen die Pläne. Devlet Bahceli, Vorsitzender der rechtsnationalen MHP:
"Die türkische Armee kämpft gegen den Terrorismus und für die Einheit des Landes und des Staates. In dieser Situation über Militärdienstverweigerung zu reden, ist völlig unangebracht."
Wer es sich leisten kann, wird den Militärdienst künftig auch gegen Bares umgehen können. Denn die türkische Regierung plant außerdem Ausnahmen für Wehrpflichtige, die älter als 30 Jahre sind. Sie können ihren Dienst gegen Zahlung von rund 10.000 Euro auf eine Grundausbildung von drei Wochen reduzieren. Bislang stand diese Möglichkeit nur türkischen Staatsbürgern offen, die im Ausland wohnen. Die Angehörigen gefallener Soldaten kritisieren diese Pläne als ungerecht. Deren Verbandsvorsitzender Mehmet Güner empörte sich in einem Fernsehinterview:
"Diejenigen, die sich demnächst vom Militärdienst freikaufen können, brauchen schon jetzt nicht in den gefährlichen Gebieten dienen. Wenn der Vater ein Geschäftsmann oder hoher Beamter ist, dann genügt ein Anruf bei der Armeeführung und der Sohn wird an einen friedlichen Standort irgendwo in der Westtürkei versetzt."
Noch in dieser Woche will sich Ministerpräsident Erdogan persönlich zu den Themen Wehrdienstverweigerung und Freistellung gegen Bezahlung äußern. Doch schon jetzt deutet alles darauf hin: Die Türkei verabschiedet sich langsam von der Wehrpflicht. Eine Berufsarmee wird immer wahrscheinlicher.