Archiv


"Die türkische Nase war immer nach Westen gerichtet"

Breker: Am Telefon begrüße ich nun den Kuratoriumsvorsitzenden der deutsch-türkischen Stiftung und Reiseunternehmer Vural Öger. Guten Tag, Herr Öger!

    Öger: Guten Tag!

    Breker: Herr Öger, wenn wir das hören: Erdrutschsieg der Islamisten. Müssen wir uns dann Sorgen machen?

    Öger: Nein, ich glaube nicht. Also, die Partei wird ja wie verkündet am Westkurs der Türkei nichts ändern. Und die türkische Verfassung ist eine säkulare Verfassung. Sie werden verfassungstreu das Land leiten und regieren müssen. Sie haben auch gestern Abend verkündet, dass sie weiterhin ihr Bestes in Richtung Europäische Union tun werden. Wenn man also die Stimmen hier bewertet, stellt man fest: Einmal ist es türkisches Wahlgesetz. Vier Parteien, die über vier Prozent Stimmen hatten, sind im Parlament nicht vertreten. Das halte ich für absurd. Auf der anderen Seite: Ein Großteil dieser Stimmen waren ja nicht Stimmen der sogenannten Islamisten, sondern eher Proteststimmen, die in den vergangenen drei Jahren durch die wirtschaftliche Misere in der Türkei richtig gelitten haben, ihre Arbeit verloren haben, die den alten Parteien einen Denkzettel verpassen wollten. Also, es sind mehr Proteststimmen als Stimmen, die religiöse Referenzen hätten.

    Breker: Was bedeutet denn dieses Ergebnis nun für die Türkei selber? Wird sich da das gesellschaftliche Leben durch den Sieg der Islamisten ändern? Was denken Sie?

    Öger: Wie gesagt, ich bezeichne sie nicht als Islamisten. Sie sagen: Wenn es im Westen christlich-demokratische Parteien gibt, wieso soll es nicht islamisch-demokratische Parteien geben. Also, Islamisten sind sie nicht, meine ich. Der harte Kern der Islamisten in der Türkei hat nie mehr als drei, vier Prozent erreicht. Die Wähler, die diese Partei gewählt haben, sind eigentlich nicht islamistische Wähler in dem Sinne, sondern wie gesagt Protestwähler. Und wenn ich auch viele Namen sehe, die sich in letzter Zeit dieser Partei angeschlossen haben, dann haben diese in den anderen Parteien hohe Stellungen gehabt, und sie gelten als moderate oder liberale Menschen. Insofern finde ich, das ist ein neuer Versuch der Türkei, dass eben eine konservative Regierung das Land regieren wird. Und die haben gesagt: Wir machen dort weiter, wo ein konservativer Wirtschaftspolitiker aufgehört hat, der die Türkei durch die vielen Wirtschaftreformen innerhalb von vier, fünf Jahren nach vorne bewegt hat. Er war konservativ und hatte eine gewisse islamische Gesinnung. Und diese Partei meint, wir wollen auf diesem Weg weiter gehen. Also, ich sehe da kein Problem. Auch diese Partei wird mit der harten Realität der türkischen Wirtschaft konfrontiert. Sie müssen beweisen, was sie versprochen haben. Sie müssen nächstes Jahr 35 Milliarden Dollar allein an Zinsen an Krediten zurück zahlen. Die Wirtschaft muss laufen, das Land muss sich öffnen, ausländische Investoren müssen kommen. Um all das zu tun, müssen sie eine sehr liberale Wirtschaftspolitik betreiben. Sie können sich nicht erlauben, irgendwie mit irgendwelchen islamischen Referenzen die Gesellschaft zu verändern, zumal auch die türkische Armee als Hüter der Verfassung wieder ein sehr waches Auge haben wird auf die Politik. Insofern, finde ich, ist es kein Grund zur Besorgnis. Der Westkurs der Türkei wird weiter gehen. Vielleicht ist für das Land gut, wenn wir endlich mal nicht von einer Koalition, sondern von einer Partei regiert werden, die im Vollen umsetzen kann, was beschlossen wird. Bis jetzt haben nämlich die Koalitionsparteien einander immer wieder verhindert. Das war eine Blockadepolitik der Parteien unter sich, die zwar eine Regierung bilden konnten, aber die gar nicht den Karren aus dem Dreck rausziehen konnten. Ich sehe das nicht so problematisch wie manche Stellen, denn diese klischeehaften Vorstellungen, Islamisten und so weiter, passen eigentlich nicht zur Türkei. Die Türkei ist nicht Persien, die Türkei ist auch nicht Algerien. Die Türkei ist ein Land, das sich seit 200 Jahren auf einem Westkurs befindet, auch die Gesellschaft. Man darf auch nicht vergessen: Zwei Drittel der türkischen Wähler haben nicht diese Partei gewählt. Die Erwartungshaltung ist sehr, sehr hoch und die Partei muss sich beweisen und diesen Erwartungen gerecht werden.

    Breker: Deswegen sprechen wir ja auch miteinander, damit wir es besser verstehen. Herr Öger, der Parteichef Erdogan ist eine charismatische Führungsperson. Gibt es denn neben ihm jemanden, der Ministerpräsident sein kann, denn er wird es ja nicht werden können, ja vielleicht wird er bald auch gar nicht mehr Parteichef sein.

    Öger: Also, ich halte diesen Herrn Abdulla Gül für einen potenten, fähigen Menschen. Der ist auch in der türkischen Liberalen gut angesehen. Er ist Ingenieur, also wirtschaftliche Kompetenz. Ich kann mir vorstellen, dass er der Ministerpräsident sein könnte, da er eine hohe Wirtschaftskompetenz hat, glaube ich, dass er also dazu geeignet wäre. Mir erscheint dieser Name am günstigsten.

    Breker: Wenn wir jetzt mal nicht nur die Europapolitik nehmen, Herr Öger. Da hatten Sie ja schon gesagt, dass Sie da keine wesentlichen Veränderungen erwarten. Nun ist die Türkei ja auch in der Antiterror-Koalition. Sollte es gegen den Irak gehen, dann werden die Amerikaner ihre Stützpunkte in der Türkei nutzen wollen. Wird das auch unter der neuen Regierung problemlos gehen können?

    Öger: Ohne weiteres. An der Nato-Politik, Pro-West-Politik der Armee wird sich nichts ändern. Ich habe in der Vergangenheit auf so viele religiöse Sprüche gehört, und wurden sie Bürgermeister, hat sich überhaupt nichts geändert. Die harte Realität wird auch sie einholen. Sie haben durch manche Parolen, die die Seelen des Volkes angesprochen haben, die Emotionen angesprochen haben, hohe Stimmen gehabt. Jetzt kommt die harte Realität. Wissen Sie, wie man Geld verdient, wie man Wirtschaft betreibt, das ist in jedem Land gleich, das muss gleich sein. Wenn nicht, dann fallen wir zurück. Die allgemeine Regel, die Weltordnung sozusagen, Globalisierung, all diese Worte, die müssen sich verinnerlichen. Die können nicht von dem Europakurs ab. 70 Prozent des türkischen Außenhandels werden mit den EU-Ländern betrieben. Also, die Türkei kann sich nicht nach Osten orientieren. Die Türken und die Araber sind auch Völker gewesen, die Jahrhunderte lang sich nicht so freundlich gesonnen waren. Aufgrund des osmanischen Erbes zum Beispiel, mögen die Araber die Türken nicht, umgekehrt auch nicht. Ich sag das ungern, aber das ist die Realität. Insofern, Nahosten, zurück zur islamischen Ländern kann nie eine Vision für die Türkei sein. Jeder, der das versucht, wird verlieren, wäre zum Scheitern verurteilt. Die türkische Nase war immer nach Westen gerichtet mit kurzen Unterbrechungen. Der Kurs wird weiter eingehalten. Auch die jetzige Partei hat keine andere Wahl als auf diesem Westkurs weiter zu marschieren, weil die türkische Elite, die türkischen Institutionen, der Staat als solcher sehr pro-westlich eingestellt ist.

    Breker: Das war in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk der Kuratoriumsvorsitzende der deutsch-türkischen Stiftung und Reiseunternehmer Vural Öger. Herr Öger, ich danke Ihnen für diese Erläuterungen!

    Öger: Danke Ihnen auch!