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Die umstrittene Grande Dame

Gertrud Fussenegger war eine politisch umstrittene, aber nie wegzudenkende Gestalt im literarischen Leben Österreichs. Anfang des 20. Jahrhunderts repräsentierte sie eine ganze Generation, die vor dem Ende der k.u.k-Monarchie geboren wurde.

Von Beatrix Novy | 08.05.2012
    "Es war im Jahre 1870: Im Hause Bourdanin wurde Hochzeit gefeiert.
    Ehe die Sonne des langen glühendheißen Augusttages unterging, führte der Bräutigam, der kaiserliche und königliche Rittmeister Balthasar Bourdanin, seine jung angetraute Frau aus der Gesellschaft der Festgäste hinweg, in die für ihn eingerichteten Gemächer seines Vaterhauses. Die Stuben waren still und leer. Die Fenster standen offen; durch die weißen Schleierbahnen der Vorhänge drang, in schräge Balken gebrochen, das schwere gelbrote Abendlicht."


    Traulich-gemächlich beginnt Gertrud Fusseneggers Roman "Das Haus der dunklen Krüge". Aber der Eindruck täuscht: Die Ehe, die hier gerade geschlossen wurde, geht vom ersten Augenblick an schief - wie übrigens auch alle anderen in diesem Buch, das zum Opus magnum Gertrud Fusseneggers gehört, einer böhmischen Familien-Trilogie, in der sie vieles verarbeitete, was sie als Kind der mütterlichen Verwandtschaft am Esstisch abgelauscht hatte. Ein Roman ganz in der realistischen Tradition des 19. Jahrhunderts – nur dass seine Autorin im 20. geboren wurde – am 8. Mai 1912.

    "Sie wurde anerkannt und nicht anerkannt, anerkannt von vielen, vielen Lesern, nicht anerkannt von der Literaturszene im Allgemeinen",

    sagt der österreichische Publizist Alfred Pittertschatscher über das Problem einer Unzeitgemäßen.

    "Ihre Werke sind lesbar, teilweise in einem Stil, den man mag oder nicht mag. Faktum ist: sie ist eine sehr professionelle Voll-Literatin gewesen, die wirklich das Geschäft von A-Z gemacht hat."

    Viele Literaturpreise, die Gertrud Fussenegger in der Nachkriegszeit bekam, beweisen, dass Lesbarkeit nicht notwendig für eine Schande des Literaturbetriebs gehalten wurde. In Fusseneggers Werk kreuzen sich die Stimmen ihrer Herkunft, ihres Aufwachsens in einem kaisertreuen, katholischen Milieu und in verschieden geprägten Gegenden der Monarchie – der Vater kam aus Vorarlberg, die Mutter aus Böhmen. Eine reiche Sprache, ein Bewusstsein für Widersprüche, soziologische Beobachtung, ein moderner Pessimismus heben ihr Werk über den Eindruck des Preziös-Altmeisterlichen hinaus. Aber umstrittener als die Qualität ihres Schaffens war etwas anderes: Die Tatsache, dass Gertrud Fussenegger schon 1933 in die damals in Österreich illegale NSDAP eingetreten war.

    "Wir sagten: Deutschland
    und nannten das Reich,
    das uns die Seelen versengte,
    brünstig im Kreis der Verschwörer.
    So nur, Vermummte,
    durften wir nicht dienen,
    Kinder des größeren Vaterland."


    Das Gedicht "Stimme der Ostmark" legte Gertrud Fussenegger 1938 Adolf Hitler zu Füßen. Was sie später zu diesem Thema zu sagen hatte, empfanden viele nur als Selbstrechtfertigung ohne Reue – so liefen ihre Versuche, an sich selbst ein mehrschichtiges Bild von Widersprüchlichkeit und Verstrickung zu zeigen, lange ins Leere. Man hatte das Gefühl: Sie konnte sich verzeihen.

    "Das war irrtümlich. Wir haben eine falsche Vorstellung aufgebaut, die aber aus unserer eigenen Wohlmeinung projiziert war, und sie hatte mit der Realität sehr wenig zu schaffen."

    "Faktum ist, sie hat sich sehr wohl geäußert, aber eben vielleicht zu wenig ausdrücklich."

    Das fiel 1993 auf Gertrud Fussenegger zurück. Die Verleihung des Jean Paul-Preises wurde zum Skandal. Aber just das brachte die Verteidiger auf den Plan: Nicht eine antisemitische Zeile finde sich doch im Werk Fusseneggers; und 1936, zwei Jahre vor dem Ostmark-Gedicht, war ihr Buch "Mohrenlegende" von den verärgerten Nazis als "Mitleidwerbung für Andersrassige" bezeichnet und aus dem Handel gezogen worden. Gertrud Fussenegger nahm den Preis und spendete das Geld der Manès Sperber-Gesellschaft – der 1983 verstorbene jüdische Schriftsteller hatte ihr zu Lebzeiten die Hand zur Freundschaft gereicht. Ihrer Stellung als Grande Dame der österreichischen Literatur stand nichts im Wege. Und sie hielt sie, bis zu ihrem Tod im Jahr 2009, in der vorbildlichen Haltung einer k.u.k.-Hauptmannstochter

    "Sie hat eine Haltung mit 96 gehabt, also wenn ich das mit 80 ungefähr hinkriege, dann würde ich meinen, bin ich glücklich."