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Die undurchschaubare Welt der Papstwahl

Der Abbé Atto Melani hat vor rund 300 Jahren ein Dossier über die undurchschaubare Geschichte der Papstwahlen geschrieben, das im Jahr einer ebensolchen auf besondere Aufmerksamkeit stoßen. Selbstverständlich ist der Band kardinalsrote, mit knapp hundert Seiten allerdings recht schmal und er trägt den Titel: "Die Geheimnisse der Konklaven und die Laster der Kardinäle".

Von Julia Schröder | 29.04.2005
    Der kleine Atto, drittes von sieben Kindern des Glöckners Melani am Dom von Pistoia, hatte Pech. Als das Kind ein gewisses Gesangstalent zeigte, erkannten seine bettelarmen Eltern messerscharf, wie damit das Familieneinkommen aufzubessern wäre, und Attino war seine Männlichkeit los, bevor sich auch nur deren erste Anzeichen entwickelt hatten - Kastraten waren seinerzeit, im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts, begehrt und teuer. Andererseits hatte Atto Melani in seinem langen Leben (1626-1714) ziemlich viel Glück; er eroberte schnell die Opernbühnen und Konzertsäle, stieg zum Vertrauten des Kardinals Mazarin am französischen Hof Ludwigs XIV. auf, der ihn zum Diplomaten, weniger fein ausgedrückt: zum Spion ausbildete, war sogar mit dem "Sonnenkönig" selbst befreundet und starb schwerreich und mit einem Adelstitel versehen.

    Vor allem aber hat Abbé Atto Melani seinem König ein Dossier über die undurchschaubare Geschichte der Papstwahlen geschickt, das jetzt, in den Tagen des Konklaves in Rom, auf besondere Aufmerksamkeit stoßen dürfte. Der Stuttgarter Verlag Klett-Cotta hat daraus eilends ein Buch gemacht, das am 22. April in den Buchhandel kommt. Der Titel des selbstverständlich kardinalsroten, mit knapp hundert Seiten allerdings schmalen Bändchens jedenfalls klingt viel versprechend: "Die Geheimnisse der Konklaven und die Laster der Kardinäle".

    Melani, zeitweise bei Ludwig XIV. in Ungnade gefallen, flieht 1661 nach Rom und wird der Schützling des Kardinals Giulio Rospigliosi aus seiner Heimatstadt Pistoia, der ihn, als 1667 nach dem Tod von Papst Alexander VII. das Konklave einberufen wird, zu seinem Konklavisten macht, zum Sekretär, der mit eigenen Augen die Intrigen, Fraktionierungen und Irrwege der Kardinalsversammlung studieren kann. Für beide macht sich die Zusammenarbeit bezahlt; Rospigliosi verlässt als Clemens IX. das Konklave, Melani hat sich durch seine Strippenzieherei zugunsten des Favoriten der französischen Krone dieser erneut empfohlen. Er wird Zeuge von nicht weniger als sechs Papstwahlen und entwickelt sich als Lateran-Fachmann zum wertvollen Zuträger für den König.

    In seinem Memorandum über die Schliche und Kniffe im Umgang mit dem Vatikan im Allgemeinen und bei der Durchsetzung des eigenen Papabile im Besonderen übt er erstaunlich offen Kritik an den französischen Botschaftern beim Heiligen Stuhl und damit am König selbst; er konnte sich das offenbar leisten. Das Lesevergnügen beruht, wie so oft bei der Lektüre historischer Traktate über die Weltweisheit, auf dem Vergleich der eingehend und nicht ohne Sarkasmus geschilderten damaligen Verhältnisse mit den heutigen, nicht nur in der katholischen Hierarchie.

    Man bedenke: in jenen Jahren wurden Männer Kardinäle, die sich nicht etwa als Geistliche, sondern in weltlichen Funktionen hervorgetan und ihr Prälatenamt gekauft hatten. Durch Nepotismus, die Nachwahl von Neffen und Cousins, bauten sie den Einfluss ihrer Familien aus. Nicht zuletzt ging es um die Möglichkeit, beim Ämterhandel ordentlich Geld zu scheffeln. Die priesterliche Hirtenfunktion spielte keine allzu große Rolle. Benedetto Odescalchi etwa, dessen Werdegang Atto Melani mit spürbarer Liebe zum Detail schildert, war so ein Ex-Militär auf dem Papstthron. Als Innozenz XI. (1679-1691) wurde er 1956 heilig gesprochen. Er konnte kein Latein und unterschrieb zur Freude seiner Mitarbeiter alles, was ihm vorgelegt wurde, ohne Zicken zu machen.

    Dass dieser Papst heimlich mit dem protestantischen Wilhelm von Oranien Geschäfte gemacht und damit die Vertreibung der katholischen Stuarts aus England befördert haben soll, hat vor wenigen Jahren Skandal gemacht, als "Imprimatur", ein Vatikankrimi des italienischen Autorenpaars Rita Monaldi und Francesco Sorti diese Entdeckung verbreitete und zum Bestseller wurde.

    Hier schließt sich der Kreis. Melanis umfangreiches Briefwerk ist verloren - bis auf immerhin acht Bände, die Monaldi & Sorti verwendet haben, um den Abbé zum Ermittler ihrer Krimireihe zu machen. Die Herausgabe des Konklave-Dossiers ist ein Abfallprodukt ihrer jahrelangen Recherchen. Entsprechend undurchsichtig sind die Editionsprinzipien dieser "inhaltlich gerafften und sprachlich modernisierten" Ausgabe. Sei's drum. Wer liest nicht gern Sätze wie die folgenden? "Es gibt keinen Kardinal, der nicht davon träumt, zum Papst gemacht zu werden. Diejenigen, die am häufigsten daran denken, sind die nämlichen, welche das Thema angewidert ablehnen und vorgeben, mit ganz andern Dingen befasst zu sein." Das sind deo gratias, wie der Lateiner sagt, tempi passati.