Elke Durak: Aus Schaden wird man bekanntlich klug, heißt es. Die CDU hatte nach der Bundestagswahl 2005 entschieden: "wir müssen uns verändern. Wir müssen wieder Volkspartei der Mitte werden. Wir müssen bewahren und erneuern." Der Auftrag für ein neues Grundsatzprogramm wurde erteilt. "Auftrag erfüllt", hieß es an diesem Wochenende. Die CDU-Führung hat das neue Programm gebilligt. Die letzte Entscheidung allerdings wird ein Parteitag treffen. Das Wort "Chancengesellschaft" kommt auch vor in diesem Grundsatzprogramm. Kann Heinrich Oberreuter damit etwas anfangen? Er ist Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und hat als Mitglied der CSU-Grundwertekommission Erfahrung mit Grundsätzlichem in Parteiprogrammen, ist am Telefon. Guten Tag Herr Oberreuter!
Heinrich Oberreuter: Guten Tag Frau Durak!
Durak: Chancengesellschaft, was sagt Ihnen denn das?
Oberreuter: Ein Schlagwort, das eigentlich alle Parteien mittlerweile entdeckt haben. Man hat ja früher viel von Chancengleichheit gesprochen. Jetzt spricht man mehr von Chancengerechtigkeit und jetzt sorgt man sich auch darum, dass diejenigen, die leistungsfähig und leistungswillig sind, in der Gesellschaft ihren Platz finden können, auch ihre persönliche Situation verändern können zum Positiven. Das ist das, was dahinter steht, was aber auch kein Alleinstellungsmerkmal der Union ist. Kurt Beck und die SPD sagen in ihrer Grundsatzdiskussion genau das gleiche und andere Parteien sehen es nicht anders.
Durak: Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit, auch das gehört dazu, könnte von der SPD sein. Vielleicht, Herr Oberreuter, kommt es ja auf das so genannte Kleingedruckte im Programm an, weniger auf die Überschriften und die Schlagworte. Was lesen Sie im Kleingedruckten, was aus der CDU nun etwas Besonderes macht?
Oberreuter: Interessant ist eigentlich die fortwährende Anknüpfung an Traditionen, aus denen man schöpft. Was anderes ist ja auch gar nicht zu erwarten. Die Anrufung des christlichen Menschenbildes, die deutlichere Anrufung der Individualität der Person, also auch in dem Sinn, dass sie nicht in kollektiven Sicherungssystemen sich versteckt, sondern auch Verantwortung übernimmt für die eigenen Lebensrisiken. Das ist ein starker Hintergrund und auf den baut man natürlich auch jetzt auf. Hoch interessant ist, dass schon in der Präambel eben neben dem christlichen Menschenbild auch die liberalen Traditionen angesprochen werden. Das heißt im Klartext Öffnung für Individualismus, Öffnung für Selbstverantwortung und Öffnung auch für Pluralität und Aufbruch oder Aufbrechen eines Milieus, das es eigentlich sowieso nicht mehr gibt.
Durak: Macht die CDU der CSU womöglich, was Soziales angeht, ein wenig Konkurrenz, denn bisher hat sich ja die CSU diese Sachen besonders auf die Fahnen geschrieben?
Oberreuter: Ja. Nun war natürlich die CDU immer die Partei der sozialen Marktwirtschaft und sie hatte ja doch herausragende Köpfe, die sich um den Sozialstaat verdient gemacht haben, von Hans Katzer bis Norbert Blüm und Heiner Geißler, um den nicht zu vergessen. Das ist eine gemeinsame Tradition. Der interessante Punkt ist nur, diese Tradition ist ja im letzten Wahlprogramm sehr versteckt worden. Die Union kam gemeinsam daher als eine Partei, die soziale Bedürfnisse nicht bedient hat und im Grunde den Eindruck erweckt hat, soziale Kälte und Funktionalität des Marktes und der Leistungsgesellschaft ohne menschliche Dimension breiteten sich aus. Insofern haben beide ja auch ihr Koordinatensystem verschoben. Man hat gesehen, dass man ohne sozialen Touch, ohne Beschwörung der sozialen Gerechtigkeit keine Wahlen gewinnen kann. Da geht man untergehakt voran. Das heißt im Klartext, Angela Merkel hat sich sozusagen sozialstaatlich einfangen lassen müssen und das Programm ist so ausgewogener. Streit könnte es geben zwischen den beiden, wo die CDU von einer neuen Dimension der sozialen Marktwirtschaft spricht.
Durak: Was auch immer das ist!
Oberreuter: Was auch immer das ist. Im Programm selber ist es eigentlich relativ harmlos. Es ist eine Reminiszenz an eine Zielansprache von Angela Merkel, die schon etwas älter ist und die Ratlosigkeit hinterlassen hat. Vergleicht man die beiden Programme der beiden C-Parteien, verbirgt sich dahinter eigentlich nur die Tendenz, auf die Herausforderung der Globalisierung so antworten zu können, dass die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft nicht in den Orkus gehen. Also: die Schlagworte bringen es nicht. Man muss es genau anschauen.
Durak: Herr Oberreuter, es ist Sommer. Es wird gerne geträumt im Sommer. Oder sind Bündnisüberlegungen Schwarz-Grün, Rot-Grün-Gelb oder gar Rot-Rrot auf Bundesebene ein bewusst lanciertes Sommerthema? Wolfgang Schäuble will ja mit den Grünen diskutieren. Wäre die Union reif dafür, wären die Grünen reif dafür, für schwarz-grüne Bündnisse?
Oberreuter: Hinter all dem steht eine historische Entwicklung. Die Ausgangspositionen aus den 80er Jahren sind ja völlig obsolet geworden. Die Grünen sind eine ganz andere Partei. Sie haben sich zum Parteiensystem, zur parlamentarischen Demokratie hin entwickelt. Sie haben sich ein breites Themenspektrum zugelegt. Sie sind in vielfältigen Weisen - jetzt sage ich mal Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, aber auch Außenpolitik - auf die Union zumarschiert oder haben sich so bewegt, dass die Schnittmengen größer geworden sind. Die Union auf der anderen Seite sucht händeringend nach Partnern. Wir sind ja in einer Situation, in der uns 2009 drohen könnte eine Fortsetzung der Großen Koalition mangels Koalitionsbildungsmöglichkeiten. Insofern sehe ich hinter diesen Spekulationen mehr als nur eine Sommerfantasie, sondern eine gewisse Nachdenklichkeit, die vielleicht jetzt sage ich mal in Baden-Württemberg, wo ja keine Notwendigkeit gegenwärtig besteht, ...
Durak: ... seinen Anfang nimmt.
Oberreuter: ... ein bürgerlicher grüner Zweig immer geblüht hat, ihren Anfang nehmen könnte. Aber das muss man offen sehen und da wird noch vieles - -
Durak: Darüber wird man auch - Herr Oberreuter, Entschuldigung - später weiter sprechen können. Dies war der Anfang, was das Grundsatzprogramm betrifft. Dies ist das Ende dieser Mittagssendung.
Heinrich Oberreuter: Guten Tag Frau Durak!
Durak: Chancengesellschaft, was sagt Ihnen denn das?
Oberreuter: Ein Schlagwort, das eigentlich alle Parteien mittlerweile entdeckt haben. Man hat ja früher viel von Chancengleichheit gesprochen. Jetzt spricht man mehr von Chancengerechtigkeit und jetzt sorgt man sich auch darum, dass diejenigen, die leistungsfähig und leistungswillig sind, in der Gesellschaft ihren Platz finden können, auch ihre persönliche Situation verändern können zum Positiven. Das ist das, was dahinter steht, was aber auch kein Alleinstellungsmerkmal der Union ist. Kurt Beck und die SPD sagen in ihrer Grundsatzdiskussion genau das gleiche und andere Parteien sehen es nicht anders.
Durak: Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit, auch das gehört dazu, könnte von der SPD sein. Vielleicht, Herr Oberreuter, kommt es ja auf das so genannte Kleingedruckte im Programm an, weniger auf die Überschriften und die Schlagworte. Was lesen Sie im Kleingedruckten, was aus der CDU nun etwas Besonderes macht?
Oberreuter: Interessant ist eigentlich die fortwährende Anknüpfung an Traditionen, aus denen man schöpft. Was anderes ist ja auch gar nicht zu erwarten. Die Anrufung des christlichen Menschenbildes, die deutlichere Anrufung der Individualität der Person, also auch in dem Sinn, dass sie nicht in kollektiven Sicherungssystemen sich versteckt, sondern auch Verantwortung übernimmt für die eigenen Lebensrisiken. Das ist ein starker Hintergrund und auf den baut man natürlich auch jetzt auf. Hoch interessant ist, dass schon in der Präambel eben neben dem christlichen Menschenbild auch die liberalen Traditionen angesprochen werden. Das heißt im Klartext Öffnung für Individualismus, Öffnung für Selbstverantwortung und Öffnung auch für Pluralität und Aufbruch oder Aufbrechen eines Milieus, das es eigentlich sowieso nicht mehr gibt.
Durak: Macht die CDU der CSU womöglich, was Soziales angeht, ein wenig Konkurrenz, denn bisher hat sich ja die CSU diese Sachen besonders auf die Fahnen geschrieben?
Oberreuter: Ja. Nun war natürlich die CDU immer die Partei der sozialen Marktwirtschaft und sie hatte ja doch herausragende Köpfe, die sich um den Sozialstaat verdient gemacht haben, von Hans Katzer bis Norbert Blüm und Heiner Geißler, um den nicht zu vergessen. Das ist eine gemeinsame Tradition. Der interessante Punkt ist nur, diese Tradition ist ja im letzten Wahlprogramm sehr versteckt worden. Die Union kam gemeinsam daher als eine Partei, die soziale Bedürfnisse nicht bedient hat und im Grunde den Eindruck erweckt hat, soziale Kälte und Funktionalität des Marktes und der Leistungsgesellschaft ohne menschliche Dimension breiteten sich aus. Insofern haben beide ja auch ihr Koordinatensystem verschoben. Man hat gesehen, dass man ohne sozialen Touch, ohne Beschwörung der sozialen Gerechtigkeit keine Wahlen gewinnen kann. Da geht man untergehakt voran. Das heißt im Klartext, Angela Merkel hat sich sozusagen sozialstaatlich einfangen lassen müssen und das Programm ist so ausgewogener. Streit könnte es geben zwischen den beiden, wo die CDU von einer neuen Dimension der sozialen Marktwirtschaft spricht.
Durak: Was auch immer das ist!
Oberreuter: Was auch immer das ist. Im Programm selber ist es eigentlich relativ harmlos. Es ist eine Reminiszenz an eine Zielansprache von Angela Merkel, die schon etwas älter ist und die Ratlosigkeit hinterlassen hat. Vergleicht man die beiden Programme der beiden C-Parteien, verbirgt sich dahinter eigentlich nur die Tendenz, auf die Herausforderung der Globalisierung so antworten zu können, dass die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft nicht in den Orkus gehen. Also: die Schlagworte bringen es nicht. Man muss es genau anschauen.
Durak: Herr Oberreuter, es ist Sommer. Es wird gerne geträumt im Sommer. Oder sind Bündnisüberlegungen Schwarz-Grün, Rot-Grün-Gelb oder gar Rot-Rrot auf Bundesebene ein bewusst lanciertes Sommerthema? Wolfgang Schäuble will ja mit den Grünen diskutieren. Wäre die Union reif dafür, wären die Grünen reif dafür, für schwarz-grüne Bündnisse?
Oberreuter: Hinter all dem steht eine historische Entwicklung. Die Ausgangspositionen aus den 80er Jahren sind ja völlig obsolet geworden. Die Grünen sind eine ganz andere Partei. Sie haben sich zum Parteiensystem, zur parlamentarischen Demokratie hin entwickelt. Sie haben sich ein breites Themenspektrum zugelegt. Sie sind in vielfältigen Weisen - jetzt sage ich mal Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, aber auch Außenpolitik - auf die Union zumarschiert oder haben sich so bewegt, dass die Schnittmengen größer geworden sind. Die Union auf der anderen Seite sucht händeringend nach Partnern. Wir sind ja in einer Situation, in der uns 2009 drohen könnte eine Fortsetzung der Großen Koalition mangels Koalitionsbildungsmöglichkeiten. Insofern sehe ich hinter diesen Spekulationen mehr als nur eine Sommerfantasie, sondern eine gewisse Nachdenklichkeit, die vielleicht jetzt sage ich mal in Baden-Württemberg, wo ja keine Notwendigkeit gegenwärtig besteht, ...
Durak: ... seinen Anfang nimmt.
Oberreuter: ... ein bürgerlicher grüner Zweig immer geblüht hat, ihren Anfang nehmen könnte. Aber das muss man offen sehen und da wird noch vieles - -
Durak: Darüber wird man auch - Herr Oberreuter, Entschuldigung - später weiter sprechen können. Dies war der Anfang, was das Grundsatzprogramm betrifft. Dies ist das Ende dieser Mittagssendung.