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Die Unmöglichkeit der Verständigung

Über 100 Kurzgeschichten des seit Langem in Kanada ansässigen serbischen Autor David Albahari hat der Europaverlag für den Band "Die Kuh ist ein einsames Tier gesammelt". Albaharis Prosa bringt vor allem eins zum Ausdruck: Die Unmöglichkeit der Verständigung der Protagonisten.

Von Martin Sander | 22.09.2011
    Schriftsteller, die sich mit Vorliebe in die Politik einmischen, sind allerorten zu finden. Schriftsteller, die sich in Berufung auf ihre Kunst jedem gesellschaftlichen Engagement verschließen, ebenfalls. Zwischen beiden Polen bewegen sich Autoren, die sich der Politik nicht in jedem Fall verschließen, darin aber eine Gefährdung ihres Künstlerdaseins erkennen. Zu ihnen gehört der 1948 in Jugoslawien geborene David Albahari.

    Albahari betont immer wieder den entscheidenden Einfluss der persönlichen Umgebung, des Familiären auf sein Weltverständnis. In seiner jugoslawischen Heimat hielt er sich von öffentlichen Ämtern fern, bis ihm 1991 der Vorsitz der jüdischen Gemeinden des zerfallenden Landes anvertraut wurde. In dieser Funktion beteiligte er sich an der Aussiedlung von Juden aus dem belagerten Sarajevo. 1994 wählte er, um einer "Zwangspolitisierung" zu entkommen, die Isolation und ging ins freiwillige Exil nach Kanada, wo er bis heute in serbischer Sprache schreibt.

    Wie wenig der Ortswechsel seinen Stil verändert hat, dokumentieren Albaharis Kurzgeschichten der vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte. Der Eichborn-Verlag hat über hundert von ihnen für den Band "Die Kuh ist ein einsames Tier" gesammelt. Einsam ist bei Albahari nicht nur die Kuh, sondern in erster Linie der Mensch, was mal eher harmlos wirkt, mal bedrohlich und oft merkwürdig:

    Das Mädchen vor mir in der Schlange sagt in ihr Handy: Mein Leben ist wie eine Serie von Erdbeben, wohin ich auch blicke, überall Katastrophen, so kann ich nicht weiterleben, verstehst du? Etwas später dreht sie sich zu mir, reicht mir ihr Handy und flüstert: Er behauptet, er verstehe mich nicht. Versuchen Sie es bitte, vielleicht hört er auf Sie.

    "Die Wirkung des Erdbebens" heißt diese Betrachtung, und hier scheint auf, was die Prosa Albaharis im vorliegenden Band in immer neuen Formen und Begebenheiten zum Ausdruck bringt: die Unmöglichkeit der Verständigung, die Einsamkeit, das Verlassensein der Protagonisten. Der Autor skizziert dies in wenigen Sätzen, mitunter auch nur in ein paar Worten. Das Alltägliche wirkt hoch merkwürdig bis hin zur Absurdität, bei Gelegenheit ist es auch komisch. In "Die leere Stelle" etwa erzählt uns Albahari von einem Mann namens Aron, der viele Tage nichts anderes tut, als auf einem offenen Platz seiner Stadt in Wartestellung zu verharren. Das hält seine Umgebung in Atem. Die einen glauben mitleidig, Aron spüre, dass er sterben werde, die anderen fühlen sich auf den Arm genommen und würden ihn gern wegjagen. Arons Verweilen auf dem Platz alarmiert Politiker und Medien, bis man den Mann schließlich unter einen besonderen Schutz des Staates stellen will. Doch dazu kommt es nicht mehr, denn Aron ist eines Morgens einfach wieder verschwunden.
    Einige Geschichten erinnern an Parabeln, andere gleiten ins Aphoristische über. Einige wenige sind so scharf pointiert wie "Die ernste Absicht":

    Alle lachten, als Rade erklärte, er bringe sich um, er aber nahm eine Pistole aus seiner Jackentasche, hielt sie sich an die Schläfe und rief: Glaubt ihr, ich tue es nicht, glaubt ihr das wirklich? Wir verstummten, man hörte nur Susana wimmern und schniefen. Rade schrie weiter diese Frage, immer lauter und immer heiserer, bis Mladen sagte: Bring dich doch endlich um, worauf wartest du noch? Rade stockte mitten im Satz, stand auf und feuerte, ohne den Mund zu schließen, die Kugel direkt in Mladens Herz.

    Die Vorzüge von David Albaharis minimalistischem Erzählen sind nicht von der Hand zu weisen. Der Autor hat das Talent, den Sinn suchenden Leser immer wieder an den Abgrund der Sinnlosigkeit zu führen. Er versteht es bestens, den engen Grenzen der menschlichen Verständigung mit einer faszinierend knappen, lakonischen Sprache auf den Grund zu gehen.

    Seine Kunst beherrscht Albahari aber leider nicht in allen Geschichten dieses Buches. Da gibt es etwa eine ärgerliche, den Sinn geradezu verflachende Keuner-Variation. In der bekannten Brecht-Geschichte erblasst Herr Keuner, weil ihm jemand sagt, dass er sich nicht verändert habe. Albahari lässt in gleicher Lage einen Sava Dimiè erröten. Das ist kaum originell und auch nicht überraschend. Auch in manch weiterem Prosastück entpuppt sich die Quintessenz bei näherem Hinsehen als banal. Ein Beispiel dafür ist "Der Augenblick".

    Aber wenn Sie sich entscheiden, ist es schon zu spät.
    Sie nehmen sich vor, nächstes Mal schneller zu sein, wissen aber nicht, wann das nächste Mal ist.
    Sie beschließen alles zu vergessen.
    Wie jedoch stellt man fest, dass man etwas vergessen hat?


    Zweifellos: David Albahari ist ein bedeutender Autor. Doch nicht alle seiner kurzen Geschichten aus den letzten dreieinhalb Jahrzehnten liefern einen Gewinn an Erkenntnissen und ästhetischen Genuss. Schade, dass der Verlag dies bei seiner Auswahl nicht berücksichtigt hat.

    David Albahari: Die Kuh ist ein einsames Tier. Kurze Geschichten und dauerhafte Wahrheiten über Liebe, Traurigkeit und den ganzen Rest
    Aus dem Serbischen übertragen von Mirjana und Klaus Wittmann
    Eichborn Verlag
    144 Seiten, 16,95 Euro