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Die Unterschätzte

Als Catherine Ashton 2009 das Amt der EU-Chefdiplomatin übernahm, war sie in Europa weitgehend unbekannt und außenpolitisch unerfahren. Doch jetzt hat Ashton als einzige ausländische Vermittlerin in der Ägyptenkrise Zugang zu allen Parteien.

Von Annette Riedel |
    Zugegeben, die Lady ist eine blasse Erscheinung – und das bezieht sich nicht auf ihren Teint. Catherine Ashton ist in der Regel meinungsscheu. Ihre Einlassungen bei den Treffen der EU-Außenminister, die sie leitet, beschränken sich nur zu oft weitestgehend auf die Wiedergabe der Tagesordnung, verlängert mit einigen diplomatischer Floskeln, von denen man schon vorher weiß, dass sie sie so – und zwar genau so - sagen wird.

    Ebenso sind ihre Pressekonferenzen, ihre Stellungnahmen in Wort und Schrift, ihre äußerst seltenen Interviews von lupenreiner Diplomatensprache geprägt, die wie durch eine "Verbal-Waschanlage" geschickt vorhersehbar Langeweile verbreitet. Entsprechend vergleichsweise selten wird sie in der Berichterstattung über die Ministertreffen und ähnliche Veranstaltungen erwähnt.

    In der Summe führt all dies zu einer chronischen Unterschätzung der Lady, sehen sie viele als eine Fehlbesetzung auf dem Posten der Außenbeauftragten der EU. Das ist die Außenansicht.

    Die Innenansicht weicht nicht unerheblich davon ab. Gerade dass sie nicht zu griffigen, kernigen, zitierfähigen Sätzen in der Öffentlichkeit neigt, macht sie zur guten Diplomatin, könnte man sagen und wird nicht selten gesagt. Gerade dass es so vorhersehbar und dadurch berechenbar ist, was sie sagt, macht sie zur guten Diplomatin. Schon allein, dass es ihr gelingt, Dienerin von 28 Herren zu sein, ohne ununterbrochen dem Einen oder Anderen auf die Füße zu stiefeln, macht sie zu einer hervorragenden Diplomatin.

    Die EU-Außenpolitik kann immer nur, in jeder Besetzung, so machtvoll agieren, wie die EU-Mitgliedsländer es wollen. Denn die europäische Außenpolitik ist einer der Politikbereiche, die am stärksten nationalstaatlich bestimmt werden und einstimmige Beschlüsse von 28 EU-Ländern voraussetzen. Wie das scheitern kann, zeigte und zeigt sich im – uneinigen - Umgang der EU zuletzt mit Syrien und seinerzeit mit Libyen. Wie das funktionieren kann, zeigt sich jetzt in Ägypten, wo der Arabische Frühling längst zum arabischen Herbst geworden ist.

    Es ist das Verdienst der EU-Außenpolitik, aber sehr wohl auch persönlich der EU-Außenpolitikerin Ashton, wenn sie jetzt in Ägypten als eine der ganz wenigen internationalen Emissäre Zugang zu allen politisch relevanten Kräften hat – von der Übergangsregierung über das Militär bis zum abgesetzten Präsidenten der Moslembruderschaft, mit der immer gleichen Botschaft: Die Entwicklungen in Ägypten müssen alle gesellschaftlich relevanten Gruppen einbinden. Der Diplomatin – blass hin oder her – gelingt es am Nil ihren ureigensten Aufgaben nachzukommen: Sie hält Kontakt; sie spinnt Gesprächsfäden, gerade in unübersichtlichen oder potentiell bedrohlichen Situationen.

    Nämliches gilt für die internationalen Gespräche mit dem Iran über dessen nukleare Ambitionen. Ashton ist für die EU nicht nur an den Gesprächen der Sechser-Gruppe, darunter China, Russland und den USA mit Teheran beteiligt. Sie leitet sie. Schwer zu widersprechen ist der Einschätzung, dass diese Gespräche bisher nicht von greifbaren Erfolgen gekrönt sind. Es sei denn, man hängt der Meinung an, für die einiges spricht, dass es schon ein Erfolg an sich ist, gerade mit denjenigen international im Gespräch zu bleiben, die, wenngleich nicht unbedingt Feinde, aber zumindest keine Verbündeten sind. Das ist doch Diplomatie.

    Noch an einem anderen Punkt hat die chronisch unterschätzte Lady einige Verdienste. Sie hat den Europäischen Auswärtigen Dienst mit seinen über rund 3500 Mitarbeitern weltweit vollkommen neu aufbauen müssen – und das gegen erheblichen passiven Widerstand der EU-Kommission und der EU-Länder, obwohl die ihn eigentlich wollten. Sie haben sich davon mit Recht Synergieeffekte bei den diplomatischen Vertretungen der 28 weltweit versprochen.

    Faktisch musste unter Ashtons Ägide nicht nur das gesamte Personal rekrutiert werden. Die längste Zeit der jetzt rund zweieinhalb Jahre, die der EAD jetzt existiert, hatte er noch nicht mal ein eigenes Haus, verteilten sich die Mitarbeiter bis vor wenigen Monaten auf sieben EU-Gebäude.

    Lady Ashton hat bereits angekündigt, dass sie im nächsten Jahr, wenn ihre Amtszeit als EU-Außenbeauftragte und EAD-Chefin ausläuft, nicht erneut für diese Funktion zur Verfügung steht. Vielleicht ist sie an den vielfältigen Widerständen ermüdet; vielleicht hat sie es satt, chronisch unterschätzt zu sein.

    Gut möglich, das manch einer in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten erst dann realisiert, was man an Catherine Ashton hatte, wenn es gilt, einen geeigneten Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden.
    Catherine Ashton ist besorgt über die Gewalt in Ägypten
    Catherine Ashton ist Profi in Sachen lupenreine Diplomatensprache. (AFP / Adem Altan)