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"Die Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei sind riesig"

Nach Ansicht von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, SPD, hat der Links-Abgeordnete Gregor Gysi zwar das gute Recht, sich gegen die jüngsten Stasi-Vorwürfe zu verteidigen. Dabei solle er sich aber nicht zur verfolgten Unschuld umstilisieren. Thierse verteidigte erneut die Nominierung von Gesine Schwan zur Bundespräsidentin. Die Nominierung eigener Kandidaten sei keine Koalitionsaussage, sondern demokratische Normalität.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Es geht um die Zusammenarbeit zweier Parteien, von denen die eine auch durch ihre Haltung zur eigenen Vergangenheit immer wieder in der Kritik steht. Jüngstes Beispiel: aktuelle Stunde im Bundestag gestern. Stasi-Verbindungen der Führungspersönlichkeit Gregor Gysi schienen der Birthler-Behörde als gegeben. Er selbst bestreitet dies nach wie vor vehement. Und das Thema erhielt natürlich besondere Brisanz durch die aktuellen Überlegungen zu einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Bundesebene oder auch nur in der Bundesversammlung. - Den stellvertretenden Bundestagspräsidenten und SPD-Politiker begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Wolfgang Thierse!

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Thierse, um noch mal den Blick auf gestern zu richten. Der Bundestagsausschuss hat ja schon vor Jahren festgestellt, dass eine Tätigkeit Gysis für die Staatssicherheit als erwiesen gilt. Weshalb kann er es dann eigentlich noch bestreiten?

    Thierse: Zunächst mal ist es sein gutes Recht, das zu bestreiten. Und der Bundestag, auch der Immunitätsausschuss ist ja kein Gericht, das gewissermaßen offizielle Tatbestandsfeststellungen macht, sondern es ist eine Bewertung gewesen der Akten, die vorlagen, jetzt durch neuerliche Unterlagenfunde noch mal bestätigt, wenn ich Frau Birthler richtig verstehe. Deswegen ist noch mal die neue öffentliche Diskussion und Erregung verstanden. Aber dass Gregor Gysi sich selber verteidigt und eine andere Position vertritt, das ist so. Ich bin nur irritiert darüber, dass er sich nun als verfolgte Unschuld darstellt und die Angriffe gegen den Rechtsstaat, gegen Frau Birthler und gegen alle anderen nun mit Massivität vorträgt.

    Klein: Was sagen Sie zu den Rücktrittsforderungen an die Adresse Marianne Birthlers?

    Thierse: Das halte ich für höchst unangemessen und im Übrigen: Herr Lafontaine weiß nicht, wenn er sagt, Frau Merkel soll sie zurückziehen, er weiß offensichtlich nicht, dass die Stasi-Unterlagenbehörde eine Institution des Parlaments ist und dass das Parlament Frau Birthler gewählt hat. Ich will daran erinnern, dass das eine der Errungenschaften der friedlichen Revolution von 89/90 ist. Die Volkskammer hat diese Institution gefordert, und der Bundestag ist dieser Forderung der frei gewählten Volkskammer gefolgt.

    Klein: Sie haben gestern angedeutet, es geht darum, wie die Nachfolgepartei der SED mit ihrer Erblast umgeht. Das ist eine allgemeinere Frage. Welche Forderungen leiten Sie daraus ab?

    Thierse: Es bleibt eine Aufgabe nicht nur der Deutschen insgesamt und nicht nur der Ostdeutschen, sondern in Sonderheit auch der Linkspartei, die ja in bestimmter Weise Nachfolgepartei auch der SED ist, sich mit ihrer Vergangenheit kritisch und differenziert auseinanderzusetzen, selbstkritisch auseinanderzusetzen. Das wird immer nur ad personam gehen. Auch allgemeine Erklärungen hat diese Partei abgegeben: Distanzierung vom Stalinismus, Distanzierung auch von der Unterdrückungsmaschinerie. Aber im Konkreten muss man dann immer neu über Konsequenzen reden. Aber ich füge sofort hinzu: Gregor Gysi ist frei gewählter Abgeordneter. Er ist gewählt worden, direkt gewählt worden in Kenntnis dieser Vorwürfe gegen ihn. Das hat man auch zu respektieren.

    Klein: Und das Parlament und das Land können mit diesem Widerspruch und der nicht erfolgten Aufklärung gut leben?

    Thierse: Gut leben gewiss nicht. Außerdem ist das durchaus unterschiedlich. Die einen werden sich immer wieder neu darüber aufregen. Sie werden damit nicht fertig werden. Für andere ist das tiefste Vergangenheit. Das wird immer zu unterschiedlichen Urteilen führen. Wie gesagt: Dass Gregor Gysi sich verteidigt, das kann man nachvollziehen, aber ich kann nicht nachvollziehen, dass er sich umstilisiert zur verfolgten Unschuld und nun Schuld alle anderen sind.

    Klein: Die Linke wirft den anderen Parteien nun vor, das Thema politisch zu instrumentalisieren vor dem Hintergrund der eigenen Wahlerfolge und der gewonnenen Bedeutung der Partei. Ist das so?

    Thierse: Das ist ein ständig wiederholter Vorwurf. Weder die CDU, noch die SPD, noch die Grünen, noch irgendeine Partei hat geplant, dass diese neuen Aktenfunde jetzt gemacht worden sind. Gregor Gysi selber war es jetzt, der einen Einspruch gegen eine Gerichtsfeststellung nicht erhoben hat. Also dass es jetzt die Aufregung gibt, ist von niemandem inszeniert worden. Das dann parteipolitisch zu instrumentalisieren oder zu interpretieren, das zeigt nur wieder, dass man sozusagen sich wirklich nicht selbstkritisch auf die Fragen nach der Vergangenheit einlassen will, sondern dass man versucht, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen.

    Klein: Vor dem Hintergrund dessen, Herr Thierse, wie Sie gerade auch die Partei schildern: Muss eine Partei wie die SPD dann ihrerseits ihr Verhältnis zu dieser Linken deutlicher klären?

    Thierse: Ich glaube nicht, dass wir das müssen. Dieses Verhältnis haben wir immer wieder neu geklärt. Die PDS, die Linkspartei ist eine gegnerische, eine konkurrierende Partei, von der wir uns deutlich politisch unterscheiden - übrigens nicht nur hinsichtlich der Vergangenheit. Ich will daran erinnern, dass die SPD/Ost die einzige Neugründung einer Partei in der Endphase der DDR war. Da haben einige sehr mutige Leute den Allmachtsanspruch der SED bestritten. Dies ist ein ganz klarer geschichtlicher Zusammenhang, in dem wir auch stehen, auch die SPD heute steht. Die CDU hat damals gleich zwei SED-hörige lammfromme Blockparteien übernommen. Die SPD/Ost war eine mutige Partei gegen die SED. Im Übrigen geht es immer um die inhaltlichen Differenzen in der Gegenwart. In vielen wichtigen Grundfragen der deutschen Politik (Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik) sind die Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei riesig.

    Klein: Und Franz Müntefering, der frühere Vizekanzler und immer noch respektierte Politiker Ihrer Partei, deutet an es wäre gut, wenn die SPD auch in einem erneuten Parteitagsbeschluss klar machen würde, auf Bundesebene wird es keine Zusammenarbeit geben. Unterstützen Sie das?

    Thierse: Es mag ja gut sein, das Wahre und Richtige immerfort neu zu wiederholen. Solche Aussagen, solche Beschlüsse hat es gegeben. Die Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Ich bin an dieser Stelle gelassen. Ich sage nur etwas gewissermaßen persönlich. Ich habe eben daran erinnert, an den Mut der Gründer der SPD gegen die SED. Im gleichen Moment hat die CDU zwei SED-hörige Blockparteien übernommen und war unanständig genug, die neu gegründete, mutige SPD zu denunzieren mit dem Slogan "SPDS", sie zu verdächtigen, dass sie mit den Kommunisten gemeinsame Sachen will. Wenn man das erfahren hat - und ich weiß, wie ich unerhört wütend war Anfang 1990, tief betroffen. Das werde ich nie vergessen. Deswegen lasse ich mich von der CDU niemals belehren in Sachen des politischen Anstands. Wir sollten uns nicht durch die anderen immer wieder neu in die Defensive bringen lassen. Immer wieder verlangt man von uns, heilige Eide zu schwören. Entscheidend ist - und das sagen wir tagtäglich, und das wird an allen politischen Feldern deutlich -, wie riesig der Unterschied zwischen diesen beiden Parteien ist und dass deswegen es gar keine Koalition geben kann, 2009. Über die ewige Zukunft kann keiner reden.

    Klein: Ja, gut. Aber eben gerade deshalb: was spricht denn dagegen, das in einem Parteitagsbeschluß, in einem Manifest zu machen? Denn bisher gibt es nur den Hinweis darauf, wie unterschiedlich man ist, aber nicht das Bekenntnis: Es wird keine Koalition geben. Und eine solche Aussage ist ja vielleicht auch am beginnenden Wahlkampf nicht ganz unwichtig für die Wähler.

    Thierse: Ja. Ich habe doch gerade gesagt: Die Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Ich bin an dieser Stelle ganz unaufgeregt. Wenn man das richtige durch Wiederholung richtiger machen kann, meinetwegen. Ich sage nur, die SPD sollte zugleich auch selbstbewusst sein, sich weder durch die anderen Parteien, noch durch die Öffentlichkeit immer wieder in die Defensive jagen zu lassen. Und immerfort verlangt man von der SPD, heilige Eide zu schwören.

    Es geht übrigens bei der Bundesversammlung ja überhaupt nicht um eine Koalition, sondern es geht um eine personelle Alternative, wenn Sie so wollen um eine absolut demokratische Normalität. Wahl findet erst dann statt, wenn es mindestens zwei Kandidaten gibt. Und dass die SPD eine wunderbare Kandidatin jetzt wieder vorgeschlagen hat, das denke ich ist doch gut. Das ist keine Koalitionsaussage. Dies hat feierlichst der Parteivorsitzende, hat die Führung der SPD gesagt. Wenn es denn irgendeinen guten Zweck tut, kann man das immerfort wiederholen. Aber es ändert an den Grundtatsachen ja nichts, an den inhaltlichen, tiefgehenden Differenzen zwischen den beiden Parteien.

    Klein: Die SPD muss ja nicht sich in die Defensive begeben. Sie kann ja auch offensiv werden und sagen, wir wissen es einfach noch nicht. Das wäre vielleicht klüger, als im Nachhinein nach der Wahl zu sagen: Tut uns leid, liebe Wähler, wir müssen ein Versprechen brechen.

    Thierse: Jetzt haben Sie die Frage sozusagen in ihr eigenes Gegenteil verkehrt. Eben haben Sie noch den heiligen Eid verlangt.

    Klein: Ich habe ihn nicht verlangt. Ich habe danach gefragt, ob es den geben soll oder nicht.

    Thierse: Wir sagen doch: Mit einer Partei, die die NATO ablehnt, die den Europavertrag ablehnt, die Sozialstaatsnationalismus betreibt, die wirtschaftspolitische Rezepte aus den 70er Jahren, wo der Nationalstaat noch funktionierte, pflegt, mit einer solchen Partei kann man nicht dieses Land regieren. Dies müssen wir inhaltlich immer wieder so sachlich und so selbstbewusst und so kämpferisch wie möglich den Bürgern erklären und vielleicht auch Journalisten erklären. Dann wird hoffentlich sichtbar, dass es nicht nur um heilige Eide geht, sondern dass die inhaltliche Differenz wichtig ist. Ich glaube, das ist am Schluss sogar viel glaubwürdiger.