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Die Unwetter-Katastrophe von gestern abend

11.07.2002
    Engels: Ich begrüße den ARD-Wetterexperten, Jörg Kachelmann. Guten Tag, Herr Kachelmann

    Kachelmann: Schönen guten Tag.

    Engels: Viele haben es ja gestern nach den Tagesthemen von Ihnen gehört. Sie haben eindrücklich vor dem Sturm gewarnt. Auch war anders als in früheren Fällen der deutsche Wetterdienst in diesem Fall alarmiert. Kann man das System der Warnungen vor solchen Stürmen trotzdem verbessern?

    Kachelmann: Das System ist sicher sehr unglücklich so wie es in Deutschland passiert, und ich werde immer jedes Mal, wenn ich von Toten bei Stürmen höre, ein bisschen wütend auch dabei, weil es jedes Mal nach dem gleichen Schema abläuft. In den USA gibt es ein zweistufiges System: dort gibt es einen Severe Thunderstorm Watch, das heißt man warnt grundsätzlich über einen längeren Zeitraum, dass etwas passieren könnte und dann gibt es lokal bezogen und auch zeitlich sehr eng begrenzt ein Severe Thunderstorm Warning, also eine echte Warnung. Und wir in Deutschland haben durch den staatlichen Wetterdienst, der eigentlich die Warnhoheit hat, nur eigentlich diese erste Stufe, das heißt, das was bei uns Unwetterwarnung genannt wird, wäre in den USA nur ein Watch. Und das ist genau das Problem, auch wenn der deutsche Wetterdienst bemerkt, dass eben ein solcher Orkan kommt. Wenn ab 13:00 Uhr andauernd im Radio gesendet wird - Unwetterwarnung, Unwetterwarnung -, und an einem Ort passiert fünf, sechs, sieben Stunden nichts, was ja auch normal ist, da es eine Weile dauert bis das Unwetter kommt, dann ist eben zu befürchten, dass viele Menschen diese Unwetterwarnung nicht ernst nehmen, und hier wäre es dringend notwendig, denn man kann das, man hätte gerade bei der gestrigen Lage - das haben wir beim Tagesthemenwetter, aber auch kurzfristig bewiesen - die Minuten runterzählen, wie dieses Unwetter angefangen hat von Nordfriesland bis nach Oberfranken. Das ist Stunde für Stunde sehr berechenbar mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 Kilometer pro Stunde nach Norden gewandert. Man konnte eigentlich die Minuten und Sekunden runterzählen bis das in Berlin angekommen ist. Es ist sehr bedauerlich, dass eben diese zweite Stufe, wie sie in den USA gehandhabt wird, nicht auch in Deutschland so angewendet wird. Und so kommt es leider zu solchen Dingen, wie es gestern wieder passiert ist.

    Engels: Das heißt aber, wenn ich Sie recht verstehe, dass solche Warnungen, wie es sie heute auch schon gibt, zum Beispiel für Regionen wie den Bodensee - da spricht man auf der einen Seite von der Schlechtwetterwarnung, dann aber auch richtig vor Sturmwarnungen, die dann auch die Anwohner dieser Region durchaus ernster nehmen - die Radiostationen beziehungsweise Fernsehstationen quasi selbst machen und nicht vom Wetterdienst kommt.

    Kachelmann: Wir nehmen heute notgedrungen zum Teil auch Warnsituationen eben wahr. Wie ich vorgestern Abend im Tagesthemenwetter auch schon gesagt habe: Bitte morgen nicht in den Wald gehen! Solche konkreten Verhaltensmaßregeln müssen im Idealfall auch durch den staatlichen Wetterdienst, der für Warnungen zuständig ist, und durch Behörden kommen. Man hätte gestern spätestens um 16:00 oder 17:00 Uhr sich einfach in allen Gebieten überlegen müssen: Wo fahren wir hin, so wie es in den USA gehandhabt wird? Wir müssen uns einmal darüber bewusst werden, dass diese Unwetter amerikanisches Ausmaß haben. Und auch das was in Deutschland verniedlichend Windhosen genannt werden, das sind waschechte Tornados, und nur weil sie in Deutschland Windhosen heißen, sind sie nicht ungefährlicher. Auch wenn das gestern keine Tornado-Situation war, aber bei dieser Windgeschwindigkeit - 152 Kilometer pro Stunde waren es am Wannensee, ausgerechnet dort, wo die Kinder gezeltet haben - müssen wir professionell damit umgehen. In Deutschland ist das Warnregime immer noch so, als hätten wir nur kleine Gewitterchen zu befürchten. Das ist sehr unprofessionell und das bedaure ich.

    Engels: Gucken wir noch kurz auf die Gesamtwetterlage: Haben wir denn in den nächsten Tagen weitere Stürme zu befürchten, und wie kommt es denn überhaupt, dass wir im Sommer so viele Stürme haben, die wir nun eigentlich eher in den Herbst verlegen würden?

    Kachelmann: Es war sicher eine ganz extreme Wetterlage. Das hat damit zu tun, dass sehr warme und sehr kalte Luft sehr eng beieinander waren. Gestern herrschten über dem Westen Deutschlands 12, 13 Grad. Gleichzeitig waren es noch in Guben an der Neiße 36 Grad, und das sind eben die amerikanischen Verhältnisse, wo eben die feuchtwarme Luft vom Golf von Mexiko mit der kalte Kontinentalluft von Kanada zusammenprallt, und wenn so etwas passiert, dann gibt es sehr berechenbare, sehr furchtbare Unwetter. Diese Luftmassengrenze ist jetzt weggeräumt, das heißt, wir werden zwar in den nächsten Tagen einzelne Schauer und Gewitter erleben, aber das werden sozusagen die normalen sein. Also, für die nächsten Tage ist die furchtbare Unwettergefahr, so wie wir es gestern Abend erlebt haben, gebannt.

    Engels: Vielen Dank, Jörg Kachelmann.

    Link: Interview als RealAudio