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Die USA und ihre kurdischen Verbündeten

Heinlein: Die gestern im irakischen Kurdengebiet gelandeten US-amerikanischen Fallschirmspringer bemühen sich offenbar um den Aufbau eines soliden Brückenkopfes. Transportmaschinen brachten schweres Kriegsgerät in die Region um die Stadt Arbil. Am Telefon begrüße ich nun Heiner Fürtig vom deutschen Orient-Institut in Hamburg. Guten Tag, Herr Fürtig. Fürtig: Guten Tag!

    Heinlein: Ist die Koalition aus kurdischen Kämpfern, also die Peschmerga und die US-Soldaten, aus Ihrer Sicht, aus Sicht des Wissenschaftlers eine Koalition, die funktionieren wird?

    Fürtig: Nun, die Konstellationen haben sich geändert. Die Kurden haben ja auch in der Vergangenheit sehr oft auf die amerikanische Karte gesetzt, sind dabei ins Hintertreffen geraten und sind offensichtlich auch verraten worden, zumindest in ihren Hoffnungen auf die Amerikaner 1975. Das liegt schon eine Weile zurück. Da war der Schar noch an der Macht. Das geschah aber auch vor allen Dingen 1991, als sie im März, genauso wie die Schiiten zum Aufstand ermuntert wurden, um dann im Stich gelassen zu werden. Also die Kurden hatten ein gerütteltes Maß an Misstrauen. Aber sie sind sich jetzt darüber im klaren, dass die Amerikaner ernst machen werden. Sie werden aus Sicht der Kurden bis zum Sturz Saddam Husseins gehen. In diesem Sinne wird sich auch das kurdisch-amerikanische Verhältnis an diesem Ziel ausrichten.

    Heinlein: Was erhoffen sich denn die Kurden von diesem Krieg und dieser Kooperation mit den Amerikanern?

    Fürtig: Sie erhoffen sich auf jeden Fall ein Ende des Regimes Saddam Husseins und damit zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Chance, tatsächlich im Irak ein Mitspracherecht zu gewinnen. Es geht im Grunde genommen, das haben auch die Konferenzen der irakischen Opposition seit Dezember vergangenen Jahres gezeigt, um eine Neuordnung des Irak hin zu einem föderativen Staat, der zwei Staatsvölker kennt. Dazu gehören die Araber und Kurden. Sie wollen eine proportionale Repräsentanz der Kurden in den zentralen Regierungsgremien und natürlich ein hohes Maß an Autonomie in den kurdischen Siedlungsgebieten.

    Heinlein: Geht es denn tatsächlich nur um dieses Mitspracherecht oder gibt es noch den Traum von dem eigenen kurdischen Staat?

    Fürtig: Ob es diesen Traum gibt, da kann man nur mutmaßen. Die beiden großen kurdischen Parteien und vor allen Dingen ihre Führer sind sehr deutlich darin kundzutun, dass sie den kurdischen Staat nicht als unabhängigen Staat sehen. Sondern sie sind mit einem hohen Maß an Autonomierechten und einer demokratischen Verfasstheit des Territorialstaates Irak zufrieden.

    Heinlein: Die Kurden, wir wissen es, leben ja nicht nur im Irak, sondern auch in den angrenzenden Ländern, vor allem in der Türkei. Welche Rolle spielt den Ankara in diesem Zusammenhang?

    Fürtig: Natürlich ist ganz klar, dass die türkische Regierung mit großen Interesse auf die Entwicklungen im Nordirak sieht. Es gibt ja auch einen sogenannten Sicherheitskorridor auf irakischem Territorium. Die Türken stehen ja im Prinzip jetzt schon etwa 20 km in der Tiefe des irakischen Territoriums, um Flüchtlingsbewegungen zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen. Dass sie sich bisher nicht weiterbewegen, hängt mit extremem amerikanischem Druck zusammen, sich nicht in die Kämpfe einzumischen, abseits zu bleiben, um vor allen Dingen, Sie hatten es ja gerade angesprochen, das noch fragile Bündnisverhältnis zwischen den USA und den Kurden nicht zu gefährden.

    Heinlein: Was könnte denn diese Koalition gefährden? Welche Entwicklung wäre für die Amerikaner und ihre Pläne gefährlich?

    Fürtig: Wenn die Türken einmarschieren, wenn die Türken vor allen Dingen auf Kirkuk marschieren, praktisch dem Zankapfel aller, denn auch eine kurdische Autonomie wäre ohne das Erdölgebiet von Kirkuk nicht denkbar, dann wäre natürlich dieses amerikanisch-kurdische Verhältnis in höchstem Maße gefährdet. Denn dann müsste sich entscheiden, wie sich NATO-Partner USA zu NATO-Partner Türkei stellt und ob die Kurden ein weiteres Mal als Korn zwischen den Mühlsteinen sind.

    Heinlein: Einhunderttausend Mann, so lesen wir es, können die kurdischen Kämpfer bereit stellen. Sie sind schlecht ausgerüstet, so heißt es. Wie schlagkräftig ist denn diese kurdische Widerstandsbewegung? Was wissen Sie darüber?

    Fürtig: Nun, die Kurden sind in aller erster Linie hoch motiviert. Dann muss man auf jeden Fall zu ihrer militärischen Stärke anrechnen. Sie sind im Regelfall nur leicht bewaffnet. Sie zeichnet eine hervorragende Ortskenntnis und Erfahrung im Guerillakampf aus. Damit habe ich natürlich auch gesagt, was ihre Schwächen sind. Sie werden nicht für weiträumige Angriffsbewegungen gegen eine gut ausgerüstete irakische Armee einsetzbar sein, vor allen Dingen nicht gegen gut ausgerüstete republikanische Garden. Die Kurden mussten bisher vor allen Dingen ihre Fähigkeit beweisen, sich in den Bergen durchzusetzen und sich Angriffen der irakischen Armee zu widersetzen. Aber sie mussten nicht selber angreifen. Sie sind eigentlich nur im Zusammenwirken mit amerikanischen Einheiten wirklich als militärische Kraft, als militärische Stärke wahrzunehmen.

    Heinlein: Sind denn Racheaktionen der Kurden an den Schiiten zu befürchten, wenn sie denn diese Gebiete erobern?

    Fürtig: Rachen an den Schiiten ist sicher nicht zu befürchten. Wenn sich alle Zeichen bisher verdichten, dass es doch eine relativ enge Zusammenarbeit innerhalb der diversen Oppositionsgruppen gibt, dann muss man sagen, die Schiiten und die Kurden haben zur Zeit beide ein gemeinsames Interesse am Sturz Saddam Husseins.

    Heinlein: Es geht um die Sunniten, Sie haben recht!

    Fürtig: Sie meinen die Sunniten. Da muss ich sagen, die direkte Rache an den Sunniten in der zentralen Provinz Iraks, also um Bagdad herum, sehe ich in diesem ganz konkreten Falle nicht. Ich könnte mir eher vorstellen, dass die kurdischen Bewohner vor allen Dingen um Kirkuk, natürlich dann zumindest die Chance wahrnehmen könnten, sich an den arabischen Siedlern in Kirkuk zu rächen beziehungsweise diese ihrerseits wieder zu vertreiben, wenn es denn soweit kommt, dass ein erbitterter Verteilungskampf einsetzt. In Kirkuk hat ja durch Saddam Hussein ein ganz groß angelegtes Umsiedlungsprogramm eingesetzt, um die Kurden aus Kirkuk zu vertreiben und die leeren Wohnviertel mit arabisch stämmigen Bewohnern zu bevölkern. Also ich glaube, das wird eher ein Problem in kurdischen Siedlungsgebieten und nicht so sehr ein Problem in Bagdad. Vielen Dank, Herr Fürtig!

    Link: Interview als RealAudio