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Die Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit

    Durak: "Das Problem mit den gefälschten oder nicht korrekten Vermittlungsdaten sei eigentlich ein Interpretationsproblem, nämlich wie Vermittlung überhaupt zu definieren sei", meint einer unserer Wirtschaftswissenschaftler, der uns als Mitglied des Sachverständigenrates, als einer der fünf Weisen in Erinnerung ist, Wolfgang Franz. Er ist heute Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, und er nimmt in der besprochenen Sache die Arbeitsämter in Schutz. Ich habe mit ihm darüber gesprochen und zunächst gefragt, was er denn mit Interpretation meint.

    Franz: Man muss zwei Dinge bei der Diskussion auseinanderhalten: zum einen geht es natürlich um vorsätzliche Manipulation der Statistik seitens einiger Arbeitsvermittler, um da Vermittlungserfolge vorzutäuschen. Das muss selbstverständlich geahndet werden, und da müssen Vorkehrungen getroffen werden, um das zu verhindern. Das Zweite ist der genannte Interpretationsspielraum. Ich mache mal ein Beispiel: auf der einen Seite ist ein Arbeitsloser, der eine offene Stelle, die beim Arbeitsamt gemeldet ist, durch Vermittlung des Arbeitsamtes erhält. Das ist ganz klar ein Vermittlungserfolg des Arbeitsamtes. Jetzt haben wir einen zweiten Fall: ein Arbeitsloser erhält vom Arbeitsamt einen Kurs über - sagen wir -, wie bewerbe ich mich richtig, oder eine Umschulungsmaßnahme. Er findet darauf hin auf eigene Initiative hin einen Arbeitsplatz. Nun wird man ja kaum sagen können, dass das Arbeitsamt den Erfolg für sich alleine verbuchen kann. Auf der anderen Seite wird man auch nicht sagen können, das Arbeitsamt hat überhaupt keinen Anteil an dem Erfolg, das heißt die Wahrheit liegt da irgendwo in der Mitte, und ich nehme an, dass das auch der Dissens zwischen der Bundesanstalt und dem Bundesrechnungshof ist: Was genau heißt nun Vermittlung?

    Durak: Nun ist es aber so, dass falsche Daten - und insofern wären es ja falsche Daten, wenn die Bundesanstalt sich die Erfolge der Arbeitsuchenden sozusagen selbst ans Revier heftet - die Politik auf eine falsche Fährte führen, nicht wahr?

    Franz: Selbstverständlich, und es war auch eigentlich schon vorher bekannt, dass diese Vermittlungsstatistik einen weiten Interpretationsspielraum enthält, aber man muss natürlich auch fairerweise gegenüber den Arbeitsämtern sagen, wenn sie eingeschaltet sind, sich um die Arbeitslosen gekümmert haben, und die Arbeitslosen aufgrund von Eigeninitiative- was sie ja tun sollen, wir wollen sie ja fordern und fördern - einen Arbeitsplatz gefunden haben, dann zu sagen, das Arbeitsamt ist überhaupt nicht daran beteiligt, halte ich dann auch für überzogen.

    Durak: Fordern und fördern, das ist ja auch Teil des neuen Job-Aktiv-Gesetzes, mit dem die Bundesregierung hausieren geht. Unterdessen dürfte da aber ein gewaltiger Vertrauensverlust zu verzeichnen sein. Halten Sie dieses Gesetz jetzt noch für so durchführbar wie ursprünglich geplant, nachdem was wir jetzt gehört haben?

    Franz: Also was die Intention des Forderns und Förderns anbelangt, halte ich das Job-Aktiv-Gesetz immer noch für richtig. Ich bin sehr viel skeptischer, wenn es um die Ausweitung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geht. Da würde ich zunächst eine Überprüfung vorschlagen, welche Maßnahmen denn für welche Problemgruppen besonders effektiv sind. Aber was dieses Fordern und Fördern angeht, so haben andere Länder, beispielsweise Dänemark und Großbritannien, sehr gute Erfahrung damit gemacht, dass man also mit dem Arbeitslosen seitens des Arbeitsvermittlers quasi einen Vertrag abschließt, wo die Rechte und Pflichten beiderseitig festgelegt sind. Der Arbeitsvermittler besorgt dem Arbeitslosen Hilfen in Form von Umschulung, gegebenenfalls Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kursen. Auf der anderen Seite muss sich der Arbeitslose verpflichten, diese Hilfen anzunehmen. Er muss sich auch zu einer Eigeninitiative verpflichten, und - wie gesagt - damit haben andere Länder gute Erfahrungen gemacht. Insofern stimmt die Richtung des Job-Aktiv-Gesetzes.

    Durak: Zu den zahlreichen Vorschlägen und Überlegungen nach diesem Skandal, nach der Affäre, gehört eines: Die Arbeitsvermittlung soll besser organisiert werden. Was halten Sie davon, noch mehr zu privatisieren, als es jetzt schon vorhanden ist?

    Franz: Ich bin mir da nicht so sicher, ob das so viel hilft, denn wir haben private Arbeitsvermittler seit Mitte der 90er Jahre, und jedem Unternehmen steht es frei, sich an einen privaten Arbeitsvermittler zu wenden - viele Unternehmen nehmen auch das Arbeitsamt gar nicht in Anspruch. Man muss aber auch bedenken, wenn es um Vorwürfe an die Arbeitsämter geht - ohne sie nun übermäßig in Schutz nehmen zu wollen -, welche Leute bei den Arbeitsämtern als Arbeitslose vorsprechen. Da haben wir die Erfahrung - wie die Statistik nun lehrt -, dass knapp die Hälfte aller Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, dass ein Gutteil der Arbeitslosen entweder gesundheitliche Einschränkungen oder ein fortgeschrittenes Alter haben, das heißt hier wird es für die Arbeitsvermittler dann schwer, Arbeitsplätze zu vermitteln, wenn gleichzeitig - und natürlich zurecht - die Unternehmen hochqualifizierte Mitarbeiter fordern, das heißt wir haben Probleme bei dem Zusammenspiel zwischen Arbeitslosen und offenen Stellen, sofern sie überhaupt dem Arbeitsamt gemeldet werden. Ich halte es dann schon für etwas überzogen, wenn man den Arbeitsämtern vorwirft, sie würden nicht genug auf offene Stellen vermitteln, wenn sie überhaupt nicht wissen, dass Unternehmen freie Arbeitsplätze haben. Ich will ja nicht fordern, dass alle Unternehmen ihre offenen Stellen dem Arbeitsamt melden müssen, aber auf der anderen Seite sollte man dann so fair sein und vom Arbeitsamt nicht verlangen, dass sie Arbeitslose auf offene Stellen vermitteln, von denen sie überhaupt nichts wissen.

    Durak: Das heißt freier Wettbewerb in Sachen Arbeitsvermittlung kann sozusagen bei uns gar nicht stattfinden, weil wir mit der Bundesanstalt für Arbeit und den Landesarbeitsämtern so etwas wie hoheitliche Rechte wahrnehmen?

    Franz: Nicht ganz, denn - wie gesagt - wir haben seit Mitte der 90er Jahre private Arbeitsvermittler, die auch gute Arbeit leisten. Das Einzige, woran man denken könnte, ist eben die Kostenfrage, ob man es früher als bisher den Arbeitslosen gestattet, auch zu den Arbeitsvermittlern zu gehen, und das Unternehmen dann die Kosten trägt. Das ist ja eine Kostenfrage. Wir können es vermutlich nicht bezahlen, dass jeder Arbeitslose zusätzlich zum Arbeitsamt sofort drei oder vier private Arbeitsvermittler anspricht. Das muss geregelt werden, aber da sieht das Job-Aktiv-Gesetz ja auch vor, dass, wenn das Arbeitsamt nach einer bestimmten Frist nicht erfolgreich ist, dann der Arbeitslose einen privaten Arbeitsvermittler ansprechen kann.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio