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"Die Verschiebung ist in der jetzigen Situation der Kapitalmärkte notwendig"

Christian Kirchner, Wirtschaftsjurist an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied des Bahnbeirats, hält die Entscheidung, den Bahn-Börsengang zu verschieben, angesichts der Finanzkrise für richtig. Was die Bahn vor allem brauche, sei frisches Kapital. In der jetzigen Börsensituation hätte man das Unternehmen aber nur weit unter Wert veräußern können.

Christian Kirchner im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn ist gestern verschoben worden. Frage: Geht nun ein Aufatmen durchs Land bei denen, die entweder sowieso dagegen sind, oder bei denen, die befürchten, die Aktien würden verschleudert in der Finanzkrise? - Wir haben jetzt mit Professor Christian Kirchner einen Mann am Telefon, der sich der allgemeinen Freude wahrscheinlich nicht so recht anschließen mag. Er gehört zum so genannten Bahnbeirat. Das ist ein Expertengremium, das die Deutsche Bahn berät und auch kritisiert. Darauf legen die Mitglieder wert. - Guten Morgen, Herr Kirchner.

    Christian Kirchner: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Was haben Sie denn zu kritisieren an der Deutschen Bahn?

    Kirchner: Was ich zu kritisieren habe ist die Art und Weise, wie in der Öffentlichkeit die Bahnprivatisierung vermittelt wird. Es geht um einen ganz einfachen Vorgang, dass ein Staatskonzern privatisiert wird, damit voll dem Wettbewerb ausgesetzt wird und am Kapitalmarkt Zugang zu frischem Kapital bekommt. Das ist zurzeit notwendig, weil die europäischen Eisenbahnmärkte neu strukturiert werden, und wer dort mitspielen will, muss Geld in die Hand nehmen. Das ist ein ganz einfacher Vorgang.

    Durak: Und was ist falsch an der Vermittlung bisher gelaufen?

    Kirchner: Bisher hat man eher in der Diskussion das Gefühl, es geht um einen ideologischen Streit Staatsbahn gegen Kapitalismus. Das ist Unsinn! Es geht nicht um Kapitalismus. Es geht darum, dass private Investoren sich an einem ehemaligen Konzern beteiligen. Sehen Sie sich an, wie die Deutsche Telekom heute agiert, wie die Lufthansa agiert. Das sind alle Erfolgsstorys. Das soll im Bahnsektor auch laufen.

    Durak: Und inwiefern ist das eine Kritik am Bahnvorstand? Die haben das ja so auch nie behauptet.

    Kirchner: Die Darstellung in der Öffentlichkeit ist etwas unglücklich gelaufen, weil eine Polarisierung stattgefunden hat. Es wäre mir lieber gewesen, wenn man stärker die positiven Aspekte in den Vordergrund gestellt hätte.

    Durak: Da fällt mir auch ein Name ein, aber dazu später. Zunächst mal zur Verschiebung, Professor Kirchner. Ist die Verschiebung jetzt richtig?

    Kirchner: Die Verschiebung ist in der jetzigen Situation der Kapitalmärkte notwendig. Ich erinnerte gerade daran, dass ja frisches Kapital zugeführt werden soll. Dafür ist aber auch der Preis entscheidend, zu dem man die Anteile veräußern kann. Wenn man sie weit unter Wert veräußern müsste, was in der jetzigen Börsensituation wahrscheinlich der Fall wäre, würde man genau dieses Ziel nicht erreichen. Deshalb ist es notwendig, die Turbulenzen der Börsensituation, die zurzeit zu beobachten sind, abzuwarten, um in etwas ruhigeren Zeiten dann das entsprechende Paket platzieren zu können.

    Durak: Das ist doch aber keine Erkenntnis über Nacht, Professor Kirchner. Viele fragen sich, weshalb Bahnchef Mehdorn bis zuletzt im Grunde an der Teilprivatisierung festgehalten hat. Er soll ja noch in dieser Woche mit anderen Herren für den Börsengang in London, in Moskau geworben haben. Ziemlich teuere Dienstreisen eines uneinsichtigen Vorstands?

    Kirchner: Es ist sinnvoll, auch in der jetzigen Situation, selbst nach dieser Absage, weiterhin in Kontakt mit potentiellen Investoren zu stehen, denn eine Verschiebung heißt ja nicht ein Verzicht auf die Bahnprivatisierung, und es geht ja darum auszuloten, welche Investoren bereit sind, sich hier langfristig zu engagieren. Es geht ja um Investoren, die nicht einfach eine spekulative Anlage suchen, sondern die in ein sehr solides Unternehmen, in eine Wachstumsbranche investieren.

    Man muss auch sehen, dass die Transportbranche nicht gleichzusetzen ist mit dem verarbeitenden Gewerbe. Wir gehen davon aus, dass Wachstumsraten in der Transportbranche weiterlaufen und dass auch selbst bei einer schrumpfenden Weltwirtschaft durch die zunehmende Verflechtung die Transportbranche weiter gewinnen wird. Es geht also darum zu unterscheiden, einmal zwischen den Finanzmärkten und dann in der Realwirtschaft zwischen der Transportwirtschaft und anderen Zweigen.

    Durak: Man hatte immer wieder den Eindruck, Professor Kirchner, dass Bahnchef Mehdorn und die Herren um ihn herum blind sind für das, was da passiert in diesen Tagen. Es heißt auch, nicht er habe entschieden, sondern der Finanzminister mit kräftiger Unterstützung der Bundeskanzlerin habe entschieden, den Börsengang zunächst mal aufzuschieben. Herr Professor Kirchner, ich will aber noch woanders hin.

    Kirchner: Das ist aber eine Arbeitsteilung, die klar ist, weil der Bund zurzeit hundertprozentiger Eigentümer ist. Und die Entscheidung, ob der Gang an die Börse erfolgt, ist Frage des Eigentümers. Es ist Frage des Vorstandes der Bahn, diesen Börsengang gut vorzubereiten, und dafür sind die Gespräche mit den Investoren notwendig.

    Durak: Und er versteckt sich dann hinter der Bundesregierung. - Ich will das jetzt aber lassen, Professor Kirchner, und etwas anderes fragen. Jetzt fehlt ja der Bahn, es fehlt auch dem Bund Geld. Man hat ja mit einigem gerechnet - zum einen für den Bund, zum anderen für die Bahn, zum dritten Sanierung der Bahnhöfe und Verbesserung des Lärmschutzes. Ist es so ganz ausgeschlossen, Professor Kirchner, dass die Bahn demnächst wieder die Preise erhöht, um das dann fehlende Geld anderweitig reinzuholen?

    Kirchner: Ich sehe mögliche Preiserhöhungen der Bahn nicht in diesem Zusammenhang. Sie müssen von folgendem ausgehen, dass die Energiekosten überproportional gestiegen sind in der letzten Zeit. Und wenn Sie vergleichen, etwa den Verkehr auf der Straße und auf der Schiene, waren bisher die Preiserhöhungen auf der Schiene sehr moderat. Und Sie müssen natürlich auf die Kostenseite achten. Ich sehe nicht einen Zusammenhang zwischen der Bahnprivatisierung, diesen erhöhten Kosten und Erhöhungen der Preise.

    Durak: Dem Kunden ist das am Ende egal, was als Begründung tatsächlich geltend gemacht werden kann oder was vorgeschoben ist. Es ist beim Kunden der Eindruck entstanden - das hören wir ja immer wieder oder erleben es selbst -, die Bahn erhöht ständig die Preise und die Bürger zahlen einfach drauf für nicht wesentlich verbesserten Service beispielsweise.

    Kirchner: Das sehe ich etwas anders, weil die Kunden vergleichen zwischen verschiedenen Verkehrsträgern, und die Kunden haben festgestellt, dass der Verkehr auf der Straße sehr viel teuerer geworden ist. Wir haben sogar den Trend zurzeit, dass sehr viel mehr Kunden von der Straße auf die Schiene wechseln.

    Durak: Und die Schnapsidee mit der Gebühr am Schalter für Menschen, die dort ihre Karte kaufen?

    Kirchner: Das ist ein Beispiel einer ungeschickten Politik. Es wäre günstiger gewesen, bei einer allgemeinen Preiserhöhung sozusagen Preisreduktionen anzubieten für diejenigen, die etwa im Internet kaufen oder am Automaten kaufen, und nicht Preiserhöhungen für diejenigen, die am Schalter kaufen.

    Durak: Möglicherweise, Herr Kirchner, hat ja die Bahnführung nicht nur was die Teilprivatisierung angeht ein Vermittlungsproblem.

    Kirchner: Das habe ich jetzt nicht verstanden.

    Durak: Möglicherweise bezieht sich das Vermittlungsproblem bei den Bahnabsichten nicht nur auf den Börsengang, sondern auch auf all die anderen Dinge.

    Kirchner: Ich sehe das sehr differenziert. Es sind einige Kommunikationsfehler unterlaufen. Im Großen und Ganzen geht es aber um zwei getrennte Geschichten: einmal um die Frage, wie sich die Bahn im Wettbewerb zu anderen Verkehrsträgern verhält, und das war recht erfolgreich in der letzten Zeit, und zum anderen, wie auf europäischen Bahnmärkten die Weichen neu gestellt werden, und dazu ist es notwendig, Zugang zu frischem Kapital zu haben.

    Durak: Für wann halten Sie denn einen erneuten Anlauf zum Börsengang für möglich angesichts der Finanzkrise?

    Kirchner: Ich würde keine festen Termine setzen. Es hängt ganz von der Entwicklung der Kapitalmärkte ab. Das kann sich im nächsten Monat schon beruhigen; das kann auch im nächsten Frühjahr der Fall sein. Ich gehe davon aus, dass etwa Dezember, Januar ein Börsengang erfolgreich sein wird.

    Durak: 2008/2009 oder 2009/2010?

    Kirchner: 2008/2009.

    Durak: Das ist recht zeitig. - Danke schön! - Professor Christian Kirchner, Wirtschaftsjurist an der Humboldt-Universität in Berlin und Mitglied des Bahnbeirates. Danke fürs Gespräch.

    Kirchner: Vielen Dank, Frau Durak.

    Durak: Auf Wiederhören!