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Die völkerrechtlichen Konsequenzen eines möglichen Irak-Kriegs

    Spengler: Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen entschlossen zu sein, den Irak militärisch zu entwaffnen, ob nun mit oder ohne UNO-Mandat. Das aber dürfte enorme völkerrechtliche Folgen haben, und über sie wollen wir uns mit einem Experten unterhalten. Professor Alfred-Maurice de Sayas war 22 Jahre lang hoher UN-Beamter, zuletzt Sekretär des UNO-Menschenrechtssausschusses. Er ist Amerikaner. Er lehrt als Gastprofessor des Völkerrechts an verschiedenen Universitäten in Europa, Kanada und den USA. Er ist seit Jahrzehnten Mitglied der Republikanischen Partei, und er hat uns gesagt, er hat im Jahr 2000 George W. Bush gewählt. Zur Zeit lebt er in der Schweiz, und nun ist er bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr de Sayas.

    De Sayas: Guten Morgen.

    Spengler: Noch ist ja der Krieg nicht im Gang. Ist denn die aufgebaute Drohkulisse, also der Truppenaufmarsch von 200.000 Mann, womit ja Gewalt angedroht wird, mit dem Völkerrecht vereinbar?

    De Sayas: Nun, wie Sie wissen, ist der Zweck der Vereinten Nationen, den Frieden zu wahren. Dafür sind Mechanismen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten da. Hinzu kommt ein Gewaltverbot im Artikel 2 Absatz 4 der Charta. Wäre diese Drohkulisse vom Sicherheitsrat seinerseits in 1441 angeordnet worden, wäre die Mobilmachung der Vereinigten Staaten völkerrechtlich gedeckt. Das Problem ist nämlich, dass dieser Truppenaufmarsch der USA und Großbritanniens eben nicht gedeckt ist durch den Sicherheitsrat, und deshalb ist es ein Verstoß gegen das Verbot der Androhung von Gewalt, denn Artikel 2.4. verbietet sowohl die Anwendung als auch die Androhung von Gewalt.

    Spengler: Ist das denn nicht ein bisschen blauäugig? Wie soll man denn sonst Saddam Hussein dazu bekommen, die UNO-Resolution zu beachten?

    De Sayas: Ich glaube schon, dass die Vereinten Nationen in den letzten 12 Jahren eine ganze Menge im Irak erreicht haben. In der Tat ist eine Entwaffnung vom Irak weitgehend erfolgt in den ersten Jahren nach der Resolution 687 von 1991. Das Problem ist , dass Herr Bush die Fehler seines Vaters jetzt korrigieren möchte.

    Spengler: Wenn aber der UNO-Sicherheitsrat nun mehrheitlich beschließen würde, dass Saddam sich nicht an die UNO-Resolution gehalten hat und deswegen es nun ernst wird mit den schon angekündigten ernsthaften Konsequenzen, wäre dann ein Krieg gegen den Irak legitim?

    De Sayas: Nun, ich könnte mir das zunächst nicht vorstellen, weil im Moment die Mechanismen zur friedlichen Beilegung der Streitigkeiten funktionieren. Aber gesetzten Fall, dass eine Resolution möglich wäre, dann müsste man immerhin verlangen, dass das Völkerrecht, nämlich Haager Landkriegsordnung, Genfer Konventionen usw. beachtet werden, denn das Völkerrecht regelt selbstverständlich auch die Handlungen der UNO-Truppen, und die UNO muss sich genauso an das Völkerrecht halten wie alle anderen, das heißt also, eine Situation wie ein Guantanamo könnte sich nicht wieder ereignen, also die Kriegsgefangenen müssen als Kriegsgefangene behandelt werden. Aber mein Problem hier ist, dass die Vereinten Nationen sich in den eigenen Resolutionen gefangen halten, denn sie haben wohl eine ganz deutliche Resolution 3314 der Generalversammlung, die berühmte Definition der Aggression, und in dieser Situation könnte man sich kaum vorstellen, dass ein Angriff auf den Irak alles andere wäre als eine Aggression.

    Spengler: Aber die Bush-Administration spricht nicht von Aggression. Sie spricht von einer Prävention zur Verteidigung Amerikas.

    De Sayas: Aber das wird leider im Völkerrecht nicht gedeckt. Überhaupt Zweck der Organisation war es, Präventivkriege zu verhindern.

    Spengler: Wäre denn ein einseitiger Angriff der US-Streitkräfte ohne ein UNO-Mandat auf keinen Fall mit dem Völkerrecht zu vereinbaren?

    De Sayas: Auf keinen Fall. Es gäbe auch weitgehende Konsequenzen, auch die persönliche Haftung von Herrn Bush, Rumsfeld, Cheney usw.

    Spengler: Was soll das heißen, die persönliche Haftung?

    De Sayas: Die persönliche Haftung bezieht sich auf das Verbrechen gegen den Frieden, auf Artikel 5 des Statuts des neuen internationalen Strafrechttribunals, das eben auf die Nürnberger Prinzipien zurückgreift und ein Verbrechen gegen den Frieden etabliert.

    Spengler: Das neue Strafrechttribunal ist der neue internationale Strafgerichtshof. Da werden heute die ersten 18 Richter vereidigt. Dieser internationale Strafgerichtshof wird aber von den USA ja nicht anerkannt.

    De Sayas: Das ist richtig, aber von Großbritannien, von Frankreich, von den übrigen Staaten ja, und die Situation wäre durchaus vorstellbar, dass wenn Herr Bush oder Herr Rumsfeld, nachdem sie nicht mehr Immunität genießen, nachdem sie nicht mehr im Amt sind, sagen wir mal, der macht seinen Urlaub in Acapulco, Mexiko, dann kann er verhaftet und ausgeliefert werden.

    Spengler: Nach Den Haag?

    De Sayas: Genau.

    Spengler: Welche Folgen hätte denn ein Angriff der Amerikaner ohne UNO-Mandat für die UNO selbst, für die internationale Rechtsordnung?

    De Sayas: Natürlich ist es eine ernsthafte Sache. Es ist ein Angriff, der die Glaubwürdigkeit und die Effektivität der Organisation in Frage stellt. Allerdings hat die UNO eine Reihe anderer Krisen überwunden. Sie erinnern sich, Ungarn 1956, die Tschechoslowakei 1968, als der Warschauer Pakt eingefahren ist. Diese Situation war auch eine Verletzung des Völkerrechts und eine Missachtung der Kompetenz der Vereinten Nationen, genau so, als der Reagan seinerzeit in Grenada oder in Panama einmarschiert ist und den Noriega verhaftete, als er mit den Marines dort landete. Dies waren alles Verletzungen der Kompetenzen der Vereinten Nationen im Bereich der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten.

    Spengler: Das heißt, Sie gehen davon aus, auch wenn es eine Krise der UNO gibt, die UNO wird am Ende die Oberhand behalten?

    De Sayas: Ja, die UNO ist eine notwendige Sache, und sie wird bleiben. Also die ganze Welt mit Ausnahme der Vereinigten Staaten denkt, dass die Vereinten Nationen doch sehr nützlich sind. Ich als ehemaliger Beamter - 22 Jahre lang - bin überzeugt von der Aufgabe der Vereinten Nationen, und wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie natürlich erfinden.

    Spengler: Was raten Sie denn Ihrem Parteifreund Präsident Bush? Wie kommt er jetzt aus dieser Sackgasse heraus?

    De Sayas: Er könnte mal Einsicht zeigen, und die Welt würde es begrüßen. Also er kann den Erfolg der Waffeninspektoren und die Entwaffnung Saddams auf sein Konto buchen, wenn er will. Ein guter Politiker muss natürlich flexibel bleiben. Das Problem ist, dass Herr Bush kein Staatsmann ist. Er hat sich verrannt, das ist völlig klar. Aber die Deutschen können auch gewissermaßen ein Liedchen darüber singen. Jedenfalls bin ich der Auffassung, dass er seine Mannschaft ändern muss. Also die Condoleeza Rice und der Rumsfeld haben Amerika weiß Gott nicht gut gedient, und ich glaube, diese Personen sollten von der Administration entfernt werden, so oder so.

    Spengler: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio