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Die Vorbereitungen der Hilfsorganisationen

    Remme: Angesichts humanitärer Krisen und großer Flüchtlingsströme als Begleiterscheinung eines Krieges wie dem im Irak heißt es binnen Tagen nach Kriegsausbruch ganz schnell: Wo sind die Flüchtlingshilfsorganisationen? Diesmal ist das alles anders. Gestern sagte sichtlich zufrieden eine Mitarbeiterin der Deutschen Welthungerhilfe: Diesmal heißt es angesichts leerstehender Zelte: Wo sind die Flüchtlinge? Ich bin jetzt am Telefon mit Elias Bierdel, dem Vorsitzenden der Hilfsorganisation Cap Anamur, verbunden. Er ist im Krisengebiet. Herr Bierdel, guten Morgen.

    Bierdel: Guten Morgen nach Köln.

    Remme: Wo sind Sie genau und können Sie diesen Eindruck bestätigen?

    Bierdel: Ich bin hier in Rowajshid Das ist sozusagen mitten in der Wüste zwischen Jordanien und dem Irak, die letzte Stadt, das letzte Wüstenkaff vor der Grenze in einem militärischen Speergebiet, das weiträumig abgeriegelt ist. Hier entstehen zwei große Flüchtlingslager mit Kapazitäten von 6.000 und 10.000 Plätzen und dort hat Cap Anamur eine kleine Krankenstation errichtet. Auf Bitten der jordanischen Regierung unterstützen wir hier ein staatliches Krankenhaus für den Fall der Fälle, für den Fall nämlich, dass tatsächlich hier sehr schnell tausende oder gar zehntausende verzweifelte Menschen aus dem Irak herüberströmen sollten. Bisher ist das nicht der Fall. Was tun wir also? Wir halten hier etwas vor, von dem wir uns ja ebenfalls selbst inständig wünschen, dass es nicht dazu kommt.

    Remme: Dass diese Flüchtlinge nicht kommen, wie erklären Sie sich das? Ist das eine Fehleinschätzung oder ist es schlicht noch zu früh in dieser Phase des Konflikts?

    Bierdel: Wir hängen ja bei allem, was jetzt humanitäre Folgen und die Abschätzung der Konsequenzen dieses Krieges anbetrifft, davon ab, welche Szenarien die Militärs jeweils wählen, für welche Art der Angriffe sie sich entscheiden, ob sie tatsächlich großflächig auch die Städte angreifen, was ja immer wieder auch mal angekündigt worden ist. Dann ist die große Frage: Welche Verkehrswege stehen im Augenblick offen? Welche Brücken sind zum Beispiel zerstört, wo Kampfhandlungen sind? Wir wissen, dass die Menschen natürlich immer solche aktiven Kampfzonen zu umgehen versuchen, oder sie fliehen dann vor der Front. All dieses sind Unwägbarkeiten, und es war, wenn wir uns an den letzten Golf-Krieg erinnern, auch da so, dass damals allein nach Jordanien viele hunderttausend, über eine Millionen Flüchtlinge in dieses kleine und arme Land geströmt. Es war auch da so, dass der große Flüchtlingsstrom erst Monate nach Kriegsbeginn hier eingesetzt hat. Im Augenblick ist dies also noch ein Tröpfeln, wenn sie so wollen. Es sind vor allen Dingen Fremdarbeiter, Drittlandbewohner, Gastarbeiter ägyptischer, sudanerischer, somalischer Herkunft aus dem Irak, die hier in einem Transitlager gehalten werden und dann so schnell wie möglich in ihre Heimatländer weitergegeben werden sollen.

    Remme: Was erzählen diese Leute, die gekommen sind?

    Bierdel: Nun, sie sind natürlich vor allen Dingen aus Angst geflohen. Sie haben oft keine richtigen Informationen über das, was sich vollzieht, gehabt. Sie sind sehr, sehr einfache Menschen, die sehr, sehr arm sind. Im Irak heutzutage unter den Bedingungen des Embargos und der schrecklichen Verarmung dieses einstmals reichen Landes als Gastarbeiter zu leben - Sie können sich ungefähr vorstellen, auf welcher sozialen Stufe diese Menschen sich befinden, und wenn ein Schicksal als Gastarbeiter im Irak, selbst unter diesen Konditionen, für sie noch als wünschenswert dasteht, dann können Sie sich ebenfalls denken, wie es in den Heimatländern dieser Menschen aussieht. Sehr, sehr einfache Menschen, ohne richtige Kommunikation, ohne Informationen, die völlig verschreckt und verängstigt hier sind, aber dann dennoch sagen: Wir wollen lieber hier ausharren und abwarten, und dann wieder in den Irak zurückgehen - immer noch besser als nach Hause zurückzugehen.

    Remme: Sie haben eben gesagt, dass Cap Anamur eine Krankenstation aufbaut als Teil eines - so habe ich es verstanden - größeren Flüchtlingslagers. Heißt das, die Hilfsorganisationen arbeiten da Hand in Hand?

    Bierdel: Ja selbstverständlich tun sie das. Bitte verstehen Sie, dass wir hier natürlich in einer Situation sind, wo wir mit allem rechnen müssen. Das ist das Besondere an der Situation und auch humanitäre Hilfe lernt über die Zeit dazu und über dieses lange Hin und Her - kommt es zu diesem Krieg oder nicht? - und Bangen und Hoffen, zwischen dem wir auch hin- und hergeworfen waren, hat man sich natürlich darüber verständigt: Was kann man denn tun und was wäre sinnvoll? Wir haben dies vor allen Dingen mit den jordanischen Behörden abgestimmt, die uns darum gebeten haben, diese Krankenstation, die normalerweise nur wenige Patienten hier in der Woche versorgen muss - das sind LKW-Fahrer oder andere Wüstenbewohner -, so aufzuwerten, dass sie dazu in der Lage wäre, mit größeren Patientenzahlen umzugehen. Dann würde dieses kleine Krankenhaus quasi plötzlich Schwerpunktklinik für möglicherweise eine ganze Kleinstadt fungieren müssen. Das kann durchaus immer noch passieren. Wir wissen es nicht. Noch einmal: Wir bereiten etwas vor. Wir rechnen mit dem Schlimmsten, aber wir hoffen natürlich weiter, dass es dazu nicht kommen muss.

    Remme: Sie sind in Jordanien, Herr Bierdel, ein Land, das einen interessanten Widerspruch spiegelt, nämlich zum einen eine traditionell amerikafreundliche Führung und dann eine Bevölkerung, die sich durchaus kritisch äußert, was diesen Krieg angeht. Erleben Sie diesen Widerspruch?

    Bierdel: Die Spannungen hier in Jordanien nehmen zu. Das kann man von Tag zu Tag feststellen. Es ist dieses ja ein kleines, armes Land, politisch sehr instabil. Die Bevölkerung hier in Jordanien mit etwas über 4 Millionen Einwohnern besteht wahrscheinlich weit über die Hälfte aus Menschen palästinensischer Herkunft - selbst Flüchtlinge in ihrem Selbstverständnis, wenn man so will. Das hat schon einmal 1970 fast zum Kippen dieses Staates hier geführt. Jetzt ist man sehr, sehr besorgt. Das Königshaus hier und auch die Regierung versuchen deshalb, alle Informationen von der Bevölkerung fern zu halten, die möglicherweise den Ärger hier weiter anstacheln könnten. Es gibt ein tiefes Gefühl der Verbundenheit mit den Brüdern im Irak, ein tiefes Gefühl der Ungerechtigkeit, die dieser ganzen Region hier, den Menschen seitens des Westens, vor allen Dingen seitens der Amerikaner, wiederfährt. Als nun in der vergangenen Woche erst die Regierung eingestehen musste, dass auch in Jordanien amerikanische Soldaten - 6000 wurden offiziell zugegeben - stationiert sind, da gab es ein merkliches Ansteigen dieser Wut und seit nun der Krieg dort drüben läuft mehren sich die Demonstrationen und auch die Zusammenstöße. Es soll im Süden des Landes vier Tote bei solchen Zusammenstößen gegeben haben. Das ist nirgendwo in der Presse erschienen, aber die Bevölkerung erzählt es überall. Das heißt, dieses ist eine sehr labile Situation und auch für die jordanische Regierung gefährlich.

    Remme: Vielen Dank. Das war Elias Bierdel, Vorsitzender der Hilfsorganisation Cap Anamur, live aus Jordanien von der Grenzregion zwischen Jordanien und dem Irak.

    Link: Interview als RealAudio