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Die Vorschläge Hessens zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

    Liminski: Vier Millionen - diese Zahl wird vermutlich zusammen mit der Irakdebatte die Diskussion für den Rest der Woche beherrschen. In der nächsten Woche wird dann die Hartz-Kommission ihre Vorschläge zur Eindämmung und Reduzierung der Arbeitslosigkeit vorliegen. Etliche Einzelheiten sind bereits bekannt und nahezu zerredet. Weniger bekannt ist, dass auch Hessen Vorschläge auf den Tisch der Politik gelegt hat, die denen der Hartz-Kommission ähneln. Darüber wollen wir nun sprechen mit Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen. Guten Morgen Herr Koch.

    Koch: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Herr Koch, es herrscht weitgehend Konsens unter den Arbeithabenden, mehr Druck auf die Arbeitslosen auszuüben. Auch das Hartz-Papier übt sich in dieser Disziplin, zum Beispiel bei der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes oder bei der Kürzung für den Fall, dass Hilfeempfänger eine angebotene Stelle nicht annehmen wollen. Ist das Sozialabbau oder Hinführung zum Arbeitsmarkt?

    Koch: Zunächst, Herr Liminski, ist ein Problem der Diskussion, die wir in diesen Tagen führen, dass immer alles durcheinander geht. Alle, die mit Hartz jetzt diskutieren oder ähnliche Vorschläge, über die wir sprechen, ersetzen nicht eine vernünftige Wirtschaftspolitik in Deutschland. Das, was wir heute morgen dann wieder an Arbeitslosenzahlen bekommen, ist ein Versagen der nationalen Politik, Wirtschaftswachstum zu schaffen und Menschen dazu zu bringen, unternehmerisch tätig zu sein. Und keine Hartz-Kommission der Welt und keine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird das Problem lösen. Aber es gibt auch eine zweite Aufgabe. Diejenigen, die nun mal in Beschäftigungslosigkeit gekommen sind, sollen sobald wie möglich und so schnell wie möglich an Arbeitsplätze zurückgeführt werden. Das machen zur Zeit zwei Behörden, völlig unabhängig voneinander mit oft gegenteiligen Strategien und unterschiedlichen Finanzierungskonzepten. Das muss man in eine Hand legen, und da muss man über Zumutbarkeit, aber da muss man vor allen Dingen über Fördern reden. Fördern ist die Voraussetzung dafür, dass man später etwas von Menschen fordern kann. Beides wird in Deutschland nicht ausreichend gemacht. Die hessischen Vorschläge sind ein Jahr alt, wir haben Herrn Hartz dafür nicht gebraucht. Sie könnten schon längst Gesetz sein. Der Bundesrat hat dieses Gesetz, das Offensivgesetz heißt, auch mit Mehrheit beschlossen. Die rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag hat es vor drei Wochen abgelehnt, nicht passieren lassen. Deshalb, wenn wir jetzt über theoretische Dinge reden, dann ist das Verweigerung von Dingen, die man schon längst in praktische Politik zugunsten von arbeitssuchenden Menschen in Deutschland umsetzen könnte.

    Liminski: Sprechen wir konkret über Ihren Sonderweg, bei dem Sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenlegen und die Empfänger dieser Hilfen in Jobcentern beraten wollen. Wo ist denn das neue oder andere im Vergleich zum Hartz-Papier?

    Koch: Hartz schreibt das Offensivgesetz weitgehend ab. Also, ich bin nicht so vermessen, eine Diskussion zu führen, wer was erfunden hat. Mit der Hartz-Kommission gibt es in diesem Einzelpunkt keinen Dissens, der da heißt, es ist ein grober Unfug ist, zwei Ebenen von Institutionen sich mit dem gleichen Problem beschäftigen zu lassen. Zur Zeit wird das Problem nicht befriedigend gelöst, insbesondere bei der Hilfe. Und wir brauchen neue Zumutbarkeitskriterien, die für Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose gleich sind – und nicht, wie im Augenblick, unterschiedlich. Diesen Teil kann man machen. Wie gesagt, da kann die Hartz-Kommission nichts Neues mehr erfinden, das gibt es schon alles als Gesetzestext, das muss man nur in Kraft setzen. Edmund Stoiber hat deutlich gesagt: Unmittelbar nach der Bundestagswahl wird eine CDU/CSU/FDP-Mehrheit das, was im Bundesrat beschlossen worden ist, auch im Bundestag zu einer Mehrheit verhelfen. Und dann kann man das tun. Das Problem der Hartz-Kommission ist die Neigung, jeden Tag ein neues wahlkampforientiertes Kaninchen aus dem Topf zu ziehen, um ein bisschen der Bundesregierung zu helfen. Damit wird die Aufgabe sicher für eine solche Kommission nicht leichter.

    Liminski: Hartz oder Hessen – die Zumutbarkeitsregeln sollen insgesamt verschärft werden. Halten Sie Deutschland für ein Land, wo das besonders nötig, vielleicht auch besonders schwierig ist?

    Koch: Ja, sicherlich ist es ein Land, in dem es deshalb besonders nötig ist, weil wir inzwischen eine Situation haben, in der oft die bequeme Ausrede "es gibt doch gar keine Arbeit für mich" kommen kann. Das heißt, wir begegnen immer wieder der gleichen Situation. Jede vernünftige Vermittlung müsste da ansetzen, vom ersten Arbeitsmarkt zu leben und nur im Notfall einen zweiten Arbeitsmarkt zu schaffen und nur im darüber hinaus gehenden Notfall Beschäftigungsprogramme durch Ausbildung zu ersetzen oder gemeinnützige Arbeit anzubieten. Wir werden immer öfter in diese Situation gedrängt, mit der zweiten, dritten und vierten Stufe zu denken, weil es eben auf dem ersten Arbeitsmarkt in vielen Regionen der Bundesrepublik nicht genügend oder nicht eine entsprechende Nachfrage gibt. Und deshalb wird man immer wieder zu dem Kernproblem zurückkehren. Dass dann alleine Druck nicht reicht und dass dann auch gefordert ist, dass die Arbeitsplatzbesitzenden etwas dazu tun, das heißt die Verantwortlichkeit der Tarifvertragsparteien, Tarifverträge zu machen, mit denen die Betriebe leben können, mit denen sie flexibel sein können, Bündnisse in Betrieben zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung, auch wenn es der Gewerkschaftsführung nicht passt – das sind sicherlich Dinge, die in Zukunft unabdingbar notwendig sind. Sonst ist alles Gerede über Druck und anderes Unsinn.

    Liminski: Herr Koch, auch Ihre Vorschläge auf Ihrem Sonderweg drehen sich im Kern um Vermittlung und nicht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Geht es denn ohne neue Investitionen?

    Koch: Das, was dem Bundeskanzler vorzuwerfen ist, ist ja, dass er mit dem Namen ‚Hartz‘ und der Hartz-Kommission den Eindruck erweckt, er bekämpfe Arbeitslosigkeit. Das haben die Hessen nie gesagt. Wir können die Menschen, die bedauerlicherweise arbeitslos geworden sind, besser betreuen, ihnen besser helfen, wenn wir die rechtlichen Regeln dafür ändern. Das ist auch notwendig. Aber an der Kernfrage ändert es nichts. Eine Bundesregierung, die eine so katastrophale Steuerreform gemacht hat, dass heute die Gemeinden und die Länder pleite sind und keine Investitionen mehr vornehmen können, die schafft halt keine Arbeitsplätze, sondern die vernichtet welche. Ein Land wie Deutschland, das im Augenblick so lange auf Platz 15 des Wachstums der 15 europäischen Länder liegt – das ist kein Anziehungspunkt für neue Investitionen und da schafft kein Mensch zusätzliche Arbeit. Und wenn man das nicht macht, brauchen man immer größere Arbeitslosenverwaltungsprogramme, wie wir heute wieder sehen. Das Problem muss anders gelöst werden.

    Liminski: Was halten Sie denn von der Idee der Hartz-Kommission, mit einer Anleihe von 150 Milliarden Euro vor allem in Ostdeutschland 1 Million neue Jobs zu schaffen? Das wäre doch ein Investitionsprogramm?

    Koch: Diese Idee der Anleihe ist, denke ich, ein solches Kaninchen, das immer nur in Wahlkampfzeiten auftauchen kann. Die Hartz-Kommission wäre gut beraten gewesen, ihren Bericht Anfang Oktober einer neuen Bundesregierung zu geben und jetzt nicht solch eine Öffentlichkeitsshow zu veranstalten. Der Gedanke, dass jemand einen Kredit bekommt, weil er einen Arbeitnehmer einstellt und nicht die erste Frage ist, ob er ein Unternehmen gründet, mit dem man auf Dauer Erträge haben kann und etwas auf dem Markt verkaufen kann, ist schon prinzipiell falsch. Wir haben doch in Ostdeutschland im Moment nicht zu wenig Programme, in denen Subventionen gezahlt werden, sondern wir haben zu wenig erfolgreiche Unternehmen. Für die muss man die Randbedingungen verändern, und dazu trägt das überhaupt nichts bei. Im Übrigen sind die Summen phantastisch – 150 Milliarden, das ist so viel, wie der gesamte Solidarpakt Ost in vielen Jahren aus ganz Deutschland zahlen soll. Das ist ein Wahlkampfgeklingel, dass leider Gottes vieles andere, was man vernünftig besprechen könnte aus der Hartz-Kommission, auch kaputtmacht.

    Liminski: Nun gibt es in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Ideen – Schaffung eines Niedriglohnsektors, Arbeitszeit verkürzen, Vier-Tage-Woche, Überstundenabbau durch neue Stellen, moderate Tarifabschlüsse, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Es schwirrt an Vorschlägen zur Belebung des Arbeitsmarktes mit hauseigenen Mitteln. Aber reicht das? Brauchen wir nicht noch mehr, oder anders gefragt: Überrollt uns nicht auch die internationale Flaute?

    Koch: Wir werden nie ganz unabhängig sein von internationalen Entwicklungen, aber wir haben vom Bundeskanzler so lange gehört, dass Amerika der Grund ist, dass es uns in Deutschland so viel schlechter geht. Das müsste die Frage einmal auslösen, warum ein Land wie Großbritannien, das eine viel größere wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA hat, das dreifache und vierfache unseres Wirtschaftswachstums produziert. Also, die nationalen Elemente sind weitaus stark genug. Dass man durch richtige Politik viel mehr Wachstum in Deutschland haben kann, dass haben uns alle, zuletzt die Europäische Kommission, bestätigt. Einer der Kernpunkte dabei ist, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Das bedeutet schlicht, dass wir wieder Verhältnisse im Niedriglohnbereich, wie die 630-Mark-Jobs es früher waren, haben müssen, das bedeutet, dass wir Bündnisse für Beschäftigung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung begründen können müssen, das bedeutet, dass Leiharbeitsverhältnisse, die in den Niederlanden und anderen Ländern so erfolgreich sind, auch in Deutschland vernünftig etabliert werden müssen. Also, es gibt ganz konkrete Maßnahmen, mit denen man das verändern kann. Und die müssen endlich angegangen werden, und die sind bei den Sozialdemokraten weitestgehend ideologisch versperrt und deshalb in den letzten Jahren nicht geschaffen, ja manchmal sogar eher abgeschafft worden.

    Liminski: Zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bzw. zur Privatisierung der Vermittlung: Die Zeitarbeitsfirmen funktionieren gemäß Angebot und Nachfrage, die Jobcenter nach staatlichen Vorgaben. Wer soll es nun regeln, Staat oder Markt?

    Koch: Jeder das seine. Die Jobcenter verfügen über die normale Unterstützung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Das müssen staatliche Institutionen sein, aber sie müssen wissen, was sie können. Die Hartz-Kommission sagt: ‚Wir müssen neue Zeitarbeitsunternehmen gründen, um den Jobcentern zu helfen. Das ist falsch. Wir haben gut funktionierende Zeitarbeitsunternehmen, die nur in Deutschland unter gesetzlichen Beschränkungen arbeiten, die es sonst nirgends in Europa gibt. Wenn wir die in vernünftige Verhältnisse anpassen, werden sie genau so gute Arbeit leisten wie an anderen Stellen auch, und dann können sie die Funktion erfüllen. ‚So wenig Staat wie möglich‘ muss das Prinzip sein, und der Staat muss seine Aufgaben aus einer Hand organisieren, wie das eine moderne Behörde tut, und nicht Bürgerinnen und Bürger im Kreis schicken zwischen verschiedenen Schreibtischen und Tausenden von Formularen.

    Liminski: Letzte Frage, Herr Koch. Begeistert Sie der laufende Wahlkampf?

    Koch: Wahlkämpfer, die selbst aktiv sind, müssen immer vorsichtig sein mit der Frage, ob sie selbst begeistert sind. Mich ärgert in diesen Tagen, dass der Bundeskanzler, nachdem er so lange so groß versagt hat im Bereich der Arbeitslosigkeit, mit einer Frage wie dem Irak und der moralischen Frage von Krieg und Frieden versucht, die Bürger vor den wirklich im Moment drängenden Problemen abzulenken. Und ich denke, die Bürger sind inzwischen mündig genug, um genau zu wissen - wenn heute die Arbeitslosenzahlen verkündet werden -, warum deshalb vor zwei Tagen über den Irak gesprochen ist und worum es bei der Bundestagswahl wirklich geht.

    Liminski: Vier Millionen Arbeitslose – wie kommt Deutschland von diesem Pegel der Misere runter? Das war Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Koch.

    Koch: Dankeschön.

    Link: Interview als RealAudio