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Die Wandlung der Luise Rinser

Die Nachkriegsautorin Luise Rinser soll ihre Biografie geschönt haben. Das schreibt der Schriftsteller Michael Kleeberg in einem Artikel im "Spiegel". Die "Mär der Widerständlerin" halte keiner Überprüfung stand. Rinser-Biograf José Sánchez weist dagegen auf die Kehrtwende in Rinsers Leben hin.

José Sánchez de Murillo im Gespräch mit Karin Fischer | 10.01.2011
    Karin Fischer: Luise Rinser war eine viel gelesene Schriftstellerin und prominente Nachkriegsautorin. Ihre Bücher erreichten eine Gesamtauflage von über 5 Millionen. Trotzdem galt und gilt sie heute eher als Erbauungsschriftstellerin. Dass sie eine schillernde Figur war mit nicht wenig erotischer Ausstrahlung, bestätigen alle, die sie kannten. Dass sie 1935 ein Loblied auf Adolf Hitler verfasste, ungeheuchelte Sympathien für Nordkorea hatte, 1984 von den Grünen als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt wurde, Freunde von Carl Orff bis Karl Rahner hatte und nach dem Krieg als ausgewiesen antifaschistische Schriftstellerin Karriere machte, das alles ist bekannt. Doch jetzt hat der Schriftsteller Michael Kleeberg im "Spiegel" detailliert nachgewiesen, dass Luise Rinser ihre Biografie geschönt hat. Der Komponist Günther Schnell, ihr Mann, der 1943 im Krieg fiel, war weder, wie sie schrieb, ein politisch Verfolgter und Widerständler, noch war sie überhaupt seine Witwe, denn Schnell hatte bereits 1942 neu geheiratet. Was sagt der Mann zu den Vorwürfen, der seit sieben Jahren über Luise Rinsers Lebens forscht und demnächst ihre Biografie vorlegt? Die Frage ging vor der Sendung an José Sánchez.

    José Sánchez de Murillo: Es fällt auf, um kritisch anzusetzen, dass für Kleeberg offensichtlich Luise Rinser nur in der Nazi-Zeit gelebt hat. Luise Rinser ist 91 Jahre alt geworden und fast der ganze Artikel befasst sich nur mit der Nazi-Zeit. Das hat natürlich seinen Grund. Die Nazi-Problematik ist in Deutschland sehr schwerwiegend, ganz klar.

    Fischer: Er wollte natürlich keine Biografie vorlegen, sondern hat sich mit den widersprüchlichen Details ihrer eigenen Darstellung, Luise Rinsers Darstellung ihrer Biografie beschäftigt.

    Sánchez: Genau. Ja, das ist es.

    Fischer: Was sagen Sie dazu?

    Sánchez: Das, was Herr Kleeberg in diesem Artikel erwähnt, was er - Sie sagen "nachweisen", würde ich nicht sagen. Das, was er schreibt, ist schon fast alles bekannt, nicht vom Volk, nicht von allen Leuten, aber die Fachleute kennen das schon. Darum konnte er das auch bringen. Der hat das irgendwo her, der hat das nicht erfunden. Und Sie haben recht: ein Aufsatz, ein Artikel ist nicht eine Biografie, nicht ein Buch.

    Fischer: Und was in dem Aufsatz steht, sagen Sie, sei bekannt, also auch wahr?

    Sánchez: Was im Aufsatz steht, also die Fakten, die Sie gerade erwähnt haben, dass Luise Rinser nicht die Witwe von Schnell war, das stimmt. Dass Luise Rinser auch mitgemacht hat in der Nazi-Zeit, stimmt. Das kann man nicht verbergen, das ist so. Was Kleeberg da darstellt, ist vielleicht nur ein kleiner Teil von dem, was in der Biografie kommen wird. Auch was die Nazi-Zeit anbelangt, ist er noch zu kurz getreten. Nur ich meine, so kann man das Problem nicht darstellen, nicht nur, weil Luise Rinser 91 Jahre lang gelebt hat, vieles geleistet hat, viele Bücher geschrieben hat und alle nach dem Krieg, sondern weil da ein Punkt ist, auf den er nicht eingeht, und das ist für mich der Hauptpunkt des Lebens. Das ist die Wandlung, die Kehre sozusagen Luise Rinsers. Das erwähnt er nicht. Ich meine, Luise Rinser, um dann auf den Punkt zu kommen, hat sich nicht als Widerständlerin stilisiert, sondern es hat in ihrem Leben eine Bekehrung gegeben, eine Kehre, sagen wir so.

    Fischer: Trotzdem noch mal die Frage zu zwei kleinen Details. Im Gegensatz zu dem, was Luise Rinser in ihrer Autobiografie oder in autobiografischen Schriften schreibt, habe es, sagt Kleeberg, kein Publikationsverbot gegen sie gegeben in der Nazi-Zeit.

    Sánchez: Nein, das ist richtig. Nein, da hat er recht, ja.

    Fischer: Und ihr Gefängnisaufenthalt, den sie beschrieben hat, war kürzer, als sie angegeben hat, und die Formulierung, unter dem berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs Freisler hätte es einen Prozess gegen sie gegeben, die, sagt Kleeberg, ist falsch, weil es hat noch nicht mal eine Anklage gegeben, geschweige denn einen Prozess. Das sehen Sie auch so?

    Sánchez: Ja, das stimmt so. Der letzte Punkt nicht ganz. Da hat er ein bisschen konstruiert. Wie es war nach diesem Hafturlaub von Luise Rinser, das wissen wir nicht so genau, auch weil es das Ende des Krieges war, viele Dokumente verschwanden. Aber was er sagt, stimmt schon: Sie wurde nicht angeklagt öffentlich.

    Fischer: Unter dem Aspekt, dass es um keinen Aufsatz über ihr Leben, sondern sozusagen nur um zwei Finger in einer Wunde geht, kann man denn aber nicht zurecht sagen, was Herr Kleeberg ja auch tut, dass wir es bei Luise Rinser mit einem anderen Fall Alfred Andersch zu tun haben, der ja nach dem Krieg auch - und zwar zu eigenen Gunsten - über seine Ehefrau gelogen hat?

    Sanchez: Ich weigere mich eben, weil ich mich damit zu lange und zu intensiv und auf verschiedenen Ebenen befasst habe, das so zu vereinfachen. Ich kann nicht einfach sagen, das ganze Leben eines Menschen ist eine Lüge gewesen, weil er mehr als die Hälfte anders gelebt hat als vorher. Haben wir nicht das Recht, neu zu beginnen?

    Fischer: Das war die Frage bei allen anderen Fällen von Walter Jens bis Günter Grass in den letzten Jahren natürlich auch?

    Sánchez: Genau. In diesem Aufsatz steht der Satz, Luise Rinser ist ein hoch komplizierter Fall. Ich würde sagen, ein deutscher Fall par excellence, weil wahrscheinlich gibt es sehr wenige Fälle, die so durchgekommen sind wie sie. Luise Rinser hat eine ganz große moralische Rolle in Deutschland und im Ausland auch gespielt. Das wäre ein Fall, wo man ernsthaft dazu beitragen kann, das Nazi-Problem endlich einmal einzuarbeiten. Was die Biografie zeigt ist das, was geschah nach diesem Traunstein-Erlebnis. Ich würde das sogar eine Damaskus-Stunde nennen. Wobei ich auch nicht sagen möchte, später war Luise Rinser besser als früher, aber es war ganz anders. Und da ist der Punkt, inwiefern ein Mensch das Recht hat, von Neuem zu beginnen. Und inwiefern ein Mensch zu dem zu stehen hat, was er früher gemacht hat. Und da war Luise Rinser natürlich kein Vorbild, das muss ich zugeben.

    Fischer: Der Biograf José Sánchez über Luise Rinser und ihre geschönte Biografie.