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Die Welt als Theater

Drei Shakespeare-Stücke interpretiert John Neumeier mit seinen "Shakespeare-Dances". Als Rahmen dient dabei der Philosoph Jacques, der verträumt in den Stücken des englischen Dichters schmökert.

Von Andreas Berger |
    The world's a stage. Die Welt ist eine Bühne. Sagt der Philosoph Jacques in Shakespeares "Wie es euch gefällt". Bei John Neumeier ist er ein träumerischer Student, der mit dem Fahrrad die Bühne erobert und sich rastend in die Lektüre seines Shakespeare-Schmökers vertieft.

    Verkleidung ist alles, wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Und schon füllt sich die Bühne mit den Gestalten jener drei Shakespeare-Ballette, die Neumeier in Kurzversionen neu zusammengestellt hat. Verkleidung und die Unsicherheit der Identitäten sind der leitende Gedanke, Jacques in Gestalt Carsten Jungs die durchgehende Erzählerfigur.

    Erster Akt: Wie es euch gefällt. Das funktioniert "wie eine Sinfonie von Mozart", findet Jacques. Es geht um Ungerechtigkeit und Flucht in die Verkleidung. Mit Sprüngen und Streckbeinen kämpfen Alexandre Riabko und Silvano Ballone um das väterliche Erbe. Der Sieger wird intrigant vergrault, die Fräuleins schlüpfen in Männerkleider, der neue Herzog höchstselbst filzt den fremden Jacques. Aber der Überwachungsstaat kann nicht aufkommen gegen Travestie und Komödie. Schon gar nicht, wenn Schäferfest ist.

    Gemischte Paare, echten oder verkleideten Geschlechts, wirbeln durcheinander mit Jetés und Drehungen. Zuletzt entlarven sich wieder konventionell Orlando, der heimgekehrte, und Rosalind, während Jacques Blicke für Orlando ins Leere treffen. Happyend ist nicht für jeden. Aber lebensprall war dieses Fest, Neumeier steht an emotionaler Vielschichtigkeit und publikumswirksamem Enthusiasmus Shakespeare in nichts nach.
    Eben tändeln Romeo und Julia an Jacques vorbei, na das wird nicht ganz so gut ausgehen. Schon gar nicht bei Hamlet und Ophelia, die eben noch in romantischer Wallung voneinander Abschied nehmen. Wenn Edvin Revazov als Dänenprinz nach der Pause zum zweiten Akt wiederkehrt, ist die Welt zur Tragödie verwandelt. Die schräg gespannten Harmonien der Musik von Michael Tippett künden von der geborstenen Gesellschaft.
    Der Vater ist tot, die Soldateska mit Helmen patrouilliert, ein Stiefvater regiert bei Mutter Gertrud und im Reich. Auch Neumeiers Tanzstil ändert sich. Die an der Welt zerbrochene Ophelia (Anna Laudere) knickt die Füße rechtwinklig ab, Hamlet hält sich mit beiden Händen den stumm schreienden Mund zu. Plötzlich ist Tanztheater.
    Der dritte Akt ist romantischer Nachtraum, "Was ihr wollt" die Vorlage. Hier waltet Vivaldis barocke Gefühlsachterbahn. Da rollt sich Thiago Bordin als gelangweilter Herzog in Zeitlupe über die Bettkante. Und zu wehenden Gardinen schleicht die Dame in Trauer (Hélène Bouchet) durch den Saal. Da haben andere mehr auszustehen: Die Zwillinge Viola und Sebastian werden von kräftigen männlichen Tänzer-Sturmböen im Tutu auseinandergetrieben. Die gestrandete Carolina Agüero wirbelt nun als verkleideter Clown den trüben Prinzen zu akrobatischen Hebungen auf, Sebastian (Llloyd Riggins) landet bei der Gräfin.
    Allgemeiner Showdown: Ein wunderbarer Pas de quatre voll Lachens schließt sich an, bei dem mal alle vier sich zusammen, dann wieder jeder nur sich selbst umarmt. Gefühle sind eben eine unsichere Sache. Und Neumeier spinnt Shakespeares Patchwork weiter, wenn der Herzog sein Lächeln immer wieder zwischen Viola und Sebastian wechseln lässt, als wüsste er durchaus noch nicht, ob ihm die weibliche oder männliche Variante des Zwillings besser gefällt.
    Am Ende entern alle Figuren der drei Stücke mit roten Clownsnasen die Szene, Jacques inclusive. Alle sind Spieler in der göttlichen Komödie. Mit seinen prägnanten Kurzfassungen drei zu unterschiedlicher Zeit entstandener Shakespeare-Stücke hat der Hamburger Ballettchef diesem philosophischen Kern der bunten Shakespeare-Welt verführerisch Schwung verliehen. So hat sich einst Nietzsche die fröhliche Wissenschaft vorgestellt: tanzend.

    Neumeier gehört zu den wenigen Choreografen, die Humor in zeitlos-volkstümlicher Frische erzeugen können. Er greift zu den Härten der modernen Tanzsprache, wo kein Lachen die Welt mehr ins Lot bringt. Und erweitert die historischen Formen etwa des Barock mit schlendernder Lässigkeit, wenn die Gefühle mit den Partnern durchgehen. So wirkt jedes Stück für sich, aber auch als Aufblendung, im großen Shakespeare-Kosmos überzeugend und alterslos. Und vielleicht wollte Neumeier uns das mit seinen Shakespeare-Dances zum 40. Hamburg-Jubiläum auch ein wenig beweisen. Es ist ihm gelungen.