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Die Welt sauber machen

Der mutmaßliche Einsatz von Chemiewaffen in Syrien hat den Blick wieder auf jene Kampfmittel gelenkt, die auch Jahre nach ihrem Einsatz eine tödliche Gefahr bleiben wie Minen, Munition und Gifte. Die Eisenmann AG besitzt das Know-how für die Beseitigung dieser tödlichen Kriegsspuren.

Von Michael Brandt | 01.11.2013
    In der Werkshalle in Holzgerlingen bei Böblingen sieht es zunächst mal gar nicht nach Kampfmittelbeseitigung aus. Hier wird gerade eine gewaltige Produktionsstraße vormontiert, die später einmal in einem BMW-Werk in den USA stehen wird:

    Die Eisenmann AG mit Stammsitz in Böblingen und weltweit etwa 3700 Mitarbeitern ist einer der beiden Weltmarktführer beim Bau von Lackieranlagen im Bereich Automotive und darüber hinaus. Ihre Anlagen, zum Beispiel die, die vor vier Jahren bei Porsche in Zuffenhausen in Betrieb genommen wurde, setzen Maßstäbe was Präzision und Umweltfreundlichkeit angeht unter andere durch eine ganze Reihe von Patenten zum Auffangen des Sprühnebels, genannt Overspray. Bei dem aktuellen Verfahren wird statische Elektrizität, Hochspannung genutzt, um die Luft von dem Lacknebel zu reinigen, wie Produktionsleiter Hartmut Süßer erklärt:

    "Der Lacknebel kommt oben runter über die Karosse. Das Overspray geht über die Hochspannungselemente nach unten und wird dann mit einem Trennmittel ausgetragen und entsprechend entsorgt."
    Gegründet wurde die Firma 1951 von dem Ingenieur Eugen Eisenmann als typisches schwäbisches Tüftlerunternehmen in Stuttgart. Inzwischen wird die Aktiengesellschaft, die sich zu 100 Prozent in Familienbesitz befindet, in dritter Generation von der Familie geführt. Und es gibt inzwischen ein solides Selbstbewusstsein, dass fast alle technischen Probleme mit Ideen, Verstand und Zähigkeit lösbar sind. Andreas Neumann, bei Eisenmann für die Umwelttechnik zuständig, drückt es so aus:

    "Gesundes Selbstbewusstsein klingt jetzt so anmaßend. Deutschland ist eine Hightech-Nation, wir haben sehr gute Ingenieure und wir brauchen neue Aufgabenfelder, wo wir diese Hightech auch zum Tragen bringen können. Und das war eine Herausforderung, die wir angenommen haben. Also ich würde es eher so bezeichnen: Wir stellen uns den Aufgaben, die der Markt uns bietet."

    Die Herausforderung, von der Neumann hier spricht, war eine Ausschreibung der Bundesregierung für eine Anlage zur Beseitigung von großen Mengen konventioneller Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Bis dahin war es üblich, die alten Granaten einzeln in einem gepanzerten Raum zu Explosion zu bringen und dann die Reste zu entsorgen. Der Anspruch von Eisenmann war nun, das Ganze in einem kontinuierlichen Prozess hinzubekommen:

    "Wir haben da ein komplett neues Verfahren entwickelt. Der Auftraggeber hat uns damals auch bestätigt, dass die Firma Eisenmann den Stand der Technik der Munitionsvernichtung neu definiert hat. Die Grundidee kam damals von dem stellvertretenden Vorstand."

    Die Idee, die zum Erfolg führte, heißt Wanderbettschachtofen und funktioniert in etwa so: Eine große Menge Stahlkugeln wird kontinuierlich durch einen Reaktor transportiert. Oben und unten, wo die Kugeln eingefüllt werden und wieder rauskommen, sind sie kalt, in der Mitte des Ofens mit 600 Grad so heiß, dass jeder Sprengstoff detoniert. Die Munition wird nun einfach oben in die Kugeln gelegt, wandert mit ihnen nach unten und explodiert. Die Kugeln haben die Eigenschaft, die Energie der Explosion aufzunehmen.

    Die Anlage, die im Jahr 1999 gebaut wurde, war jedenfalls ein großer Erfolg und, so Neumann:

    "Mit dieser Anlage hat sich Eisenmann die Eintrittskarte verschafft in diesen Markt. Wir hatten eine erste Referenz und dann kamen auch Anfragen in Richtung Chemiewaffenvernichtung."

    Und zwar zunächst, als es um eine Anlage zur Vernichtung von russischen Chemiegranaten ging. Zwar hatten sich die Ingenieure bis dahin noch nie mit chemischen Kampfstoffen beschäftigt, aber mit dem Eisenmannschen Ingenieursgeist und dem vorhandenen Know-how in Hochtemperaturtechnik, war es einmal wieder nicht viel mehr als ein technisches Problem, das gelöst werden musste:

    "Die Beseitigung von chemischen Kampfstoffen ist in erster Linie mal eine Verbrennung. Die Kampfstoffe sind normalerweise eine Flüssigkeit. Die kann man bei 1200 Grad verbrennen. Da setzen wir den Eisenmann Thuraktor ein, das ist eine Hochturbulenzbrennkammer, wo sichergestellt wird, dass die Organik vollständig oxidiert wird. Und was dann noch übrig bleibt, das ist Anorganik, die dann durch eine nasse Rauchgasreinigung abgeschieden wird."

    Es klingt irgendwie ganz einfach. Der Turbulenzofen sorgt dafür, dass die hochgiftigen Chemikalien lange genug in der Brennkammer bleiben, um vollständig zu verbrennen. Da die Gifte hauptsächlich organische Stoffe sind, verbrennen sie, wenn die Temperaturen nur hoch genug sind, zu harmlosem Kohlenoxid. Sollten noch Schwermetalle wie etwa Arsen dabei sein, so werden die anschließend bei der Rauchgasreinigung aufgefangen. Das Prinzip ist einfach, in diesem Fall muss natürlich alles besonders und doppelt sicher gemacht werden. Aber machbar war es, und so stand wenige Jahre später weltweit eine ganze Reihe von Eisenmann-Anlagen zur Beseitigung von chemischen Kampfstoffen:

    "Wir haben eine Anlage in Kambarka errichtet im Auftrag des Auswärtigen Amtes. Dann kam eine Anfrage zur Vernichtung von Chemiegranaten in Japan, da haben wir die Anlage entwickelt, hier aufgebaut, vom Kunden abnehmen lassen und dann in Japan wieder aufgebaut und dort auch betrieben, da ging es um die Vernichtung von 57 Chemiegranaten. Dann gab es eine Vernichtung von ca. 12,5 Tonnen chemischer Kampfstoffen in Albanien, da haben wir auch die Anlage errichtet und betrieben. Dann gab es eine weitere Anfrage über das Auswärtige Amt zur Errichtung einer Anlage in Potscheb ebenfalls in Russland. Da ging es um 7500 Tonnen chemischer Kampfstoffe. Diese Anlage ist zur Zeit noch in Betrieb."

    Man kann also sagen, die Technologie von Eisenmann hat die Welt ein Stück sauberer gemacht, was Chemiewaffen angeht. Wie bei inhabergeführten Unternehmen häufig der Fall, lässt sich die Eisenmann AG nicht allzu tief in die Bücher schauen. Die Zahl der Mitarbeiter ist bekannt, und im Lexikon der Weltmarktführer ist zu lesen, dass der Umsatz 2011 bei 690 Millionen lag. Strenges Schweigen wird jedoch über mögliche erste Kontakte nach Syrien zur Vernichtung der dort lagernden 1000 Tonnen Chemiewaffen ausgebreitet. Aber immerhin eines sagt Andreas Neumann zum Thema Syrien:

    "Das gesetzte Ziel von weniger als einem Jahr für die Vernichtung von heute an gerechnet halte ich für zu ambitioniert. Das ist nicht erreichbar."