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Die Welt schaut zu

In Ägypten sei das Internet nicht die Ursache für die Proteste, sagt Albrecht Hofheinz, Islamwissenschaftler an der Universität Oslo. Welch große Bedeutung die Regierung dem Medium beimesse, sehe man an der Unterbrechung der Leitungen.

Albrecht Hofheinz im Gespärch mit Anne Raith | 29.01.2011
    Anne Raith: Und dann ging plötzlich nichts mehr! Ein Blackout, Mobilfunkverbindungen waren ohnehin schon fragil, gestern ging auch online nichts mehr, Internetverbindungen wurden unterbrochen, Seiten sozialer Netzwerke wie Facebook oder Twitter waren in Ägypten teilweise gar nicht mehr zu erreichen, ebenso wenig der E-Mail-Dienst von Google. Das hat es selbst im Iran nicht gegeben, hat unsere Korrespondentin in Kairo heute Morgen angemerkt. Doch es nützte nichts: Die Massenproteste in Ägypten gingen weiter. Welche Bedeutung das Internet in den vergangenen Tagen für die Proteste hatte, was sich dank des virtuellen Austauschs schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten strukturell in der arabischen Welt verändert hat, darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit dem Islamwissenschaftler Albrecht Hofheinz. Er lehrt an der Universität in Oslo Arabisch und forscht über die Bedeutung des Internets in der arabischen Welt. Guten Morgen, Herr Hofheinz!

    Albrecht Hofheinz: Guten Morgen!

    Raith: Ist das, was wir da im Moment erleben, eine Art Internetrevolution, also eine im Internet gestartete Revolution, die es sonst vielleicht nicht gegeben hätte?

    Hofheinz: Die Bedeutung des Internets für diese Ereignisse in Ägypten ist nicht zu unterschätzen, das zeigt ja auch die Reaktion der Regierung. Dass das Internet gekappt wurde, ist das deutlichste Zeichen dafür, welch große Bedeutung die Regierung diesem Medium beimisst. Allerdings muss man auch gleich dazu sagen, das ist nicht eine Internetrevolution, die ausschließlich im und durch das Internet zustande kommt. Die Ursachen dieser Unruhen in Ägypten liegen weit zurück vor dem Internet und die sind nicht durch das Internet zu erklären. Und wenn das nur eine Internetrevolution wäre, dann wären ja auch diese Proteste, die wir gestern gesehen haben, hätten so nicht stattgefunden. Das Internet ist also nicht die Ursache, sondern ein sehr, sehr wichtiges Medium, das der Verbreitung dieses Zornes dient und auch den Beteiligten das Gefühl gibt, dass die Welt zuschaut, dass sie nicht alleine sind. Aber die Proteste werden heute auch weitergehen, ohne dass das Internet in Ägypten wieder angeschaltet wird.

    Raith: Geht es denn da bei den sozialen Diensten wie zum Beispiel Facebook in erster Linie darum sich zu sammeln, sich zu verabreden, oder wird da auch politisch diskutiert, sich inhaltlich ausgetauscht?

    Hofheinz: Beides. Die rein organisatorische Funktion des Netzes, die sollten wir vielleicht nicht überschätzen. Also auf Facebook werden Informationen ausgetauscht, wie man sich bei Tränengasangriffen zu verhalten hat, und es werden Informationen ausgetauscht, wo Polizeiansammlungen besonders zu fürchten sind. Aber das, was wir gestern gesehen haben, das wurde, das ist nicht in erster Linie über Facebook-Gruppen organisiert worden. Die Facebook-Gruppe, die zu den Demonstrationen aufgerufen hat, die am Dienstag gestartet sind, die ist eher als eine Art, hat eher eine Mobilisierungsfunktion. Also das heißt, es wurde angekündigt über eine Facebook-Gruppe, am Dienstag soll der Polizei, der nationale Feiertag der Polizei zu einem Tag des Zornes gewandelt werden. Das wurde zuerst über Facebook-Gruppen angekündigt und über diese Facebook-Gruppe haben sich sehr viele Leute solidarisiert, sodass dann der Effekt entstand, dass sozusagen normale Jugendliche den Eindruck bekamen, ja, es werden sehr viele Leute an diesem Tag auf die Straße gehen und da will ich auch dabei sein. Also diese Mobilisierungs-, mehr als die reine organisatorische Funktion. Und das erweckt dann natürlich auch Aufmerksamkeit bei sozusagen traditionellen Medien, sowohl den panarabischen Fernsehstationen als auch internationalen Medien, und das hat dann eine Art Schneeballeffekt.

    Raith: Reporter ohne Grenzen listet unter den sogenannten Feinden des Internets, wie sie es nennen, Ägypten und Tunesien unter den ersten zwölf. Und dennoch gibt es da ja Millionen Facebook-Nutzer, Zehntausende Blogger. Ist das Internet sozusagen eine Art Fenster in die Welt?

    Hofheinz: Das Internet ist Fenster in die Welt, das Internet ist aber auch für sehr viele Menschen in diesen Ländern der einfachste Weg, sich öffentlich auszudrücken in einem Klima, wo ihnen andere Medien großenteils versperrt sind. Das gilt nun vor allen Dingen für Tunesien, Tunesien hatte eine sehr viel härtere Internetzensur ausgeübt als Ägypten. Und Tunesien hat aber auch auf der anderen Seite gezeigt, dass selbst unter einem so strengen Internetregime es nicht möglich war, den Informationsfluss so zu unterbinden, dass das Medium keine Bedeutung mehr hatte. Also das heißt, die Leute, die Aktivisten, auf die es vor allen Dingen zurückgeht, dass Informationen über Demonstrationen und über Übergriffe seitens der Polizei und Korruption und so weiter, dass das nach außen fließt, die können auch Internet, also technische Internetsperren umgehen, die haben die Kapazität und die Zeit dafür. Und dann ist natürlich, sind die dann sehr darauf angewiesen, dass diese Informationen dann von außen aufgegriffen und multipliziert werden, was ja dann im Fall von Tunesien auch geschehen ist.

    Raith: Inwiefern, Herr Hofheinz, nutzen denn auf der anderen Seite möglicherweise auch die arabischen Regime soziale Netzwerke als Quelle sozusagen, um festzustellen, was sich im Land tut?

    Hofheinz: Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das ist in Ägypten, ist vielleicht sozusagen das beste Beispiel, jetzt nicht aktuell, aber vor inzwischen zehn Jahren gab es in Ägypten einen sehr, sehr bekannt gewordenen Fall, wo die Polizei sich in die Diskussionsforen und Chatgruppen von schwulen Ägyptern sozusagen eingeschlichen hat und über diese Chatgruppen dann einzelne Menschen identifiziert hat und die verhaftet hat. Das ist sozusagen ein Beispiel, das ist jetzt zehn Jahre her, aber im gleichen Stil versuchen die Machthaber das auch natürlich weiter zu praktizieren. Es wird etwas schwieriger mit der wachsenden Zahl der Nutzer. Also wenn Millionen Menschen auf Facebook ihrem Hass gegen das Mubarak-Regime Ausdruck geben, dann kann man nicht unbedingt Millionen Menschen einzeln verfolgen. Aber auf jeden Fall ist die, also die Polizei hat schon in Ägypten schon seit Jahren natürlich Einheiten, die sich ausschließlich damit beschäftigen, im Internet einzelne Leute, einzelne Regime-Gegner herauszufiltern und die dann auch physisch festzusetzen. Und die, wie Ihre Reporterin ja gesagt hat, die Internetgruppe, die sich mit solchen verhafteten Bloggern solidarisieren, die sind auch Kristallisationspunkte für die Proteste geworden.

    Raith: Macht und Grenzen des Internets in der arabischen Welt. Einschätzungen des Islamwissenschaftlers Albrecht Hofheinz, der zu dieser Thematik forscht, er lehrt Arabisch an der Universität in Oslo. Vielen Dank für das Gespräch!

    Hofheinz: Vielen Dank!