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"Die Wende ist eindeutig zu sehen"

Das Ausmaß der Spionage gegen befreundete Staaten habe in den USA eine sehr tief gehende Debatte ausgelöst, sagt der Politikwissenschaftler Karl Kaiser von der Harvard University. Er rechnet deshalb mit Gesetzesänderungen und fordert einen Verhaltenskodex für Spionage zwischen Freunden.

Karl Kaiser im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.10.2013
    Silvia Engels: Die Empörung in Europa angesichts immer neuer Berichte über Abhöraktionen des US-Geheimdienstes NSA gegenüber Regierungsvertretern in der "Alten Welt" beginnt in den USA offenbar Wirkung zu zeigen. Am Montag hatte die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Senats Diane Feinstein die Nachrichtendienste ihres Landes massiv kritisiert. Nun musste NSA-Chef Alexander im Kongress aussagen, doch der ging in die Gegenoffensive.

    Die politischen Akteure in Washington treten in Sachen NSA-Affäre also durchaus verschieden auf. Neben der offensiven Verteidigung der US-Geheimdienste im Kongress durch die Chefs dieser Dienste und Angriffen gegen Europa ist auch Selbstkritik zu hören. Gestern Abend fragte meine Kollegin Christiane Kaess den Politikwissenschaftler Karl Kaiser von der Harvard University, ob man derzeit eine Wende in der Haltung der US-Regierung in dieser Abhöraffäre erlebe.

    Karl Kaiser: Die Wende ist eindeutig zu sehen. Das Ausmaß, das atemberaubende Ausmaß der Überwachung hat einen solchen Schrecken erzeugt und eine so tief gehende Debatte, die zum Teil sehr heftig ist, dass man davon ausgehen kann, dass jetzt einiges geschehen wird, sowohl auf der Gesetzesebene als auch im Hinblick auf die Überprüfung der Tätigkeit der Nachrichtendienste durch den Kongress und nicht zuletzt auch Überprüfung der Einwirkungsmöglichkeiten des Präsidenten selbst, der offenkundig einiges nicht gewusst hat, was hier passiert ist.

    Christiane Kaess: Herr Kaiser, können wir tatsächlich echte Aufklärung erwarten? Was könnten wir denn da noch erfahren?

    Kaiser: Nun, vieles ist herausgekommen dank der Snowden-Enthüllungen, aber einiges wird in den Kongressausschüssen und Hearings, die jetzt sicherlich noch stattfinden werden, noch herauskommen. Aber das Entscheidende wissen wir ja, das ist in den Enthüllungen ja vorhanden, sodass man jetzt wirklich eine Debatte beginnen kann, sowohl innerhalb der USA als auch zwischen den Verbündeten.

    Kaess: Für wie verlässlich halten Sie ein Versprechen vonseiten der USA, die Spionage hört auf?

    Kaiser: Hier muss man einen kühlen Kopf bewahren. Auf der einen Seite: Das ist sicherlich sehr schmerzhaft, dass die Überwachung so weit gegangen ist für viele, für die die deutsch-amerikanische oder europäisch-amerikanische Freundschaft sehr wesentlich ist. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen: Eine gewisse gegenseitige Spionage, um diesen Ausdruck zu benutzen, hat es immer gegeben.

    Kaess: Das heißt, die Aussage des NSA-Chefs, die Europäer spionieren umgekehrt auch die Amerikaner aus, die halten Sie für glaubwürdig?

    Kaiser: Ja, die ist durchaus richtig. Nur ist das Ausmaß sehr, sehr unterschiedlich, denn die technischen Möglichkeiten der USA sind ungleich besser und ausgeprägter, sodass hier eine gewisse Asymmetrie der gegenseitigen Spionage vorhanden ist. Aber man muss hier schon sehen, dass man Verbündete und Freunde nicht so behandeln kann wie andere Staaten, und hier ist es geboten, einen Verhaltenskodex zu entwickeln, der einfach gewisse Grundregeln definiert. Zwischen den angelsächsischen Demokratien war das bisher einfach: Die hatten ein Stillhalteabkommen. Das sind die fünf Länder Kanada, USA, Australien, England und Neuseeland. Aber so was Ähnliches ist denkbar zwischen den USA und den verbündeten europäischen Staaten.

    Meinungen in den USA gehen auseinander
    Kaess: Das wäre so etwas wie ein No-Spy-Abkommen, was jetzt öfter im Gespräch ist, und Sie glauben, auf der Grundlage könnte man sich dann auch tatsächlich aufeinander verlassen und neues Vertrauen herstellen?

    Kaiser: Möglich ist es, aber hier müssen die Einzelheiten genau erörtert werden und die Details müssen klargestellt werden. Hier muss man auch sehen, dass in den USA die Meinungen gespalten sind. Noch heute hat nach den Anhörungen im Kongress der republikanische Vorsitzende des Nachrichtendienstausschusses im House of Representatives klar gesagt, natürlich müssen wir auch bei Verbündeten nachprüfen, wie die Meinung ist, und speziell eine so mächtige Politikerin wie Frau Merkel ist natürlich für uns interessant. Dagegen stehen natürlich die Meinungen von anderen Personen wie zum Beispiel der Senatorin Frau Feinstein und auch der Administration selbst, die davon ausgeht, dass man so nicht weiterarbeiten kann.

    Kaess: Wie groß ist dieser politische Widerstand und lässt sich der parteipolitisch definieren?

    Kaiser: Ja. Man kann hier schon einen gewissen Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten sehen. Die Demokraten wollen weitergehen in einer Regulierung und einer Abstellung gewisser Sitten wie etwa der Überwachung von Regierungschefs von befreundeten Ländern. Bei Republikanern ist man da etwas gelassener, die möchten gerne gewisse Praktiken weiterführen. Das wird dann im Einzelnen zu klären sein. Das ist eine Debatte, die sicher offen stattfinden wird, die Verbündeten werden daran teilhaben und haben jeden Anlass, sich auch öffentlich dazu zu äußern in den kommenden Monaten.

    Kaess: Und wie weit wird diese Möglichkeit zur Aufklärung gehen? Es wird ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag diskutiert. Ist es vorstellbar, dass die USA sich an so einer Aufklärung auch beteiligen würden?

    Kaiser: Diese Aufklärung findet innenpolitisch sowieso statt. Hier werden auch Ausschüsse tagen und …

    Kaess: Aber zum Beispiel wirklich in echter Kooperation mit Deutschland, dass zum Beispiel zugelassen werden würde, dass Botschaftsangehörige aussagen vor einem Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag?

    Kaiser: Das ist ein sehr extremer Fall, halte ich für schwer denkbar. Aber die Offenlegung der Daten wird in jedem Falle weitergeführt werden. Und vergessen Sie bitte nicht, dass in den Medien die Debatte sehr scharf geführt wird.

    Kaess: Sie sprechen jetzt von den amerikanischen Medien, oder von den deutschen?

    Kaiser: Von den amerikanischen Medien, ja, sodass hier über den Atlantik hinweg eine Diskussion stattfindet, von der man hoffen kann, dass daraus erwächst ein gewisser Verhaltenskodex, an den sich dann die Politiker halten können. Man darf ja eins nicht übersehen: Was immer die Krise jetzt ist, man muss hier den kühlen Kopf bewahren. Auch außer Kontrolle geratene Nachrichtendienste können ja doch nichts daran ändern, dass zwischen den USA und Deutschland und USA und Europa sehr grundlegende gemeinsame Interessen bestehen, gerade in einer heutigen Welt, wo es um Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und zerfallende Staaten geht. Da müssen sie kooperieren und daran ändert auch diese Krise nichts.

    Engels: Der Politikwissenschaftler Karl Kaiser von der Harvard University im Gespräch mit meiner Kollegin Christiane Kaess.


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