Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Die Wiederkehr alter Feindbilder

Schon Anfang der neunziger Jahre wurden Warnungen über die Umtriebe in den Moscheen laut. Über die religiös verbrämte politische Hetze in den Moscheen und Koranschulen. Über die sozialen Krisensymptome in den Vorstädten der Migranten, die so lange verdrängt wurden: Jugendliche ohne Perspektive, wachsende Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum und zunehmende Gewaltbereitschaft: Im allgemeinen Bewusstsein gilt die Integration der Zuwanderer als gescheitert - und zwar auf beiden Seiten.

Von Kerstin Schweighöfer | 05.03.2005
    Die Gänge sind lang in dem alten Klostergebäude, die Wände hoch, es ist kalt und fast dunkel. Üzeyir Kabaktepe hat es eilig - in weiten Schritten hastet er die Treppe hinauf in den ersten Stock. Bis zum Beginn des Fastengebets hat er noch tausend Dinge zu regeln

    Kabaktepe ist Geschäftsmann und gebürtiger Türke. Er trägt einen dunklen Anzug mit dezenter Krawatte und einen eleganten Mantel mit Seidenschal. Seit mehr als 20 Jahren setzt sich der 39Jährige als Koordinator für die türkische Gemeinschaft der Muslime in den Niederlanden ein. Er trifft sich regelmäßig mit Vertretern der Amsterdamer Stadtteilverwaltung und der marokkanischen Gemeinschaft der Muslime. Die sei weitaus weniger gut organisiert als die türkische, sagt Kabaktepe und spricht von Rückständigkeit. Er hingegen versuche schon seit langem, Brücken zu bauen und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Und jetzt das! Immer wieder in den letzten Jahren hätten die Türken ausbügeln müssen, was marokkanische Muslime anrichteten. Mit dem Tod von van Gogh, so klagt Kabaktepe, können wir wieder bei Null anfangen:

    Schon beim Attentat auf Pim Fortuyn haben wir alle die Luft angehalten und gebetet: Bitte, lass den Mörder kein Moslem sein!

    Dann wurde van Gogh ermordet, und wieder hielten wir den Atem an. Doch dieses Mal war der Täter ein Moslem - und innerhalb weniger Minuten hat dieser Idiot alles kaputt gemacht, was wir seit den New Yorker Terroranschlägen und Pim Fortuyn mühsam zu reparieren versucht hatten!

    Kabaktepe beobachtet schon seit Jahren eine zunehmende Radikalisierung muslimischer Jugendlicher. Das macht ihm Sorgen. Insbesondere junge, gut ausgebildete und integrierte Muslime der dritten Generation seien gefährdet:

    Viele von ihnen haben keine Lust mehr, sich anhören zu müssen, wie schlecht der Islam sei und mit ihm alle Araber. Sie merken, dass sie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und von dieser Gesellschaft nicht akzeptiert werden.

    Kabaktepe streicht sich nachdenklich über den Oberlippenbart und legt die Fingerspitzen aneinander. Dann hebt er wieder an, beginnt zu gestikulieren, spricht eindringlich von der zunehmenden Entfremdung. Von den täglichen kleinen Demütigungen und Verletzungen. Von einem latenten Minderwertigkeitsgefühl und dem Wunsch vieler junger Muslime, sich zusammenzuschließen und gegen diese Zurückweisung aufzubegehren. Der Glaube als Ausdruck der Identität, als Quelle neuen Selbstbewusstseins.
    Bei der wachsenden Radikalisierung spiele nicht nur das Internet eine wichtige Rolle, sondern auch die sog enannten Hassprediger. Doch die niederländische Regierung habe es im Namen der Meinungsfreiheit versäumt, rechtzeitig einzugreifen. Es habe sie lange Zeit einfach nicht interessiert, was sich in den Moscheen abspielte:

    "Es war Desinteresse, keine Toleranz", so Kabaktepe. Ein unverzeihlicher Fehler, da gerade Moscheen bei der Integration eine wichtige Rolle zukomme:

    In der letzter Zeit hat ihn der Mut oft verlassen, aber er versucht, optmistisch zu bleiben:

    Diese Wunde wird so schnell nicht heilen, und ich kann nur hoffen, dass es ruhig bleibt. Wenn es etwas gibt, das mir schlaflose Nächte bereitet, dann die Vorstellung, dass es zu einem weiteren Zwischenfall kommt. Das ist das letzte, was wir jetzt gebrauchen können.