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Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung

Kößler: Wie ist der Arbeitslosigkeit beizukommen? Das ist die zentrale Frage, die sich der Bundesregierung stellt, und der Rückgang der Arbeitslosigkeit - so nach den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder - wird auch der entscheidende Faktor sein, der über Erfolg oder eben auch Misserfolg der Politik der rot-grünen Regierungskoalition entscheidet. Darum kreist also der Streit um Sparpläne und Reformen zwischen den Traditionalisten und den Modernisierern in der SPD, aber auch zwischen Gewerkschaften und dem Kanzler. Die Zahlen, die gestern in Nürnberg veröffentlicht wurden, haben dieser Diskussion einen neuen Auftrieb gegeben. Ich begrüsse am Telefon Hubertus Schmoldt, den Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie und Energie. Einen schönen guten Morgen.

    Schmoldt: Guten Morgen Herr Kößler.

    Kößler: Die Zahl der Arbeitslosen ist wieder auf über 4 Millionen gestiegen. Ein alarmierendes Signal?

    Schmoldt: Mit Sicherheit kein schönes Signal, aber ich glaube nicht, dass diese ansteigende Arbeitslosigkeit ein Signal für einen Misserfolg unserer Anstrengungen ist, im Rahmen des Bündnisses für Arbeit Arbeitslosigkeit abzubauen, sondern - wie Herr Jagoda gesagt hat - das hat was zu tun mit saisonalen Einflüssen. Und insoweit müssen wir die Zahl der nächsten Monate abwarten. Aber die müssen sich dann eigentlich auch nach unten bewegen.

    Kößler: Arbeitgeberpräsident Hundt macht mangelndes Vertrauen der Wirtschaft in eine echte investitions- und wachstumsfördernde Wirtschafts- und Finanzpolitik für diese Zahlen verantwortlich. Sprechen sie nicht doch für ein Versagen der neuen Regierung?

    Schmoldt: Also, dass der Repräsentant der Arbeitgeberverbände so negativ redet, macht er damit der Wirtschaft keinen Mut, zu investieren. Im Gegenteil. Er sollte die Industrie auffordern, die Unternehmen auffordern, zu investieren. Dann hätten wir auch eine Chance, die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren.

    Kößler: Die dramatischen Zahlen in bezug auf Arbeits- und Ausbildungsmarkt, vor allem im Osten, erfordern nach Ansicht von Rudolf Dressler, dem SPD-Sozialexperten, ein schnelles und entschlossenes Handeln der Bundesregierung und der Bündnispartner. Ist das der richtige Weg?

    Schmoldt: Wir haben ja bei unserem letzten Zusammentreffen am 6. Juli im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung, Wettbewerbsfähigkeit ein paar Punkte verabredet, die vorbereitet werden und bei der nächsten Zusammenkunft im Oktober konkret verabredet werden. Ich gehe davon aus, dass diese konkreten Verabredungen dann auch zu einer deutlichen Reduzierung der Arbeitslosenzahlen - Jahresende und Beginn des nächsten Jahres - führen werden.

    Kößler: Der Streit innerhalb der SPD und zwischen den Gewerkschaften und der SPD-Führung dreht sich im Kern um die Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Herr Schmoldt. Soll man die Nachfrage stützen oder die Kaufkraft stärken, Angebotsseite stärken und Investitionsklima verbessern? Sind Schröder und Eichel auf dem richtigen - sprich wirtschaftsfreundlichen - Kurs, dem ‚Dritten Weg'?

    Schmoldt: Herr Kößler, einiges von dem, was derzeit diskutiert wird, hat ja wohl was mit dem berühmten ‚Sommerloch' zu tun. Ich denke, der Bundeskanzler hat recht gehabt, als er in seiner Regierungserklärung davon gesprochen hat, dass weder angebotsorientierte noch nachfrageorientierte Politik der richtige Weg wäre, sondern eine Mixtur aus beidem. Und ich glaube auch, dass das, was der Finanzminister Eichel vorgelegt hat, nämlich ein Sparkurs, dringend notwendig ist. Wir sind - und das ist leider eben so deutlich - überschuldet. Und das muss abgebaut werden.

    Kößler: Das heisst, Sie befürworten das Sparprogramm. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen?

    Schmoldt: Das haben die Gewerkschaften ja auch im letzten Jahr gesagt, dass wir deutlich alle gemeinsam dafür sorgen müssen, dass in der Bundesrepublik wieder deutlicher gespart wird, dass wir Luft bekommen müssen für investive Ausgaben. Und da muss man leider auch einen - wie jetzt deutlich zu sehen - schmerzlichen Weg gehen.

    Kößler: Aber der DGB wirft der Regierung vor, das Sparprogramm sei sozial unausgewogen.

    Schmoldt: Also, das ist sicher an der einen oder anderen Ecke noch ein bisschen nachbesserungsbedürftig. Was ich vermisse in der Beurteilung, ist, dass nicht nur jetzt auf die Unternehmenssteuerreform geguckt wird - das ist ja der zweite Schritt -, sondern der erste Schritt: Zu Beginn des Jahres hat ja deutliche Entlastungen für die Familien - auch für die Kinder - gebracht. Dieser Weg wird fortgesetzt. Und wenn man das alles zusammen nimmt, kann man so von sozialer Unausgewogenheit mit Sicherheit nicht reden.

    Kößler: Das heisst, die Vorwürfe des DGB sind Ihnen zu pauschal?

    Schmoldt: Die sind mit Sicherheit zu pauschal, ja.

    Kößler: Müssen Reformen zwangsläufig zu Einschnitten im sozialen Netz führen, Herr Schmoldt?

    Schmoldt: Wir hatten ja im Bündnis verabredet, dass wir die sozialen Sicherungs-systeme finanzierbar machen wollen und machen müssen. Das bedeutet, dass man darüber nachdenken muss, ob alle sozialen Leistungen sehr zielgerichtet ausgerichtet sind, also auch immer den Richtigen treffen. Da gibt es mit Sicherheit an der einen oder anderen Ecke ein bisschen Nachbesserungsbedarf, und da muss man auch deutlich machen: Wer soziale Leistungen erhält, muss dafür auch etwas für das Gemeinwesen tun.

    Kößler: Das heisst: So ist der Sozialstaat nicht mehr bezahlbar?

    Schmoldt: Nun, wenn wir das so weiterentwickeln, nicht. Wir müssen schon darauf achten, dass die Beitragszahler nicht über Gebühr beansprucht werden. Das bedeutet, man muss sich darüber verständigen, welche sozialen Leistungen müssen - in Zukunft gesehen - anders, und damit zielgerichteter, verändert werden. Und das bedeutet in der einen oder anderen Ecke natürlich oft Änderungen.

    Kößler: Hat der SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Struck, recht, wenn er dafür plädiert, das Steuersystem grundsätzlich zu entrümpeln? Er hat vorgeschlagen: 15, 25, 35 Prozent bei der Einkommenssteuer - und damit Schluss.

    Schmoldt: Herr Kößler, ich glaube, uns werden immer neue Vorschläge, auch was die Steuerreform angeht, nicht weiterhelfen. Es wäre gut, wenn das, was vorgelegt worden ist, dann nun auf den Weg gebracht wird. Und wenn man dann im nächsten Jahr zu der Ansicht kommt, dass das eine oder andere - immer in die Zukunft betrachtet - anders oder besser gemacht werden könnte, kann man das natürlich tun. Aber die ständige Diskussion oder Fragestellung dessen, was man gerade gemeinsam verabredet hat, halte ich für überflüssig.

    Kößler: Aber eine Änderung des Steuersystems ist ja wohl überfällig?

    Schmoldt: Ja, das hat die Bundesregierung ja auch vorgeschlagen. Es werden ja die Steuersätze für die Normalverdiener reduziert. Es soll eine Unternehmenssteuer-reform geben. Dieser Weg wird dann in den nächsten Jahren fortgesetzt. Das führt dann zu einer ganz beachtlichen Nettoentlastung bis zum Jahr 2002. Insoweit helfen immer neue Modellüberlegungen nicht, sondern die ganz konkrete Umsetzung dessen, was angekündigt worden ist, muss erfolgen. Das hat auch was zu tun mit Vertrauen in die Politik. Wenn die Bürger jeden Tag was neues lesen, fassen sie sich an den Kopf und fragen, warum das eigentlich alles so sein muss.

    Kößler: Hilft es uns denn weiter, die Vermögenssteuer zu erhöhen? Ist das der richtige Schritt?

    Schmoldt: Also, die bringt mit Sicherheit nicht das, was unter der sogenannten ‚Gerechtigkeitslücke' diskutiert wird, weil ja die Vermögenssteuer so, wie sie derzeit besteht, nach Feststellung des Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig ist. Wenn man das nimmt, dass sowohl der Bundesverfassungsrichter, der seinerzeit mit an diesem Urteil gewirkt hat, sagt, was die Wirtschaftsinstitute sagen, ist der Aufwand mit der Erhebung einer neuen Vermögenssteuer mit Sicherheit nicht viel geringer als das, was man dann an 3,6 Milliarden 1996 zuletzt bekommen hat. Viel wichtiger wäre, dass man die Kapitalerträge besteuert, dass man europäisch sich verabredet, um Kapitalflucht zu verhindern, als über die Vermögenssteuer so viel zu philosophieren, wie das derzeit getan wird.

    Kößler: Wie beurteilen Sie den heutigen Streit innerhalb der Sozialdemokraten - jetzt mal ganz abgesehen davon, dass er mitten in das Sommerloch fällt? Ist er dazu angetan, das Vertrauen zu verspielen in der Bevölkerung?

    Schmoldt: Ich würde zumindest sagen, dass er das Vertrauen nicht erhöht. Ich kann die eine oder andere Äusserung auch nicht ganz nachvollziehen. Ich denke, man hat vom Bürger einen Auftrag im September vergangenen Jahres bekommen, der heisst: Mehr soziale Gerechtigkeit, der heisst Bündnis für Arbeit, Ausbildung, Wettbewerbs-fähigkeit. Wenn alle am gleichen Strange ziehen würden, dann hätten wir eine gute Chance, diesen Standort Deutschlands zukunftsfähig, wettbewerbsfähig zu machen. Und dann muss man nicht permanent über andere neue Dinge reden.

    Kößler: Wir haben vorhin schon einmal die Kritik des Deutschen Gewerksschafts-bundes erwähnt, Herr Schmoldt. Die SPD hat diese Kritik zurückgewiesen. Glauben Sie, der DGB sollte masshalten mit seiner Kritik?

    Schmoldt: Natürlich ist es das legitime Recht des DGB, Ankündigungen und Massnahmen der Bundesregierung zu kritisieren. Nur ich plädiere dafür, dass wir bei unserer Kritik erst einmal alles insgesamt betrachten. Und bei der Steuerreform darf man eben nicht nur auf die aktuelle Diskussion der Unternehmenssteuerreform abstellen, sondern man muss auch die zu Beginn des Jahres erfolgte Steuerentlastung reden. Und wenn man alles zusammennimmt und dazu noch das betrachtet, was auch für die nächsten Jahre angekündigt worden ist, dann halte ich diese Kritik nicht für berechtigt.

    Kößler: Ihr Kollege vom Deutschen Gewerkschaftsbund aus Sachsen-Anhalt, Jürgen Weissbach, hat sich dafür ausgesprochen, dass die Gewerkschaften das Bündnis für Arbeit scheitern lassen sollten, wenn Kanzler Schröder keinen anderen Kurs in der Sparpolitik einschlägt. Halten Sie das für besonders konstruktiv?

    Schmoldt: Das halte ich mit Sicherheit nicht für konstruktiv, ganz im Gegenteil. Wir können nicht diese Frage zur wahlentscheidenden Frage des vergangenen Jahres machen und dann kann jeder X-beliebige DGB-Vertreter solche Ankündigungen von sich geben. Das hat er auch gar nicht zu entscheiden, sondern - wenn überhaupt - ist das eine Frage des DGB-Bundesvorstandes, und nicht eine Frage, die irgendein Bezirksvorsitzender zu beantworten hat.

    Kößler: Wenn ich Sie richtig interpretiere, Herr Schmoldt, sind Sie dafür, dass die Gewerkschaften auf die neuen Herausforderungen einstellen müssen.

    Schmoldt: Mit Sicherheit müssen wir das. Es gibt vielfältigen Veränderungsbedarf. Die Welt um uns herum hat sich verändert, wir müssen uns verändern. Wenn wir das nicht tun, werden wir mit Sicherheit zu den Verlierern zählen.

    Kößler: Was heisst denn das konkret? Die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten, oder?

    Schmoldt: Wir haben ja in der Tarifpolitik schon einen guten Weg beschritten. Wir sind bereit, flexiblere Bedingungen für die Betriebe zu ermöglichen. Diesen Weg müssen wir fortsetzen. Die Bundesregierung muss die sozialen Sicherungssysteme reformieren. Wir müssen darüber nachdenken gemeinsam, wie wir Ausbildung in Deutschland wieder so gestalten können, dass jeder junge Mensch auch eine Zukunft hat und damit auch die Wirtschaft qualifizierte Beschäftigte und Arbeitnehmer. Und wenn man das alles zusammennimmt und auch bereit ist, sich selber in der einen oder anderen Ecke zu bewegen, dann - glaube ich - können wir das gut nachvollziehen, was in anderen Ländern um uns herum auch unter der Überschrift ‚Bündnis für Arbeit' erfolgreich gemacht wurde.

    Kößler: Aber der Lohnabschluss von 3 Prozent in der letzten Tarifrunde war ja nicht sehr verheissungsvoll?

    Schmoldt: Er war zumindest nicht kein sehr innovativer Abschluss. Aber er war notwendig, weil es auch darum geht, Einkommen der Beschäftigten zu sichern. Nur müssen wir wieder mehr die innovativen Elemente der Tarifpolitik stärken.

    Kößler: Glauben Sie, Herr Schmoldt, dass Herr Schröder stark genug sein wird, seinen Kurs durchzusetzen?

    Schmoldt: Davon bin ich überzeugt, das hat er ja schon an anderer Stelle bewiesen. Und es wäre gut, wenn das jeder weiss und nicht permanent darüber nachdenkt und diese Frage stellt.

    Kößler: In den Informationen am Morgen war das Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

    Schmoldt: Bitte sehr.