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Die Zeichnerin Sarah Glidden
Comics gegen die Spaltung der Gesellschaft

Die Comic-Zeichnerin Sarah Glidden versucht mit ihren Anti-Trump-Cartoons, Aussagen des US-Präsidenten zu Muslimen und Flüchtlingen zu widerlegen. Auf ihrer Lesereise durch Deutschland stellt Glidden zudem ihre Comic-Reportage aus dem Nahen Osten vor.

Von Andrea Heinze | 22.02.2017
    Die Comiczeichnerin Sarah Glidden
    Die Comiczeichnerin Sarah Glidden (Sarah Shannon / Reprodukt)
    Als Sarah Glidden vor sechs Jahren in den Nahen Osten reiste, war die Welt dort eine andere: in Syrien herrschte Frieden und zehntausende Iraker waren dorthin geflüchtet vor den Terroranschlägen und den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen, die immer wieder ihre Heimat unsicher machten. Dass nur drei Monate nach ihrer Abreise in Syrien erbitterte Kämpfe losgehen könnten, daran hat Sarah Glidden nicht im Traum gedacht.
    "Damaskus war einer der freundlichsten Orte in Syrien. Allerdings wurde im ganzen Land nicht über Politik gesprochen - vor allem nicht mit irgendwelchen westlichen Journalisten, die man gerade erst kennen gelernt hatte. Wir waren zwei Monate unterwegs und es war klar, dass die uns nicht ihre dunklen Ängste vor Assad und seiner Regierung anvertrauen würden. Im Libanon war das ganz anders: Wir waren zehn Tage in Beirut und alle jungen Leute da wollten mit uns ständig über Politik reden. Aber die Syrer hatten Angst. Deshalb haben wir nicht gemerkt, was da los war - als dann der Krieg ausbrach, das war wirklich schockierend."
    Comic statt Twitter
    Cover der Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges" von Sarah Glidden
    Für ihre Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges" reiste Sarah Glidden durch den Nahen Osten und sprach mit Flüchtlingen. (Reprodukt / Sarah Glidden)
    Und machte mehr als zehn Millionen Syrer zu Flüchtlingen. Was das bedeutet, kann Sarah Glidden gut nachvollziehen: in Syrien, im Irak und in der Türkei hatte sie recherchiert, wie Flüchtlinge leben, die vorm Irakkrieg geflohen sind. Als Donald Trump Ende Januar ein Dekret erlässt, mit dem das Flüchtlingsprogramm der USA gestoppt werden soll, ist sie wütend.
    "Ich hatte das Gefühl, ich muss etwas tun. Trump sagte so Sachen wie: 'wir wissen überhaupt nicht, wer da kommt; diese Flüchtlinge werden überhaupt nicht kontrolliert' - aber das stimmt nicht. Ich habe recherchiert, dass nicht nur deren Dokumente kontrolliert werden, die werden zwei Jahre lang immer wieder befragt, bis die ihren Flüchtlingsstatus haben. Ich hab dann angefangen, Informationen über Twitter zu verbreiten. Und dann dachte ich: okay, wenn ich das tweete, dann sehen das ein paar Leute - aber wenn ich einen Comic darüber zeichne, gucken sich das vielleicht ein paar Leute mehr an - und es wird vielleicht mehr geteilt."
    Comic-Sarah schreit es heraus
    Der aktuelle Comic-Cartoon zeigt nichts anderes als Sarah Glidden höchstselbst mit einfachen aber nachdrücklichen Strichen gezeichnet, die all das erzählt, mitunter geradezu rausschreit, was sie recherchiert hat: dass die USA nur geflüchtete Familien aufnehmen und keine allein reisenden Männer und das die USA nicht einmal ein Prozent der Flüchtlinge aufnehmen.
    "Wir reden zu hause gern über die Blase: wenn du liberal und fortschrittlich bist, liest du eben nur spezielle Zeitungen und folgst auch auf Twitter nur bestimmten Leuten. Und wenn du Trump unterstützt, liest du komplett andere Sachen. Insofern, die Leute, die mich lesen, die glauben mir. Aber ich habe im Moment nicht die geringste Ahnung, wie man all die anderen Menschen erreichen kann - ich glaube das versuchen wir gerade alle herauszufinden."
    Sarah Glidden selbst hat eine Aktion gestartet, bei der sie ihre Zeichnungen an all die Menschen verschenkt, die 50 Dollar an eine Flüchtlingsorganisation spenden.
    Bequeme Demokraten wachgerüttelt
    "Amerika ist rassistisch. Es gibt so viele, die definitiv nicht wollen, dass die weiße Vorherrschaft aufhört. Und Trump gibt denen das Gefühl, dass diese Haltung okay ist. Wir haben in den USA einen Anstieg an Gewalt gegen Moslems, gegen Afro-Amerikaner und überhaupt gegenüber Minderheiten. Ich kenne persönlich Menschen, denen gesagt wurde, sie sollen nach Hause gehen, obwohl sie in den USA geboren wurden, die aber einfach nicht weiß und blond sind. Trump gibt den Leuten eine Stimme, die glauben, dass die USA eine weiße Nation ist und das ist gefährlich. Aber es ist wichtig, dass wir uns bewusst werden, dass es eben auch diese Stimmen gibt. Jetzt wissen wir, wer unser Feind ist."
    Es ist ein bisschen so, als hätte die Wahl von Donald Trump Sarah Glidden und viele andere liberale Amerikaner wachgerüttelt. Die, denen es gut geht in Amerika, die nicht am eigenen Leib erfahren müssen, was es heißt, ausgegrenzt zu werden und die es sich in der Demokratie so bequem gemacht hatten, dass sie sich kaum noch engagierten. Sarah Glidden veröffentlicht jetzt Cartoons, in denen sie Trumps Aussagen richtigstellt. Ob das hilft, Hass gegen Minderheiten und die Spaltung der Gesellschaft zu verhindern?
    "Man kann einfach nicht vorhersagen, was passieren wird. Die meisten Journalisten, die sich bestens mit Politik auskennen, haben nicht vorausgesehen, dass Trump die Wahl gewinnen wird. Und ich weiß auch nicht, was kommt. Aber ich hoffe, dass die Leute in den USA so engagiert bleiben, wie sie das im Moment sind. Es gibt gerade so viel bürgerliches Engagement und ich hoffe, das bleibt so während der ganzen Amtszeit von Trump und auch, wenn danach ein demokratischer Kandidat Präsident wird. Wir haben uns lange nicht mehr so politisch beteiligt und wir sollten weiter die Verantwortung übernehmen."
    "Im Schatten des Krieges - Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei" - von Sarah Glidden, Reprodukt Verlag, 29 €
    Lesungen:
    • Mittwoch, 22. Februar | 20 Uhr
    Berlin - Lesung und Gespräch mit Thomas Hummitzsch.
    Reprodukt bei Ex-Rotaprint, Projektraum, Gottschedstraße 4, D-13357 Berlin
    Eintritt: 5 EUR, ermäßigt: 3 EUR
    • Donnerstag, 23. Februar | 20 Uhr
    Hamburg - Lesung und Gespräch mit Christiane Möller-Lobeck im Rahmen der Neueröffnung von Strips & Stories.
    Kölibri - Kulturzentrum St. Pauli, Hein-Köllisch-Platz 12, D-20359 Hamburg
    Eintritt gegen Spende www.strips-stories.de
    • Freitag, 24. Februar | 19 Uhr
    Frankfurt am Main - "In die Realität: Mit Graphic Journalism gegen das Vergessen”, Lesung und Gespräch mit Patrick Bahners ("FAZ”).
    Bildungsstätte Anne Frank, Hansaallee 150, D-60320 Frankfurt am Main bs-anne-frank.de
    • Samstag 25. Februar | 18 Uhr
    Berlin - Buchpräsentation und Signierstunde bei Modern Graphics Kastanienallee.
    Modern Graphics, Kastanienallee 79, D-10435 Berlin
    Eintritt frei www.modern-graphics.de
    • Dienstag, 28 Februar | 18:30 Uhr
    Wien - Lesung und Gespräch mit Dr. Cengiz Günay, Dr. Hannes Swoboda und Professor Heinz Gärtner.
    International Institute for Peace, Möllwaldplatz 5/2, A-1040 Wien
    Eintritt frei