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Die zwei Seiten des "grünen Stroms"

Ob Mais oder Raps: Immer mehr Landwirte bauen Pflanzen an, um daraus "Futter" für die Biogasanlage zu erzeugen. Das Bundesamt für Naturschutz hat nun darüber diskutiert, wie der großflächige Anbau von Energiepflanzen sowie Windräder und Photovoltaik-Anlagen in die Landschaft passen.

Von Susanne Kuhlmann | 28.02.2011
    Ruhrgebiet, Saarland, Lausitz – früher wurde Energie zum Heizen und für die Stromproduktion vor allem in den Stein- und Braunkohlegebieten gewonnen. Seit die erneuerbaren Energiequellen dazugekommen sind – Sonnen- und Windkraft sowie Biomasse – verwandelt sich ganz Deutschland in ein Energiegewinnungsgebiet. Immer mehr Flächen werden dafür gebraucht, und das verändert das Landschaftsbild und führt zu Konkurrenz um Flächen. Effekte, die sich wohl noch erheblich verstärken werden, weil Deutschland seinen Strom bis 2050 ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewinnen will. Zum einen, um unabhängiger von Öl, Erdgas und Kernenergie zu werden, zum anderen aus Klimaschutzgründen. Eine Herausforderung für Landschaftsplanung und Naturschutz.
    "Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass jeder, der Energie verbraucht, auch Energiegewinnungsanlagen sehen wird, in Form von Photovoltaikanlagen, in Form von Windenergieanlagen. Das ist ein Umgewöhnungsprozess, aber das ist eine Folge unserer Lebensweise, dass wir Energie verbrauchen."

    Bernhard Gillich ist Fachsprecher Landschaftsplanung im Bund Deutscher Landschaftsarchitekten. Für Windräder, Freiland-Photovoltaikanlagen und Felder zum Biomasseanbau sollen Flächen dort ausgewiesen werden, wo sie möglichst wenig stören. Vor allem der Maisanbau für die Produktion von Biogas läuft aber zurzeit völlig ungesteuert ab. Äcker werden zu Maismonokulturen, weil die Landwirte für nachwachsende Rohstoffe viel mehr Geld bekommen als für Getreide oder Gemüse. Zum 1.1.2012 soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz novelliert werden. Dann muss unter anderem eine entscheidende Stellschraube neu justiert werden, der Bonus für nachwachsende Rohstoffe, sagt Prof. Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz.

    "Hinzu kommen Windkraftanlagen. Die haben wir schon seit vielen Jahren in der Landschaft. Aber diese Anlagen werden immer höher, immer leistungsfähiger. Repowering nennt man das. Das heißt auch, dass sie stärker im Landschaftsbild wahrnehmbar werden. Große Probleme – sowohl beim Biomasseanbau als auch bei den Windkraftanlagen – gibt es in Bezug auf die Vogelwelt. Vor allem Wiesenvögel, vor allem bodenbrütende Vögel, die in Wiesenbereichen vorkommen und die einerseits ein Meidungsverhalten zeigen gegenüber Windkraftanlagen, andererseits aber durch den Biomasseanbau. Da gibt es häufig Kulturen, die zweimal im Jahr abgeerntet werden. Da kann keine bodenbrütende Vogelart mehr überdauern."
    Manchmal profitieren Tiere und Pflanzen auch von Anlagen zur Energiegewinnung. Wird eine Freiland-Photovoltaikanlage auf einem ehemals intensiv genutzten Acker errichtet, kann darunter wieder Grünland wachsen. Viel häufiger zerstören diese Anlagen aber Naturräume, die sich zum Beispiel auf verlassenen Truppenübungsplätzen entwickeln konnten.

    "Dadurch, dass diese Flächen eine zeitlang aus der Nutzung waren, konnten sich da unter Umständen sehr wertvolle Bereiche für die Natur entwickeln. Das ist ein Punkt, wo man sich mehr über Kriterien klar werden muss: Wo können sie zugelassen werden, und wo sollten sie ausgeschlossen werden, weil wir für den Naturschutz wertvolle Bereiche haben."

    Der Umbau Deutschlands zum Energiegewinnungsland kollidiert mit einem weiteren Ziel der Bundesregierung: der Anpassung an den Klimawandel. Hier sind vor allem die Städte im Focus der Planer. Landschaftsarchitekt Bernhard Gillich:

    "Durch Sanierungsmaßnahmen, durch Reduzierung des Verkehrs, durch Photovoltaik auf den Dächern muss im städtischen Umfeld möglichst viel getan werden. Der Klimawandel heißt für die Städte in der Regel: höherer Hitzestress, weniger Kaltluftzufuhr in der Nacht. Eine Anpassungsstrategie für die Städte in Bezug darauf ist, möglichst viele Grünflächen erhalten oder schaffen."

    Auch für den Naturschutz wird mehr freie Fläche benötigt, zum Beispiel als Hochwasserschutz. Beate Jessel:

    "Egal ob man bei technischen Maßnahmen ansetzt und höhere Deiche baut oder ob man sagt – was ich aus Naturschutzsicht für sinnvoller erachte – wir geben den Flüssen wieder mehr Raum, um Hochwasserspitzen abzumindern; all das sind Raum und Flächen beanspruchende Maßnahmen. Wir brauchen auch für den Naturschutz besser funktionierende Biotopverbundsysteme. Das ist eine wichtige Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel, um Arten das Wandern und das Ausweichen zu ermöglichen."

    Und die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen.