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Die zweite Afghanistan-Konferenz in Petersberg

Meurer: Zum zweiten Mal ist heute der Petersberg bei Bonn Schauplatz einer großen Afghanistan-Konferenz. Vor einem Jahr wurde dort nach zähem Ringen zwischen den verschiedenen Gruppierungen eine Übergangsregierung aus der Taufe gehoben. Diesmal dauert die Afghanistan-Konferenz nur einen Tag. Außenminister Joschka Fischer wird sie leiten. Wichtigster Gast ist der afghanische Präsident Hamid Karsai. Welche Unterstützung erwartet die afghanische Regierung von der internationalen Staatengemeinschaft? Am Telefon begrüße ich Abed Najib von der afghanischen Botschaft in Berlin. Guten Morgen, Herr Najib.

    Najib: Schönen guten Morgen.

    Meurer: Was ist denn eigentlich der entscheidende Unterschied zwischen der ersten und der jetzigen Konferenz, Ihrer Meinung nach?

    Najib: Ich glaube, der entscheidende Unterschied ist, dass man eine Bestandaufnahme über das, was seit einem Jahr in Afghanistan vorgegangen ist, macht. Erstens. Und zweitens, hat die internationale Gemeinschaft ihr Versprechen gegenüber dem afghanische Volk gehalten oder nicht? Das wird eine Bestandaufnahme sein.

    Meurer: Wie fällt denn Ihre Bilanz nach einem Jahr aus?

    Najib: Ich glaube, das was die afghanische Regierung im letzten Jahr nach 23 Jahren Krieg gemacht hat, und zwar sowohl das was innen als auch außen gezeigt worden ist, ist die Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Nicht alleine Afghanistan, sondern die internationalen Gemeinschaft und darüber hinaus auch die Nachbarstaaten. Zweitens ist das was an Vorschriften in Afghanistan gemacht worden ist, ist eben keine militärische Auseinandersetzung in der großen Weise wie es früher war. Die große Einmischung von außen, die es früher gab, die hat aufgehört. Und die internationale Gemeinschaft hat ihre ganze Unterstützung für den Wiederaufbau gegeben: Innere Sicherheit, eine nationale Armee, die Bildung und Ausbildung von mehreren tausenden Schülerinnen und Schüler in Afghanistan. Die Universität ist wieder geöffnet worden, Rundfunk und Fernsehen funktioniert wieder. Die Menschen atmen eine Friedensluft, so kann man sagen.

    Meurer: Atmen die Menschen die Friedensluft auch in den Provinzen? Über das Wochenende haben wir wieder von neuen Kämpfen zwischen Paschtunen und Tadschiken gehört. Wie ist es also um die Sicherheitslage bestellt?

    Najib: Ich glaube nicht, dass die Kämpfe, die in letzter Zeit stattgefunden haben, wie sie erwähnt haben, zwischen Paschtunen und Tadschiken waren, sondern, da muss man so denken: Das Zentrum des Terrorismus in Afghanistan ist gespalten worden. Das gibt es nicht mehr so wie es früher vor einem Jahr war, aber die kleinen Splitter sind noch dort. Die werden weiter arbeiten und sich weiter dafür einsetzen, Unheil anzurichten. Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft und auch die afghanische Regierung sich bemühen werden, und alle werden sich dafür einsetzen, dass der Restbestand der Gruppierungen nicht mehr vorhanden ist und dass diese nicht mehr solche Probleme machen können.

    Meurer: Es hat ja damals auch im Anschluss an die erste Petersberg-Konferenz eine Geberkonferenz gegeben, Herr Najib. Haben eigentlich alle Geberländer das eingehalten was sie Ihnen versprochen haben?

    Najib: Zum Großteil schon. Ich sage das erst einmal der Bundesrepublik Deutschland: Wir haben einen ganz großen Dank auszusprechen. Alleine dass die Veranstaltung im letzten Jahr in Petersberg stattgefunden hat, dass das Fundament für einen Frieden in Afghanistan hier gelegt worden ist. Wir sagen einen ganz großen Dank im Namen des afghanischen Volkes. Das zeigt auch das zweite Petersberger Treffen, das in Deutschland stattfinden wird. Natürlich haben auch andere Staaten ihre Hilfe geleistet. Das wichtige Fundament aber, was in Afghanistan gemacht werden soll, dass die Menschen wieder Arbeit haben, dass die Menschen wieder Stromversorgung und langfristig Arbeit haben, alle Möglichkeiten die die Menschen vor Ort sehen, dass der Frieden nicht alleine nur ein Name ist sondern auch durch Taten umgesetzt wird, das ist unheimlich wichtig.

    Meurer: Wo brauchen Sie da noch Hilfe und Unterstützung? Zum Beispiel wenn ich sagen würde: Früher betrug die Einwohnerzahl in Kabul 500.000 Menschen. Jetzt haben wir fast über 2,5 Millionen, und die brauchen Stromversorgung. Das ist der Frieden, den die Menschen suchen. Das ist eben leider nicht vorhanden. Die brauchen Unterkünfte. Da sind fast über eine Millionen Flüchtlinge von den anreihenden Staaten zurückgekehrt. Die brauchen Unterstützung. Die Häuser sind alle zerstört. Das ganze Versorgungssystem funktioniert nicht. Das ist das was die Menschen sehen wollen, und das muss umgesetzt werden. Das muss dringend vor dem Winter in den Gebieten, wo es wirklich Probleme gibt geholfen werden. Dort hat es keinen Regen gegeben, aber viele Minen, so dass viele Landwirte ihren Acker nicht bearbeitet haben. Da muss wirklich dringend geholfen werden, bevor der harte Winter kommt. Das ist das was die Menschen brauchen.

    Meurer: Ist das alles, was Sie uns jetzt geschildert haben, Herr Najib, der Grund, warum die überwältigende Mehrheit der 80.000 Exilafghanen in Deutschland nicht zurückgeht oder noch nicht zurückgegangen ist?

    Najib: Ich glaube, dass einige unserer Landsleute, die in Europa, besonders in Deutschland sind, schon auch bereit sind, nach Afghanistan zu gehen. Sie gehen auch nach Afghanistan zurück, wenn man ihnen eine Realität vor Ort ermöglicht. Man muss bedenken, dass viele Afghanen, die in Europa und besonders in Deutschland leben, die letzten 10 oder 20 Jahre ihre Existenzen aufgebaut haben. Die haben viele Kinder, erwachsene Kinder, die zur Schule gehen, Universitäten besuchen. Diese Möglichkeiten hat man zur Zeit in Afghanistan nicht in der Größenordnung, dass man diese Last in Afghanistan auch auf sich nimmt. Ich glaube schon, dass von beiden Seiten aus, sowohl von der afghanischen Regierung als auch von anderen Gastgeberstaaten ein vernünftiges Konzept erarbeitet werden muss, dass die Rückkehr afghanischer Flüchtlingen oder unserer afghanischen Landsleute wieder ermöglicht wird.

    Meurer: Wie viele sind denn zurückgegangen? Haben Sie da einen Überblick?

    Najib: Also, insoweit wie wir einen Überblick haben, sind fast 3.500 von Deutschland bereit gewesen, nach Afghanistan zurückzugehen und haben auch in Afghanistan eine bestimmte Aufgabe übernommen. Und einige sind auch von anderen Staaten weggegangen, was wir aber nicht genau wissen: Auch von Europa und den Nachbarstaaten, Amerika und weit darüber hinaus sind einige weggegangen. Und die sind auch dabei, eben zum ersten Mal so etwas zu machen, so weit Vorbereitungen zu treffen, dass auch die Familie nachkommt und auch die anderen Probleme, die sie vor Ort dann finden, gelöst werden können. Dann können sie erst nach Afghanistan reisen.

    Meurer: Auf dem Petersberg beginnt heute die zweite Afghanistan-Konferenz. Wir sprachen mit Abed Najib, Botschaftsrat an der afghanischen Botschaft in Berlin. Ich bedanke mich, Herr Najib, und sage auf Wiederhören.