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Dieckmann

DLF: Vor vier Wochen, genau am 1. Juli, tagte der Bundestag unter dem Motto ‚Dank an Bonn' zum letzten Mal im Plenarsaal am Rhein. In der vergangenen Woche tagte zum letzten Mal das Bundeskabinett in Bonn. Dann sind Regierung und Parlament nun endgültig und unwiderruflich in Berlin, Frau Dieckmann. Dann muß sich Bonn mit dem Ehrentitel einer ‚Bundesstadt' begnügen. Was überwiegt bei Ihnen: Wehmut oder doch auch ein bißchen Zuversicht?

Helmut Hohrmann |
    Dieckmann: Nein, es überwiegt - wenn Sie auf diese Ereignisse ansprechen - die Wehmut. Dieses waren Ereignisse mit Wehmut, obwohl es schöne Tage waren. Wir haben ein schönes Fest am 1. Juli auf dem Marktplatz gehabt. Aber neben der Wehmut gibt es ganz viel Zuversicht. Ich habe gerade in der letzten Woche eine Pressekonferenz gemacht: Die T-Mobil entscheidet, daß sie ein weiteres Grundstück in Bonn kauft, daß sie provisorische Bauten für noch einmal 600 Arbeitsplätze herstellen. Und so wiegt eigentlich die positive Entwicklung und der gelungene Strukturwandel die Wehmut ein Stück auf. Aber die Wehmut gibt es trotzdem.

    DLF: Die T-Mobil - das weist darauf hin, daß Bonn eine - wenn nicht ‚die' - Stadt für Telekommunikation in Deutschland wird.

    Dieckmann: Ja, wir haben in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung in diesem Bereich gehabt. Die Deutsche Telekom, die Post AG, die Postbank, die T-Mobil haben ihre Konzernzentralen in Bonn. Es sind etwa 15.000 neue Arbeitsplätze seit 1993 entstanden, und davon - können Sie ungefähr sagen - 10.000 im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnologien. Dies ist ein Bereich, der ein Wachstumsbereich ist. Es ist einer der wenigen Wirtschaftszweige, in denen noch ins nächste Jahrtausend hinein wachsende Arbeitsplatzzahlen prognostiziert werden. Insofern haben wir eine positive Entwicklung. Bonn hat noch nie so viel sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gehabt in seiner Geschichte, wie wir im Moment haben.

    DLF: Und nicht einmal die Mieten gehen zurück. Auch die Immobilienbranche stöhnt nicht über den Wegzug so vieler, die von Bonn nach Berlin gehen.

    Dieckmann: Nein, es gibt durchaus Leute, die bis zu diesem Jahr gewartet haben, um eine preiswerte Villa am Rhein zu bekommen. Man bekommt Villen am Rhein im Moment, aber nicht preiswert.

    DLF: Bedeutet denn das Zentrum für Telekommunikation und die Forschung auf diesem Sektor auch einen Zuzug von Besuchern nach Bonn, wie man sie ja in der Vergangenheit in bezug auf den Bundestag so gern verzeichnet hat?

    Dieckmann: Ja, also man muß das unterscheiden. Es sind ja sehr viele Menschen gekommen, die aus politischen Gründen gekommen sind: Besuchergruppen, aber auch Männer und Frauen, die aus irgendwelchen Gründen bei den Ministerien zu tun hatten. Ein Teil davon wird natürlich ersetzt. Auch zur Deutschen Telekom oder zur Postbank oder zur T-Mobil fahren die Geschäftspartner, auch da finden Veranstaltungen statt. Es wird trotzdem einen gewissen Bruch geben bei der großen Anzahl von großen Veranstaltungen, die in Bonn stattgefunden haben, weil die Parteizentralen da waren, weil man unmittelbar die politisch Verantwortlichen hier hatte, die dann eben nicht mehr reisen mußten, sondern ihren Vortrag mal eben nebenbei halten konnten. Wir gehen trotzdem im Moment davon aus, daß wir weitgehend diese Besucherzahlen ersetzen können.

    DLF: Ersetzen durch was für Personen oder Personengruppen?

    Dieckmann: Einmal habe ich eben schon gesagt, daß alles das, was im Bereich der neuen Arbeitsplätze - da wird es auch Kongresse geben, da wird es Veranstaltungen geben dann durch die Wissenschaft: Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Entwicklungsforschung, die große Kongresse machen. Aber wir haben auch sehr gezielt ein Marketing in den letzten Jahren für Touristen gemacht, die einfach mehrere Tage die Bonner Museen besuchen, die vielleicht im September zum Beethovenfest kommen, die auch die schöne Landschaft besuchen, die ins Siebengebirge fahren oder an die Ahr fahren. Das heißt, es ist ein sehr vielseitiges Paket, um das auszugleichen. Das ist übrigens auch wichtig, weil Bonn - um ein Beispiel zu nennen - 7.000 Hotelbetten hat. Andere Städte unserer Größe haben höchstens 3.000, in der Regel 2.500 bis 3.000. Und daran sieht man schon, daß es eine Überkapazität geben würde, wenn es uns nicht gelingt, das durch andere Besucher und Besucherinnen zu ersetzen. Wir sind aber da ganz optimistisch, wir haben eine Tourismus-GmbH gegründet, die dieses Marketing betreibt. Und in diesem Jahr werden wir auf jeden Fall die 1-Millionen-Übernachtungszahl erreichen, und es gibt bisher auch noch keine sichtbaren Einbrüche fürs nächste Jahr - also zum Beispiel Kongreßzentren: Der Petersberg ist gut ausgebucht, die Beethovenhalle ist ausgebucht, das MARITIM hat bis - ich weiß nicht - 2001 keinen Platz frei. Wir haben für den Plenarsaal, obwohl noch keiner weiß, wie er genau betrieben wird - das müssen wir noch entscheiden - jetzt schon 30 Anfragen für das nächste Jahr. Also, es sieht ganz gut aus.

    DLF: Stichwort ‚Bonn als internationales Kongreßzentrum' - das würde sich ja auch ranken müssen, um die Idee Bonn zu einem Treffpunkt für Nord-Süd-Begegnungen im Umkreis des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu machen. Da müßte doch ziemlich bald der Plenarbereich des Bundestages vergrößert werden. Es müßten entsprechende Hotelangebote zusätzlich kommen. Wie weit sind die Pläne in diesem Zusammenhang?

    Dieckmann: Also, es gibt eine erste Machbarkeitsstudie, es gibt aber noch keine Entscheidungen. Es ist jetzt noch mal in Auftrag gegeben worden eine Betreiberstudie, die ganz konkret nach einem Betreiber für ein solches Kongreßzentrum sucht. Und erst dann sollen die Entscheidungen getroffen werden, welche Umbaumaßnahmen nötig sind. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist für die UN-Organisationen ein Kongreßzentrum mit zwei Sälen. Das heißt, der Plenarsaal alleine reicht nicht aus, es muß noch mal ein Saal für wenigstens 800 Delegierte da sein. Pläne dafür gibt es. Aber uns als Stadt - und wir haben das auch durchgesetzt - war jetzt erst einmal wichtig zu gucken: Welche Anforderungen haben Betreiber. Die Entscheidung, ob es ein zusätzliches Hotel gibt, ist auch noch nicht getroffen.

    DLF: Wenn diese Kongreßstadt Bonn eine weiterhin auch politische Bedeutung haben möchte, dann setzt das doch voraus, daß zum Beispiel das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, daß aber auch die anderen fünf hier verbleibenden Ministerien die zu ihrem Ressort passenden Kongresse hier abhielten. Ist nicht aber - unter dem Stichwort ‚Rutschbahneffekt' - doch die Neigung zu verspüren, solche Dinge nach Berlin zu verlagern?

    Dieckmann: Also, ich kann den ‚Rutschbahneffekt', außer daß immer darüber geredet wird, bisher überhaupt nicht beobachten. Es gibt eine gesetzliche Grundlage, es gibt ein Gesetz, wer in Bonn bleibt, welche Ministerien in Bonn bleiben. Und ich habe eher den Eindruck, daß im Moment der Umzug ein sehr kompliziertes Verfahren ist - und auch ein teures Verfahren -, und eigentlich keiner darüber nachdenkt, wann das nächste folgen könnte. Es gibt ja auch keine Gebäude dafür in Berlin, es gibt kein Personalkonzept dafür. Das ist ja ein sehr ausgefeiltes Konzept. Was eintreten wird - und da machen wir uns auch keine Illusionen drüber -, daß natürlich auch die Minister und Ministerinnen der Bonner Ministerien nicht selten in Berlin sind. Die müssen zu Bundestagssitzungen da sein, die müssen zu Kabinettssitzungen da sein. Und ich gehe auch davon aus, daß die eine oder andere Veranstaltung auch dieser Ministerien, auch die eine oder andere Pressekonferenz vielleicht mal in Berlin stattfinden wird. Das ist für mich aber auch kein Problem. In Zukunft wird dieses Land von zwei Städten aus regiert mit dem Schwerpunkt in Berlin, und ich glaube, daß auch die Bonner Ministerien in Berlin präsent sein müssen. Das tut aber Bonn auch keinen Abbruch, sondern ich gehe davon aus, daß es da eine positive Zusammenarbeit gibt. Ich werde mich auf keinen Fall auf kleinteilige Diskussionen einlassen, ob der eine oder andere Mitarbeiter oder die eine oder andere Mitarbeiterin mehr da ist oder hier ist. Das wird sich einspielen, das wird auch Korrekturen geben. In jeder Verwaltung muß es auch Korrekturen, Neuorganisationen geben. Ich habe in den letzten fünf Jahren in Bonn sehr viele Dinge geändert in der Verwaltungsstruktur. Das wird auch auf Bundesebene nötig sein, und da können wir nicht immer schreien. Weil vor sieben Jahren das Gesetz gemacht worden ist, darf man nicht mehr darüber nachdenken, ob jede Struktur noch stimmt. Was für uns wichtig ist am Ende: Daß die Politikbereiche, die für Bonn festgelegt sind, hier bleiben, weil wir da eben Synergieeffekte drum entwickeln.

    DLF: Wie weit ist Bonn bereits auf dem Wege zu einer UN-Stadt vorangeschritten? Manchmal wird etwas abfällig über die Sekretariate, die sich hier angesiedelt haben - Klima-On-Konvention, Wüstensekretariat - gesprochen. Glauben Sie, daß diese beiden Sekretariate, um nur mal die beiden zu nennen, eine Sogwirkung ausüben können auch auf weitere Sekretariate, oder zumindest eben auf politische Gestaltung?

    Dieckmann: Also, wir hätten uns natürlich auch mehr vorstellen können. Es hat ja mal die Diskussion um die UNDP gegeben. Das ist nicht gelungen, das ist auch noch nicht ganz abgeschlossen. Aber die 350 Arbeitsplätze, die jetzt in Bonn in den hier schon vorhandenen Sekretariaten sind, beschäftigen sich mit thematisch wichtigen Fragen. Das Klima-Rahmen-Sekretariat ist sicher für Bonn nicht das entscheidende auf Grund seiner Arbeitsplatzanzahl, aber wer mal sich vorstellt eine Konferenz von Kyoto, Buenos Aires - das ist jedem im Kopf, was das ist, den Begriff kennt jeder. Diese nächste Konferenz wird im November in Bonn stattfinden. Und die Fragen, die von diesen Sekretariaten behandelt werden, sind Menschheitsfragen. Das gilt auch für das Wüstensekretariat. Das ist hier in Deutschland manchmal so abgetan worden, aber Wüstenentwicklung weltweit ist ja etwas, was nicht etwa nur die Länder betrifft, in denen das stattfindet, sondern es betrifft auch ganz konkret uns - weil nämlich Menschen nicht mehr ernährt werden können, weil Menschen in die großen Städte gehen, weil Menschen in andere Länder auswandern; Migration ist unter anderem eine Folge von Unterernährung in der Welt. Und deshalb ist das für mich eigentlich schon eine gute Grundlage. Wir werden uns natürlich auch um weitere Sekretariate bewerben. Ich habe gerade vor drei Wochen in Rom noch mal Bonn dargestellt für das Sekretariat, wo es um chemische Stoffe geht - das ja neu gegründet wird. Und ich glaube, das muß auch in Zukunft der Weg sein, daß wir uns eher um Neugründungen kümmern und uns damit beschäftigen, als irgendwo abzuwerben. Das ist auch eine Erfahrung, die wir gemacht haben: Abwerbungen rufen immer hervor die Reaktionen der Länder, aus denen man abwirbt. Wir haben eine interessante Bewerbung der Welt-Zoll-Organisation gehabt, die sehr unzufrieden in Brüssel waren, sehr schlecht untergebracht waren. Und als dann unser Angebot erfolgreich zu sein schien, hat Belgien so nachgeschoben, daß sie dann doch in Belgien geblieben sind.

    DLF: Immerhin: Es gab in Bonn bereits im Juni eine von Ihnen einberufene Welt-Bürgermeisterkonferenz gegen die Ausweitung der Wüsten in der Welt. Sie war gut besucht. Sie war noch nicht so gut besucht von deutschen Oberbürgermeistern und deutschen Journalisten. Kann man das weiter ausbauen, indem man zum Beispiel diese Signal, das Sie gegeben haben, aufgreift: Viele Städtepartnerschaften in den Industriestaaten mit Staaten in der Dritten Welt, die von der Wüstenbildung betroffen sind, herzustellen?

    Dieckmann: Ja, wir werden das aufgreifen. Das war ja die zweite Welt-Bürgermeisterkonferenz. Die erste hatte in Rom stattgefunden, damals ausgerechnet von meinem römischen Kollegen Herrn Rotelli. In Rom waren wir 30 oder 35 Kolleginnen und Kollegen; in Bonn waren es 200. Ich werde jetzt versuchen, sowohl über den deutschen Städtetag als auch über EUROCITY, wo wir Mitglied sind, auch wirklich noch einmal europäische und deutsche Städte zu solchen Partnerschaften zu motivieren. Und zwar wollen wir nicht diese klassischen Partnerschaften - ja, ich nenne es immer so -, wo die Bürgermeister sich einmal im Jahr besuchen, sondern wirklich Projektpartnerschaften an konkreten Projekten. Ich glaube, daß die deutschen Städte auch schon manches tun. Es hat uns trotzdem auch etwas überrascht, wie gering die Teilnahme war - übrigens aller nordeuropäischer Städte. Es gab ja einen sehr netten Brief, der wirklich signifikant für die Reaktionen war, wo ein deutscher Bürgermeister absagte, und dann stand da der Satz drin ...'unsere Stadt ist nicht von Wüstenbildung betroffen...'. Ich denke, das war gedankenlos. Genau das ist so ein Vorurteil, weil das Probleme sind, die eben auch die Staaten betreffen, die nicht unmittelbar von der Wüstenbildung, aber die weltweit durch die Auswirkungen betroffen sind. Also, da werden wir weiter dran arbeiten.

    DLF: Betroffen zum Beispiel durch die Migration von Menschen, die es in ihren Städten in der Dritten Welt nicht mehr aushalten.

    Dieckmann: Ja, das ist einmal Migration, aber zum Beispiel auch Krisen, Kriegsgebiete, Hungersnöte - wo wir dann plötzlich anfangen, Spenden zu sammeln, auch ja denn mit - Gott sei Dank - hohem Spendenaufkommen in der Bundesrepublik. Aber letztlich ist das natürlich der falsche Weg. Wir müssen da anfangen, daß diese Situationen gar nicht entstehen. Und natürlich sind eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen in Afrika auch Folgen von Destabilisierung, die unter anderem durch Unterernährung, Hunger und Migration eintritt.

    DLF: Frau Dieckmann, sind die Städte in der Bundesrepublik aber nicht gedanklich tatsächlich überfordert, weil überall der Rotstift regiert, weil überall gespart werden muß? Und eine wirkliche Städtepartnerschaft, die helfen könnte, würde ja auch zumindest Reisekosten, zumindest die Freistellung von qualifiziertem Personal bedeuten.

    Dieckmann: Also, ich kann nur sagen: Wer an einer solchen Konferenz teilgenommen hat und zugehört hat, was Bürgermeister anderer Städte berichten, der wird ganz bescheiden und hört auch ein bißchen auf, sich zu beschweren über unsere Finanzsituation. Ich bin aus diesen zwei Tagen in Bonn rausgegangen wirklich mit dem Gefühl: Was tust Du da eigentlich manchmal in Deiner eigenen Stadt - wenn Sie hören, mit welchen Problemen sich diese Städte in der Welt herumschlagen. Da geht es nicht mal eben um ein zusätzliches Schwimmbad oder um die Sporthalle, da geht es darum daß ganze Wohngebiete kein Wasser haben, daß es keine Abfallentsorgung gibt, daß es keine Grundversorgung der Bevölkerung gibt, daß es Analphabetismus gibt. Und ich glaube, daß wir dann auch noch mal kritisch hinterfragen, ob wir nicht doch ein bißchen auch aus unseren städtischen Haushalten zur Verfügung stellen können, um solche Projekte zu fördern. Und wir müssen ja nicht die einzelnen Projekte zahlen; dafür gibt es Organisationen, mit denen wir ja auch zusammenarbeiten, das ist ja auch eine Idee dieser Konferenz gewesen. Ich kann nur sagen: Es würde uns allen sehr gut tun, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Städte, die angeblich - und das sind wir ja auch - hoch verschuldet sind, mal zu sehen, auf welch hohem Niveau unsere Probleme abgehandelt werden.

    DLF: Stichwort - noch einmal - ‚Rotstift': Sie sind als Stadt Bonn, als Bundesstadt Bonn, vom Rotstift Hans Eichels - Sie würden sagen ‚Gott sei Dank' - verschont geblieben. Die Ausgleichsfinanzierung der Stadt ist gesichert mit den 2,81 Milliarden Mark des Bundes?

    Dieckmann: Ja, also es gibt einen Vertrag darüber. Die Ausgleichsfinanzierung ist gesichert. Verschont geblieben sind wir natürlich auch nicht. Wir haben über die ‚Bonn - Vereinbarung' verhandelt, denn in Bonn wird es ja auch noch gesamtstaatliche Repräsentationen geben. Aber wir sind natürlich auch durch andere Maßnahmen betroffen, zum Beispiel die Folgen von Wohngeldkürzungen auf die Städte. Ich glaube selbst trotzdem, daß der Ansatz des Finanzministers Hans Eichel im Grundsatz richtig ist. Es wird sicher noch Korrekturen bis zur Verabschiedung des Haushalts geben. Aber eine Haushaltspolitik, wie der Bund sie bisher gemacht hat, läßt sich nicht fortsetzen. Wenn jede vierte Mark aus Steuereinnahmen an Banken geht, dann stimmt etwas an dem System nicht mehr - übrigens eine Erfahrung, die wir als Städte ja schon viel früher gemacht haben. Wir sind auch hoch verschuldet; Bonn ist eine hochverschuldete Stadt, und irgendwann muß man sich einfach überlegen, ob man wirklich so viel Zinsen bezahlen will, daß man sonst nichts mehr machen kann, oder ob man nicht seine Finanzen in Ordnung bringt. Insofern trage ich im Grundsatz den Weg Eichels mit.

    DLF: Nun haben Sie am 12. September Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und auch in Bonn. Das erste Mal sollen Sie direkt gewählt werden - das ist eine Änderung der Kommunalverfassung in Nordrhein-Westfalen. Sind Sie guten Mutes, oder haben Sie ein bißchen Bedenken, daß Sie das ‚ausbaden' müssen, was in Bonn bzw. in Berlin in Zukunft von Ihren eigenen Parteifreunden beschlossen wird?

    Dieckmann: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Bonn ist nie eine Stadt gewesen, in der es ganz stabile sozialdemokratische Mehrheiten gegeben hat. Ich bin die erste sozialdemokratische Oberbürgermeisterin in Bonn. Insofern ist Bonn keine sichere Stadt für Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Mir schlägt andererseits entgegen - und ich bin ja im Moment schon seit Wochen im Wahlkampf, und ich bin aber auch sonst viel unterwegs, viel bei den Menschen gewesen -, daß doch viele mir sagen: ‚Sie haben gute Arbeit gemacht, das war ok in den fünf Jahren, Bonn hat wieder Mut bekommen, Bonn hat eine gute Situation'. Natürlich erlebe ich auch ganz viel bei den Infoständen, aber auch in Versammlungen, daß nach der Bundespolitik gefragt wird. Aber das Problem scheint mir nicht zu sein das Sparpaket Hans Eichels - im Moment -, sondern das Mißtrauen gegenüber der Bundesregierung ist eigentlich in den Monaten vorher entstanden, als manche Entscheidungen nicht so gut vorbereitet waren und schlecht verkauft worden sind. Bei dem Finanzpaket habe ich eher den Eindruck - auch wenn es mal den einen oder anderen trifft -, daß die Leute sehr wohl verstehen, daß eine solche Verschuldung nicht tragbar ist. Ich habe das schon selbst bei der Haushaltssanierung in Bonn in vielen Gesprächen erlebt: Die Leute verstehen ganz genau, wenn man eine gewisse Schuldengrenze erreicht hat - das ist nämlich bei ihrem eigenen Haushalt genau so, daß man dann gucken muß, was man noch finanzieren kann. Und dann kann man vielleicht in dem Jahr, in dem man sich ein Auto kauft, nicht einen Urlaub noch gleichzeitig machen. Oder wenn man gerade ein Haus finanziert, kann man nicht ein teures Auto kaufen. Das ist etwas, was jeder Private aus seinem privaten Haushalt kennt, nur öffentlich haben wir es beiseite geschoben. Und das ist das, was ich versuche, zu erklären. Aber sicher ist man vor einer Wahl nie. In der Demokratie entscheiden die Wähler und Wählerinnen. Ich sage aber: Ich wünsche mir, daß ich am 12. O9. das Vertrauen der Bonner und Bonnerinnen noch einmal bekomme. Ich würde gerne meine Arbeit noch fortsetzen.

    DLF: Ein bißchen Mißtrauen ist gewiß auch in der Bonner Bevölkerung wahrscheinlich entstanden, weil einige exponierte Mitglieder der rot-grünen Bonner - und in Zukunft Berliner - Bundesregierung sich doch sehr erleichtert über den Umzug geäußert hatten, siehe Bundeskanzler Gerhard Schröder oder siehe Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der ja eigentlich mit seinem Ministerium in Bonn bleiben sollte. Ist diese Skepsis berechtigt, oder zeigen andere Gespräche das Gegenteil?

    Dieckmann: Wissen Sie, ich will auch da ganz gerne unterscheiden. Die Mitglieder der Regierung und des Deutschen Bundestages, die jetzt hier in Bonn diese Legislaturperiode angefangen haben, für die war Bonn nur noch ein Übergang. Die wußten im September/Oktober 98, sie würden noch ein halbes Jahr hier sein oder acht oder neun Monate. Ich kenne Abgeordnete, die haben gar keine Wohnung mehr genommen; die haben bei Freunden gewohnt. Ich kenne auch viele, die sich auf Berlin freuen, und das kann ich auch verstehen. Ich glaube, daß Berlin eine Stadt ist mit einem großen Reiz, die sich interessant entwickelt. Und es gibt auch Minister, zum Beispiel Joschka Fischer, der das sehr gut erklärt hat, der gesagt hat: Er kommt vom Land, ist dann nach Frankfurt gegangen - und er hat gerne große Städte. Der Bundeskanzler hat sich vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt: Es geht eben nicht um die Frage, daß er sich auf Berlin freut. Das ist nicht das Bonner Problem. Es gibt auch Bonner und Bonnerinnen, die nach Berlin gehen und sich inzwischen darauf freuen. Sondern daß wirklich anerkannt wird die Rolle, die Bonn gespielt hat, und daß Bonn nicht - weil ich mich auf Berlin freue - abgetan werden muß. Aber ich denke, daß der Bundeskanzler nach diesen unbedachten Äußerungen doch in mehreren Bonner Auftritten auch deutlich gemacht hat, daß vielleicht einfach die Worte schlecht gewählt waren. Er war am 1. Juli hier auf dem Marktplatz, er hatte in einer wirklich guten Veranstaltung uns dann die Moore-Plastik hier in Bonn übergeben. Er hat die Abschiedstour, seine Fahrradtour hier gemacht. Noch einmal: Es geht nicht um Berlin gegen Bonn oder umgekehrt. Natürlich gibt es viele, die sich auf Berlin freuen, aber wir in Bonn wünschen uns, daß auch das, was hier geleistet worden ist, anerkannt wird.

    DLF: Wird neben der von Ihnen erwähnten Nord-Süd-Zusammenarbeit auch die ‚Wissenschaftsstadt Bonn' entstehen durch die hierbleibenden Ministerien, Ämter hohen Institutionen, beispielsweise Rektorenkonferenz?

    Dieckmann: Also, die ‚Wissenschaftsstadt' habe ich eben nicht gesondert genannt, ist aber ein ganz wichtiger Schwerpunkt. Bonn hatte immer schon eine der traditionellen deutschen Universitäten. Dazugekommen sind zwei Zentren: Das Zentrum für Entwicklungsforschung, das Zentrum für Europäische Integrationsforschung. Die Fachhochschule arbeitet inzwischen im sechsten Semester. Die Wissenschaftsorganisationen bleiben hier, die Rektorenkonferenz, der DAAD. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat mal gerade ein Richtfest gefeiert. Und es wird entstehen - und arbeitet ja schon - das Forschungszentrum CÄSAR. Es wird nach Godesberg in der Nähe der amerikanischen Siedlung entstehen. Und dieses wird auch eines der Projekte sein, die wiederum internationales Image für Bonn bringen, weil es ein international arbeitendes Forschungszentrum sein wird. Und das führt dann auch wiederum dazu, daß unsere Kompetenz - auch die internationale Kompetenz - genutzt wird, daß wieder Schüler und Schülerinnen für die internationale Schule da sind. Und wichtig dafür ist - das haben Sie richtig angesprochen - natürlich der Verbleib des Forschungsministeriums. Das ist eigentlich so der Weg, den wir gegangen sind: Möglichst Dinge, die bleiben, miteinander zu vernetzen. Und das ist in den letzten acht Jahren erfolgreich gewesen. Und deshalb noch mal: Neben der Wehmut gibt es ganz viel Zuversicht.

    DLF: Der Bundespräsident Johannes Rau behält seinen zweiten Amtssitz direkt am Rhein in der Villa Hammerschmidt. Was kann das bewirken? Wird er oft dort sein?

    Dieckmann: Ja, der Bundespräsident wird auch diesen zweiten Amtssitz nutzen. Er wird auch nach wie vor wichtige Veranstaltungen, die hier bei den Bonner Ministerien sind, zum Beispiel den Entwicklungspreis, den Journalistenpreis im Bereich der Entwicklung, im Oktober in Bonn übergeben. Und ich denke, daß der Bundespräsident diesen Amtssitz nutzt, ist eine Ausfüllung des Gesetzes. Und das habe ich auch vom Bundespräsidenten so erwartet, aber wir sind auch froh, daß er das tut. Er wird in Bonn immer willkommen sein.