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"Dies ist keine der üblichen Tarifrunden"

Die IG Metall zieht in eine Tarifauseinandersetzung, ohne eine konkrete Lohnforderung zu nennen. Ein anderes Thema ist ihr wichtiger: der Erhalt der Arbeitsplätze. Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, ist ebenfalls gegen Arbeitsplatzabbau. "Wir sind eine Facharbeiterbranche, wir wollen unsere Beschäftigten halten", sagt er.

Martin Kannegiesser im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Martin Kannegiesser ist Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Der Verband wird morgen beraten. Guten Morgen, Herr Kannegiesser.

    Martin Kannegiesser: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wie viel Lob sprechen Sie der IG Metall aus, dass sie keine Lohnziffer nennt?

    Kannegiesser: Ich denke, wir haben in den letzten zwölf Monaten, zwölf, 18 Monaten ein gutes gemeinsames Krisenmanagement gemacht, das eben zu dem Ergebnis geführt hatte, dass wir den größten Teil, den überwiegenden Teil unserer Arbeitsplätze halten konnten, obwohl wir auch derzeit unsere Produktion mit 20, 25 Prozent der Belegschaft weniger machen könnten. Ich denke, das ist eine gute Leistung und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, diese Art von Krisenmanagement noch für eine weitere Zeit fortzuführen.

    Meurer: Gehen Sie davon aus, Herr Kannegiesser, dass tatsächlich schon ab dem Wochenende verhandelt wird? Eigentlich geht ja der Tarifvertrag, ich glaube, bis Ende April.

    Kannegiesser: Dies ist keine der üblichen Tarifrunden. Wir haben jetzt tatsächlich die Aufgabe gehabt und haben uns diese gestellt, zu überlegen und zu prüfen, wie haben wir die Situation wirklich zu beurteilen, welche Instrumente können wir einsetzen, um das Konzept der weitestgehenden Beschäftigungssicherung fortzusetzen. Das kann man natürlich nur, wenn man die Entgeltfrage zusammen löst mit dieser Frage, weil man unmöglich die Betriebe auf der einen Seite, nämlich bei dem Bemühen um Beschäftigungssicherung, ein Stück entlasten kann, denn Beschäftigungssicherung ist für die Betriebe eine finanzielle Rosskur nach wie vor, und sie auf der anderen Seite, auf der anderen Schulter dann sozusagen wieder belastet. Das muss ausgewogen sein.

    Meurer: Nur kurz: geht es am Wochenende schon los, Herr Kannegiesser, noch mal die Frage?

    Kannegiesser: Wir sind jedenfalls mit den Sondierungsgesprächen so weit gekommen inzwischen, dass ein Punkt erreicht ist, an dem wir konkret aufsetzen können. Ob das nun schon an diesem Wochenende konkret der Fall sein wird, das muss man sehen. Aber in jedem Fall gehen wir bisher davon aus, dass wir in den nächsten zehn Tagen nun alle bisherigen Sondierungen zusammenführen können zu einer zielgerichteten und auch raschen Verhandlung, weil unsere Betriebe jetzt in den nächsten Wochen wirklich sehr schnell Planungssicherheit haben müssen, was auf sie zukommt.

    Meurer: Vereinfacht gesagt, Herr Kannegiesser, erleben wir das Comeback der Arbeitszeitverkürzung, um Jobs zu retten?

    Kannegiesser: Das Instrument Arbeitszeitverkürzung, das wird jetzt ja nun schon seit Beginn der Krise eingesetzt, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das wird nicht in allen Fällen gelingen, weil dieses Instrument für die Betriebe außerordentlich teuer ist. Nichts ist teuerer für Betriebe, als Unterauslastung zu finanzieren, und das ist ein sehr teueres Instrument. Viele Betriebe werden sich das nicht mehr leisten können.

    Meurer: Aber sie sparen doch auch Gehälter?

    Kannegiesser: Ja, wir sparen Gehälter, aber es steht auch nicht die Leistung dagegen. Ein Betrieb hat immer die Kostenseite und die Leistungsseite. Wenn sie insgesamt ihre Produktion um 20, 30 Prozent zurückfahren, entsprechend ihre Umsätze sinken, sie also keine Rechnungen schreiben können, dann ist es selbstverständlich, dass sie auf der anderen Seite auch sehen müssen, dass eine Kostenentlastung da ist, sonst ist ein schneller Konkurs erreicht. Wir werden ja auch viele haben. Wir versuchen wenigstens einigermaßen die Kostenentwicklung und die rückläufigen Umsätze in ein Gleichgewicht zu bringen. Deshalb: wenn man Arbeitsplätze abbaut, ist das die klarste Form, die Kosten anzupassen. Da wir das nicht wollen - wir sind eine Facharbeiterbranche, wir wollen unsere Beschäftigten halten, solange wie das überhaupt wirtschaftlich möglich ist.

    Meurer: Und dafür bietet die Bundesregierung ja an, die Kurzarbeit zu verlängern. Warum, glauben Sie, wird die Kurzarbeit nicht mehr eine solche Rolle spielen?

    Kannegiesser: Die Kurzarbeit wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen müssen. Nur ein zunehmender Teil der Betriebe wird sich Kurzarbeit einfach wirtschaftlich nicht mehr leisten können. Die Bundesanstalt hat ausgerechnet, dass die Kosten für die Betriebe, die sogenannten Remanenzkosten, 26 Prozent bleiben werden. Also im Extrem ausgedrückt: selbst wenn ich ...

    Meurer: Die Remanenzkosten, das sind die Kosten, dass sie zum Beispiel den Urlaub bezahlen müssen, Weihnachtsgeld und so weiter?

    Kannegiesser: Jawohl, genau, und das 26 Prozent. Das heißt im Extrem selbst bei Kurzarbeit null. Wenn ein Arbeitnehmer gar nicht mehr in den Betrieb kommen kann, weil keine Arbeit ist, bleiben 26 Prozent seiner Kosten.

    Meurer: Jetzt gibt es ja ein anderes Modell, Herr Kannegiesser, nämlich nicht die gesetzliche Kurzarbeit, sondern die Gewerkschaften schlagen vor, wir gehen runter mit der Arbeitszeit – im Moment ist es ja schon möglich, bis 29 Stunden zu gehen ohne Lohnausgleich -, wir gehen jetzt runter bis 28 oder gar 26 Stunden, wollen dafür aber einen Teillohnausgleich. Wie denken Sie darüber?

    Kannegiesser: Ja. Das ist, wenn ein Betrieb aus welchen Gründen auch immer die gesetzliche Kurzarbeit nicht mehr anwenden kann oder will, dann soll es eine tarifliche Kurzarbeit geben, bei der man nicht so weit runter kann wie bei der gesetzlichen, nämlich wie Sie sagen 28, möglicherweise auch 26 Stunden, und das kann natürlich nicht allein vom Arbeitnehmer getragen werden, weil die Einbußen dann einfach zu groß sind. Es muss dann einen Teillohnausgleich geben. Das ist im Grunde dann nichts anderes eigentlich als ein betriebliches Kurzarbeitgeld und die Erwartung ist eben, dass wenigstens die Sozialversicherungsabgaben auf diese relativ geringe betriebliche Kurzarbeit von der Bundesanstalt getragen wird, so wie das ja auch bei der gesetzlichen Kurzarbeit der Fall ist.

    Meurer: Sollen dann die Beitragszahler die Zeche für die Metallindustrie zahlen?

    Kannegiesser: Einen großen Teil zahlen wir selbst, einen anderen Teil zahlen andere. Jeder, der eine solche Lösung hat, sollte Anspruch darauf haben, der eine solche tarifliche Lösung hat. Sie ist auch für uns als Beitragszahler immer noch günstiger als gesetzliche Kurzarbeit, die meistens deutlich tiefer einschneidet, und sowieso deutlich billiger als Arbeitslosigkeit.

    Meurer: Herr Kannegiesser, was erwarten Sie im Moment am dringendsten von der Bundesregierung?

    Kannegiesser: Von der Bundesregierung erwarten wir vor allen Dingen, dass wir uns so sicher wie möglich fühlen können, hinsichtlich der Entwicklung auf den Finanzmärkten keine Überraschungen mehr erleben zu müssen in der nächsten Zeit. Das war ja der Ursprung der Krise und viele Betriebe haben auch heute nach wie vor Probleme mit der Finanzierung. Also in diesem Bereich tatsächlich sich wieder völlig sicher fühlen zu können, dass von dort keine Querschläge kommen, ich glaube, das ist für unsere wirtschaftliche Entwicklung ganz entscheidend. Im Übrigen erwarten wir natürlich eine verlässliche konsistente Politik in dieser Phase, die sich einreiht in das Krisenmanagement, was wir im Augenblick nach wie vor in den Betrieben fahren müssen. Es wird noch eine lange Zeit dauern, bis wir auch nur einigermaßen das Niveau vor der Krise erreicht haben, die Beschäftigung von vor der Krise erreicht haben, und mit den Strukturbrüchen fertig werden, die sich jetzt eben auch in vielen Branchen abzeichnen.

    Meurer: Martin Kannegiesser, Präsident von Gesamtmetall, bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Kannegiesser, auf Wiederhören.

    Kannegiesser: Auf Wiederhören, Herr Meurer.