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"Diese 53 Prozent reißen mich nicht gerade vom Hocker"

In der vergangenen Woche wurde in "Forschung aktuell" über einen Artikel in einer Fachzeitschrift berichtet, in dem ein US-Wissenschaftler bewiesen haben will, dass Menschen über hellseherische Fähigkeiten verfügen. Der Statistiker Professor Walter Krämer von der TU Dortmund schreibt dem Zufall eine große Bedeutung zu.

10.01.2011
    Arndt Reuning: Am vergangenen Freitag haben wir in "Forschung aktuell" über eine Studie eines amerikanischen Sozialpsychologen berichtet. Professor Daryl Bem von der Cornell University glaubt, damit nachweisen zu können, dass Menschen zu einem gewissen Grad tatsächlich in die Zukunft blicken können. Vorgelegt hat er neun verschiedene Versuche, die das beweisen sollen. Zum Beispiel: Ein Student sitzt vor einem Computerbildschirm. Dort sieht er zwei Vorhänge. Wenn sich beide heben, dann wird hinter einem davon eine nackte Mauer erscheinen und hinter einem anderen ein Bild, in manchen Fällen eine erotische Abbildung. Der Student soll nun raten, hinter welchem Vorhang sich das Bild verbirgt. Ein Zufallsgenerator bestimmt erst dann, hinter welchem es tatsächlich zum Vorschein kommt. Man würde nun erwarten, normalerweise, dass der Student in der Hälfte der Fälle richtig liegt, also bei 50 Prozent. Daryl Bem hat aber nun den Versuch mit 100 Studenten durchgeführt und festgestellt: In 53 Prozent haben sie eine richtige Antwort geliefert. Und das hat er als Beweis dafür angesehen, dass seine Studenten tatsächlich hellseherisch begabt sind. Wir wollten es ganz genau wissen und haben bei einem Statistikexperten nachgefragt - bei Professor Walter Krämer von der TU Dortmund. Von ihm wollte ich wissen: Hat Sie denn die Veröffentlichung von Daryl Bem tatsächlich überzeugt?

    Walter Krämer: Es hat mich erstmal interessiert. Das ist ja durchaus eine charmante Hypothese, dass gewisse spezielle Bilder etwa vorausgeahnt werden können, weil das vielleicht einen evolutionstheoretischen Grund haben könnte. Aber dennoch: Diese 53 Prozent reißen mich nicht gerade vom Hocker. Das kann man sehr, sehr leicht auch durch Zufall erklären.

    Reuning: Wichtig für die Aussagekraft ist doch sicher auch, wie oft der Versuch durchgeführt wurde. Bei Daryl Bem haben 100 Studierende teilgenommen, jeweils mit 36 Einzeltests. Ist das denn nicht genug?

    Krämer: Nun, das sind dann 3600 Versuche und in 1900 ungefähr kam dann etwas heraus, dem man eine Bedeutung beimessen könnte. Das ist immer noch, wenn man sehr viele Experimente macht - man hat ja nicht nur dieses, sondern auch noch viele andere Experimente durchgeführt - relativ leicht, rein zufällig auch zu erzeugen.

    Reuning: Eine Aussagekraft über diese Zufälligkeit macht ja die sogenannte Signifikanz. Können Sie erklären, was das ist?

    Krämer: Ja, das ist in der Tat ein sehr kritisches Wort, denn das wird oft so benutzt wie es im Alltag verwendet wird, als bedeutsam oder aussagekräftig. Das ist es aber im Sinn der Statistik überhaupt nicht. Das heißt einfach nur, irgendein Ergebnis wäre, wenn irgendeine Hypothese zuträfe - doppelter Konjunktiv - sehr unwahrscheinlich. Aber sehr unwahrscheinliche Ereignisse begegnen uns tagtäglich immer wieder.

    Reuning: Das heißt, auch hier könnte es sich um solch ein unwahrscheinliches Ereignis gehandelt haben?

    Krämer: Genau. Ich denke da etwa an die Krake Paul, die ja auch bei der Fußball-WM alle Spiele richtig vorhergesagt hat. Das war genau so ein Zufall.

    Reuning: Können Sie uns vielleicht ein anderes Beispiel für solch einen unwahrscheinlichen Vorfall nennen?

    Krämer: Immer wieder träumen Leute, Nachbar Meier stirbt morgen. Und Nachbar Meier stirbt. Das ist dann immer wieder ein Indiz dafür, es gibt doch so etwas wie übernatürliche Vorhersagemedien, mediale Fähigkeiten. Dass so etwas passiert, ist sehr, sehr wahrscheinlich. Jeden Tag sterben in Deutschland 3000 Leute. Wenn jemand nur einmal im Leben träumt, jemand anderes stirbt, dann sind das 3000 Todesträume ebenfalls pro Tag. Das heißt, pro Tag werden 3000 Leute totgeträumt. 3000 sterben tatsächlich. Und dass in diesen beiden Mengen mal die selbe Person vorkommt, das ist eine Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent. Das heißt, an jedem zehnten Tag passiert so etwas.

    Reuning: Wie entscheidend ist es denn nun, dass die Signifikanzwerte stimmen?

    Krämer: Sie sind schon richtig ausgerechnet. Das heißt, diese hypothetischen Wahrscheinlichkeiten, die der Herr Kollege Bem da angibt, sind durchaus richtig. Bloß wenn man das Ganze sehr oft macht, dann ist es trotzdem sehr gut möglich, dass man rein per Zufall dieses Ergebnis erhält. Nehmen Sie an, Sie haben einen Würfel, von dem Sie nicht wissen, ob er gezinkt ist. Sie würfeln 100 Mal, es kommt 20 Mal die Sechs. Aha, denken Sie. Das heißt ja, da ist irgendwas nicht ganz richtig im Busch. Und jetzt machen Sie das Ganze aber nicht nur einmal, sondern das ganze Wochenende. Und dann werden Sie irgendwann mal eine Serie von 100 finden, wo zu oft die Sechs kommt. Insofern ist das nichts außergewöhnliches.

    Reuning: Eventuell spielt es ja auch eine Rolle, dass man sich die richtigen Messwerte herauspickt.

    Krämer: Also dass er das absichtlich gemacht hat, das glaube ich mal nicht. Er ist ja ein sehr renommierter und auch seriöser Forscher. Ich glaube, er ist auf sich selbst reingefallen, der gute Mann. Oder er wollte sich nur einen kleinen Scherz erlauben.

    Reuning: Die Studie soll ja nun in einem renommierten Fachmagazin erscheinen. Sie ist von Experten begutachtet worden und die haben mit dem Daumen nach oben gewiesen. War das denn gerechtfertigt?

    Krämer: Nun, ich bin auch Herausgeber von zwei renommierten Fachzeitschriften. Was die Gutachter sagen, ist auch nicht immer richtig und auch in den renommierten Fachzeitschriften wird sehr viel Unfug produziert.

    Reuning: Das heißt, so etwas kommt durchaus öfters mal vor?

    Krämer: Also in den von mir herausgegebenen muss ich zu meiner Schande gestehen, sind ... zwei, drei Mal unterlaufen.

    Reuning: Was könnte man denn gegen solche Fehler unternehmen? Wie könnte man sie von vornherein vermeiden?

    Krämer: Wenn man das komplett vermeiden will, darf man überhaupt nichts publizieren. Auch Wissenschaftler machen Fehler, seriöse Wissenschaftler machen Fehler. Einstein hat Fehler gemacht, ganz große Nobelpreisträger haben sich irgendwann im Laufe ihrer Karriere mal geirrt. Diesen Irrtum muss man einem Forscher zugestehen.