Bettina Klein: Die neue Neonazi-Datei ist eine Konsequenz aus den Ermittlungspannen rund um die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU. 36 deutsche Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln nun ihre Informationen über gewalttätige oder gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner. Ziel ist ein besserer Informationsaustausch zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten.
Mitgehört hat Dirk Adams, er ist der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Thüringen. Ich grüße Sie, Herr Adams.
Dirk Adams: Guten Tag, Frau Klein.
Klein: Wie groß ist der Schritt, den wir jetzt weitergekommen sind mit dieser Datei?
Adams: Also es ist, glaube ich, ganz außer Frage, dass eine solche Datei das Auffinden von Daten, das Herstellen von Querbezügen sicherlich erleichtern wird. Die Frage ist nur, ob diese Datei auch hilft, wenn sie eben nicht verständig genutzt wird. Wir hatten ja den Fall, dass zum Beispiel in Bayern beim Landesamt man fast ein Jahr brauchte, um der BAO Hilfestellung zu leisten, indem man einige hundert Rechtsradikale heraussuchte, womit die Polizei arbeiten konnte. Das heißt, Daten waren da, aber sie sind halt nicht schnell zur Verfügung gewesen und sie sind nicht verständig gewürdigt worden, und da scheint mir der Knackpunkt zu sein. Es geht um eine verständige Würdigung dessen, was wir an Akten und Dateimaterial haben.
Klein: Eine verständige Würdigung, das ist natürlich auch ein großes Wort. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie die in Zukunft sichergestellt werden kann?
Adams: Ich glaube, dem müssen sich die Sicherheitsbehörden auch stellen. Wer den rechtsradikalen Hintergrund nicht sieht, kann mit so einer Datei auch nicht arbeiten. Und das war ein Problem in diesem Fall, dass man nicht die Hinweise auf diesen rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Hintergrund sehen wollte, obwohl es Hinweise gab. Das heißt erst mal Sensibilisierung unserer deutschen Sicherheitsbehörden in allen Ländern und auf der Bundesebene für die Problemlage rechts. Das ist bisher immer noch nicht hinreichend geschehen.
Und dann, glaube ich, ist eine Sache sehr wichtig beim Nutzen dieser Datei: Die Geheimdienste müssen umgebaut werden zu Nachrichtendiensten. Das heißt, nicht mehr Geheimhaltung darf im Vordergrund stehen, sondern das Bereitstellen von Informationen, mit denen man dann auch was anfangen kann. Deshalb sehe ich das sehr kritisch, dass in diesem Gesetz wieder eine Ausnahmemöglichkeit besteht für die Geheimdienste, aus Gründen der Geheimhaltung Daten eben nicht zu liefern.
Klein: Bleiben wir noch mal kurz bei dem ersten Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, dass diejenigen, die mit diesen Informationen umzugehen haben, sensibilisiert werden müssen. Sie sind ein gewählter Politiker auf Landesebene. Wie sensibilisieren Sie die zuständigen Behörden?
Adams: Wir versuchen, das in vielen Gesprächen zu machen, und dabei haben wir auch großen Erfolg. Hier in Thüringen an der Polizeischule wird das auch mit zunehmendem Erfolg gemacht, das will ich durchaus loben. Häufig erleben wir aber auch als Abgeordnete, dass wir über dieses Thema sprechen wollen und Abwehrreaktionen erleben, dass man sagt, na ja, das Thema Rechtsradikalismus ist im Augenblick einfach zu überbewertet, natürlich reden darüber alle, aber das ist nicht unser größtes Problem.
Klein: Wo erleben Sie das?
Adams: Das erlebe ich in Gesprächen mit Polizisten, aber auch im Gespräch mit Leuten aus den Nachrichtendiensten.
Klein: Sehen Sie ein Heilmittel dagegen?
Adams: Ein Heilmittel gibt es nicht, außer Information, Aufklärung und das, was wir jetzt im Zusammenhang hier mit den NSU-Untersuchungsausschüssen in den vielen Ländern und auf der Bundesebene machen können, dass wir nämlich aufzeigen: Wenn man nicht aufmerksam ist in diese Richtung, dann kann schlimmer Schaden für die Sicherheitsbehörden, in dem Vertrauen, das wir als Bevölkerung in diese Sicherheitsbehörden haben, entstehen. Und darum sollten sich alle Polizeien der Länder und des Bundes sehr bemühen, dass dieser Eindruck nicht entsteht.
Klein: Bleiben wir noch einen Augenblick im Land Thüringen. Sind da jetzt Ihrer Meinung nach alle Konsequenzen gezogen worden, die notwendig waren nach den Pannen bei der Aufklärung der Mordserie?
Adams: Nein, sicher noch überhaupt nicht. Auch diese Datei ist ja wirklich nur ein Anfang, Kommunikation zu verbessern. Ich hatte das vorhin kurz angerissen. Ich glaube, eine ganz entscheidende Sache ist das geistige Umbauen der Geheimdienste zu Nachrichtendiensten, Nachrichtendiensten, die Informationen bereitstellen für die Öffentlichkeit, für zivilgesellschaftliche Debatten um die Gefährlichkeit bestimmter Entwicklungen in unserem Land, dass da auch fundiert etwas bereitgestellt wird, also eine viel mehr wissenschaftliche Ausrichtung der Nachrichtendienste, aber auch ein tätiges Bereitstellen von Informationen und ein Wollen dieser Bereitstellung in Richtung Polizei, in Richtung der Strafverfolgungsbehörden, dass man sich nicht auf sein Wissen setzt und sagt, wir wissen das jetzt, aber wir sagen das niemandem. Das ist ein Riesenproblem gewesen und das ist eine Mentalitätsfrage, ob der einzelne Sachbearbeiter erkennt, diese Information ist jetzt wichtig zum präventiven Abwehren von Gefahren beispielsweise.
Klein: Wir haben über diese Diagnose und auch über diese Zielstellung, nämlich an der möglicherweise vorhandenen Mentalität beim einen oder anderen etwas zu ändern, immer wieder gesprochen, in den vergangenen Wochen, als es immer wieder um die Reform der Geheimdienste und der Verfassungsschutzämter ging. Geben Sie uns doch mal ein Beispiel in Ihrer aktuellen Debatte, wie das erreicht werden kann.
Adams: Ein Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen ist ja, darauf zu schauen, wer arbeitet zum Beispiel in unseren Landesämtern für Verfassungsschutz, haben wir hier wirklich einen Querschnitt unserer Bevölkerung, oder müssen wir nicht schauen, das was man oft Diversifizierung nennt, dass wir das voranbringen. Wie viele Menschen mit einem Migrationshintergrund sind in diesen Diensten tätig? Wie viele Menschen, Frauen und Männer, ist das ein vernünftiges gesellschaftliches Verhältnis? Das heißt, das Abbilden von Gesellschaft, auch in solchen Ämtern, ist zum Beispiel ein Schritt, um die verständige Würdigung, was in der Gesellschaft debattiert wird, zu erhöhen.
Zweiter Schritt ist eine viel stärkere wissenschaftliche Auswertung, die das Ziel hat, öffentlich auch einen großen Teil der gewonnenen Erkenntnisse öffentlich zu machen, einer öffentlichen Debatte zur Verfügung zu stellen. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Klein: Schlagen wir zum Abschluss noch mal den Bogen zum Beginn unseres Gespräches. Hätten die Neonazi-Morde damals verhindert werden können, hätten die Pannen verhindert werden können Ihrer Meinung nach, wenn wir diese Datei schon vor 20 Jahren gehabt hätten?
Adams: Das ist natürlich eine ganz schwierige hypothetische Frage. Ich glaube, dass dem nicht so ist, weil wir haben die meisten Hinweise gehabt. Zum Beispiel in Baden-Württemberg sind 30.000 Kfz-Kennzeichen festgestellt worden und darunter natürlich auch das Wohnmobil. Man hätte also, hätte man den Zusammenhang erkennen wollen, erkennen können, durchaus den Weg zu den Dreien finden können. Wir haben Profiler gehabt, die gesagt haben, das müssen zwei ausgestiegene Rechtsradikale sein, und noch weitere Hinweise dazu gegeben haben, und man hat sie nicht gefunden. Ich glaube, dass eine Datei helfen kann, aber eine Garantie, so etwas, eine solche Ermittlungspanne zu verhindern, ist sie ganz bestimmt nicht.
Klein: Der Grünen-Politiker Dirk Adams, er ist innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion seiner Partei in Thüringen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Adams.
Adams: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Rechtsextremismus-Datei ist "richtige Konsequenz aus der NSU-Mordserie - Interview mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU)
Mitgehört hat Dirk Adams, er ist der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Thüringen. Ich grüße Sie, Herr Adams.
Dirk Adams: Guten Tag, Frau Klein.
Klein: Wie groß ist der Schritt, den wir jetzt weitergekommen sind mit dieser Datei?
Adams: Also es ist, glaube ich, ganz außer Frage, dass eine solche Datei das Auffinden von Daten, das Herstellen von Querbezügen sicherlich erleichtern wird. Die Frage ist nur, ob diese Datei auch hilft, wenn sie eben nicht verständig genutzt wird. Wir hatten ja den Fall, dass zum Beispiel in Bayern beim Landesamt man fast ein Jahr brauchte, um der BAO Hilfestellung zu leisten, indem man einige hundert Rechtsradikale heraussuchte, womit die Polizei arbeiten konnte. Das heißt, Daten waren da, aber sie sind halt nicht schnell zur Verfügung gewesen und sie sind nicht verständig gewürdigt worden, und da scheint mir der Knackpunkt zu sein. Es geht um eine verständige Würdigung dessen, was wir an Akten und Dateimaterial haben.
Klein: Eine verständige Würdigung, das ist natürlich auch ein großes Wort. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie die in Zukunft sichergestellt werden kann?
Adams: Ich glaube, dem müssen sich die Sicherheitsbehörden auch stellen. Wer den rechtsradikalen Hintergrund nicht sieht, kann mit so einer Datei auch nicht arbeiten. Und das war ein Problem in diesem Fall, dass man nicht die Hinweise auf diesen rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Hintergrund sehen wollte, obwohl es Hinweise gab. Das heißt erst mal Sensibilisierung unserer deutschen Sicherheitsbehörden in allen Ländern und auf der Bundesebene für die Problemlage rechts. Das ist bisher immer noch nicht hinreichend geschehen.
Und dann, glaube ich, ist eine Sache sehr wichtig beim Nutzen dieser Datei: Die Geheimdienste müssen umgebaut werden zu Nachrichtendiensten. Das heißt, nicht mehr Geheimhaltung darf im Vordergrund stehen, sondern das Bereitstellen von Informationen, mit denen man dann auch was anfangen kann. Deshalb sehe ich das sehr kritisch, dass in diesem Gesetz wieder eine Ausnahmemöglichkeit besteht für die Geheimdienste, aus Gründen der Geheimhaltung Daten eben nicht zu liefern.
Klein: Bleiben wir noch mal kurz bei dem ersten Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, dass diejenigen, die mit diesen Informationen umzugehen haben, sensibilisiert werden müssen. Sie sind ein gewählter Politiker auf Landesebene. Wie sensibilisieren Sie die zuständigen Behörden?
Adams: Wir versuchen, das in vielen Gesprächen zu machen, und dabei haben wir auch großen Erfolg. Hier in Thüringen an der Polizeischule wird das auch mit zunehmendem Erfolg gemacht, das will ich durchaus loben. Häufig erleben wir aber auch als Abgeordnete, dass wir über dieses Thema sprechen wollen und Abwehrreaktionen erleben, dass man sagt, na ja, das Thema Rechtsradikalismus ist im Augenblick einfach zu überbewertet, natürlich reden darüber alle, aber das ist nicht unser größtes Problem.
Klein: Wo erleben Sie das?
Adams: Das erlebe ich in Gesprächen mit Polizisten, aber auch im Gespräch mit Leuten aus den Nachrichtendiensten.
Klein: Sehen Sie ein Heilmittel dagegen?
Adams: Ein Heilmittel gibt es nicht, außer Information, Aufklärung und das, was wir jetzt im Zusammenhang hier mit den NSU-Untersuchungsausschüssen in den vielen Ländern und auf der Bundesebene machen können, dass wir nämlich aufzeigen: Wenn man nicht aufmerksam ist in diese Richtung, dann kann schlimmer Schaden für die Sicherheitsbehörden, in dem Vertrauen, das wir als Bevölkerung in diese Sicherheitsbehörden haben, entstehen. Und darum sollten sich alle Polizeien der Länder und des Bundes sehr bemühen, dass dieser Eindruck nicht entsteht.
Klein: Bleiben wir noch einen Augenblick im Land Thüringen. Sind da jetzt Ihrer Meinung nach alle Konsequenzen gezogen worden, die notwendig waren nach den Pannen bei der Aufklärung der Mordserie?
Adams: Nein, sicher noch überhaupt nicht. Auch diese Datei ist ja wirklich nur ein Anfang, Kommunikation zu verbessern. Ich hatte das vorhin kurz angerissen. Ich glaube, eine ganz entscheidende Sache ist das geistige Umbauen der Geheimdienste zu Nachrichtendiensten, Nachrichtendiensten, die Informationen bereitstellen für die Öffentlichkeit, für zivilgesellschaftliche Debatten um die Gefährlichkeit bestimmter Entwicklungen in unserem Land, dass da auch fundiert etwas bereitgestellt wird, also eine viel mehr wissenschaftliche Ausrichtung der Nachrichtendienste, aber auch ein tätiges Bereitstellen von Informationen und ein Wollen dieser Bereitstellung in Richtung Polizei, in Richtung der Strafverfolgungsbehörden, dass man sich nicht auf sein Wissen setzt und sagt, wir wissen das jetzt, aber wir sagen das niemandem. Das ist ein Riesenproblem gewesen und das ist eine Mentalitätsfrage, ob der einzelne Sachbearbeiter erkennt, diese Information ist jetzt wichtig zum präventiven Abwehren von Gefahren beispielsweise.
Klein: Wir haben über diese Diagnose und auch über diese Zielstellung, nämlich an der möglicherweise vorhandenen Mentalität beim einen oder anderen etwas zu ändern, immer wieder gesprochen, in den vergangenen Wochen, als es immer wieder um die Reform der Geheimdienste und der Verfassungsschutzämter ging. Geben Sie uns doch mal ein Beispiel in Ihrer aktuellen Debatte, wie das erreicht werden kann.
Adams: Ein Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen ist ja, darauf zu schauen, wer arbeitet zum Beispiel in unseren Landesämtern für Verfassungsschutz, haben wir hier wirklich einen Querschnitt unserer Bevölkerung, oder müssen wir nicht schauen, das was man oft Diversifizierung nennt, dass wir das voranbringen. Wie viele Menschen mit einem Migrationshintergrund sind in diesen Diensten tätig? Wie viele Menschen, Frauen und Männer, ist das ein vernünftiges gesellschaftliches Verhältnis? Das heißt, das Abbilden von Gesellschaft, auch in solchen Ämtern, ist zum Beispiel ein Schritt, um die verständige Würdigung, was in der Gesellschaft debattiert wird, zu erhöhen.
Zweiter Schritt ist eine viel stärkere wissenschaftliche Auswertung, die das Ziel hat, öffentlich auch einen großen Teil der gewonnenen Erkenntnisse öffentlich zu machen, einer öffentlichen Debatte zur Verfügung zu stellen. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Klein: Schlagen wir zum Abschluss noch mal den Bogen zum Beginn unseres Gespräches. Hätten die Neonazi-Morde damals verhindert werden können, hätten die Pannen verhindert werden können Ihrer Meinung nach, wenn wir diese Datei schon vor 20 Jahren gehabt hätten?
Adams: Das ist natürlich eine ganz schwierige hypothetische Frage. Ich glaube, dass dem nicht so ist, weil wir haben die meisten Hinweise gehabt. Zum Beispiel in Baden-Württemberg sind 30.000 Kfz-Kennzeichen festgestellt worden und darunter natürlich auch das Wohnmobil. Man hätte also, hätte man den Zusammenhang erkennen wollen, erkennen können, durchaus den Weg zu den Dreien finden können. Wir haben Profiler gehabt, die gesagt haben, das müssen zwei ausgestiegene Rechtsradikale sein, und noch weitere Hinweise dazu gegeben haben, und man hat sie nicht gefunden. Ich glaube, dass eine Datei helfen kann, aber eine Garantie, so etwas, eine solche Ermittlungspanne zu verhindern, ist sie ganz bestimmt nicht.
Klein: Der Grünen-Politiker Dirk Adams, er ist innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion seiner Partei in Thüringen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Adams.
Adams: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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